16. Jahrgang | Nummer 25 | 9. Dezember 2013

Wirklich „Neues aus der theoretischen Ökonomie“?

von Stephan Wohanka 

Im Blättchen Nr. 22 vom 28. Oktober 2013 stellt Werner Richter „Neues aus der theoretischen Ökonomie“ vor. Das weckt Interesse! Ist doch gerade die Ökonomie mitverantwortlich für den Finanz-Crash gemacht worden. Und tatsächlich wären neue Impulse für diese Disziplin ein Gebot der Stunde. Hält Richters Text, was er verspricht?
Zuerst fällt auf, dass Richter sich gegen „mathematisch gestützte Modelle“ wendet. Obwohl eine Antwort wert, soll das hier nicht weiter interessieren. Des weiteren macht stutzig, dass Richter im „Subjektiven“ ein Problem für „Neues“ in der Ökonomie sieht; er schreibt: „Sie haben eine wirkliche Analyse der ökonomischen Realitäten begraben und lassen das subjektive Ziel (Hervorhebung St. W.) als einzigen Maßstab der Theorie gelten“. Wenn schon nicht ganz klar ist, wer „sie“ ist und ob das Begraben der „wirklichen Analyse der ökonomischen Realitäten“ eine richtige Beobachtung ist; so unterstellt das „subjektive Ziel“, dass es eine „objektive Theorie“ geben müsse. Oder anders gesagt – kann es überhaupt eine von Subjekt, also dem Forscher, und seinen „Zielen“ losgelöste Wissenschaft geben?
Objektivität ist keineswegs grundsätzlich das Leitbild der Wissenschaften; vielleicht war sie es für eine bestimmte Zeit – für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts. Was dazu führte, dass ihre „vornehmsten Geister“ ständig Gefahr liefen, ihre theoretischen Konstrukte für die Natur selbst zu halten. Dieses Denken wirkt fort bis heute: So ist in mancher Anleitung zur Verfertigung wissenschaftlicher Arbeiten zu lesen: „Die Ich-Form ist zu vermeiden (Objektivität)“. Als ob diese durch Formulierungen festzumachen wäre. Es ist vielmehr der Versuch, sich abzusichern; ein Versuch, der sich im ständigen Bemühen äußert, auf ein Wissen zu rekurrieren, das frei von eigenen Spuren ist – von eigenen (Vor)Urteilen oder eben „Zielen“, Wünschen oder Ambitionen. Das gelingt jedoch nicht.
Einstein bemerkt in einem Gespräch mit Heisenberg: „Es ist unmöglich, nur beobachtbare Größen in eine Theorie aufzunehmen. Es ist vielmehr die Theorie, die entscheidet, was man beobachten kann“. Später schreibt Heisenberg: „ […] wir müssen uns daran erinnern, daß das, was wir beobachten, nicht die Natur selbst ist, sondern Natur, die unserer Art der Fragestellung ausgesetzt ist“. Für „Natur“ kann „ökonomische Realität“ stehen. Herauskommt, dass wir „nicht die (ökonomische – St. W.) Realität (erklären), sondern lediglich die Kohärenz der eigenen Erfahrung. Insofern führt die Wissenschaft empirische Kohärenz stets auf empirische Kohärenz zurück“ (Humberto Maturana). Die Quintessenz: Wissenschaftliche Suche ist nicht voraussetzungslos. Insofern ist ein „subjektives Ziel“ immer die Grundlage jeglicher Forschung; es sei denn, man verstünde darunter das spätere Hinbiegen von Forschungsergebnissen, vulgo das Fälschen derselben. Es gibt folglich keine objektive Wissenschaft, auch keine ökonomische – es sei denn man verstünde „objektiv“, um Antonio Gramsci zu paraphrasieren, als „menschlich objektiv“; dann bedeutet objektiv so viel wie zu einem gewissen Zeitpunkt für einen gewissen Kultur- oder enger, Forschungskreis „allgemein verbreitet subjektiv“.
Auch folgender Befund Richters ist fragwürdig: „Es ist noch immer die im Leben erfahrene politische Orientierung der Agierenden das Hemmnis. Die Ökonomie nicht nur als politische Kategorie in der Diskussion zu halten ist ein schwieriger Prozess. Dazu bedarf es immer wieder neuer Initiativen, allen Enttäuschungen zum Trotz“. Die „Agierenden“ sind – diesmal bezüglich ihrer „politischen Orientierung“ – „das Hemmnis“ für „Neues“? Forscher sind für gewöhnlich keine gespaltenen Persönlichkeiten; ihre Ansichten, auch  politische, fließen nolens volens in ihre Arbeit ein. Wie oben schon gesagt – es kann kein Wissen geben frei von (Vor-)Urteilen, Zielen, aber auch politischer Orientierung. Zweitens wird die „politische Orientierung“ sehr wohl Einfluss darauf haben, was oder wozu ein Forscher (be)arbeitet. Werner Richter arbeitet mit Sicherheit nicht zum Neomonetarismus…
„Neue Initiativen“? Darunter versteht Richter das „Wissenschaftstheorie-Forum“, das er im Text vorstellt. Dort ist zu lesen: „Dadurch begünstigt taumelt die Weltwirtschaft auf Kosten der Allgemeinheit von einer Katastrophe in die andere mit der Gefahr des Zerfalls der menschlichen Gesellschaft, weil ihr ein theoretischer Kompaß abhanden kam. Deutungs- und Meinungshoheit auch in der Wirtschaftstheorie haben Personen, Institutionen, Interessengruppen und Netzwerke, die entweder bar jeder wirtschaftstheoretischen Kenntnisse oder/und jeglichen Gewissens die für Gesellschaft und Wirtschaft desaströsen Thesen vielfältig wiederholend als Wahrheit durchsetzen und die Gesellschaft dahin verändern, einer Invasion der Alchimisten gleich, die heute vollenden, was denen im Mittelalter nicht gelang“ – und das ist politische Polemik par excellence und wohl kaum geeignet, Sachlichkeit in die Debatte zu bringen. Im Gegenteil – es „hält die Ökonomie nur als politische Kategorie in der Diskussion“.
Es ist auch daran zu erinnern, dass es eine Gesellschaft gab, die einen „theoretischen Kompass“ – jedenfalls in ihrer Selbstwahrnehmung – besaß. Die (politische) Ökonomie des Sozialismus stützte ihre Autorität – selbst auf dem Höhepunkt des Dogmatismus – zumindest der Theorie nach auf die Überzeugungskraft der Vernunft und des „wissenschaftlichen Sozialismus“. Der Kompass ergab sich aus einer „marxistischen Analyse der Lage“ – und es ging trotzdem schief.
So eingeführt, ist der Wert des „Forums“ als Diskussionsbasis mehr als geschmälert; auch erweist Richter damit den von ihm empfohlenen Büchern respektive Autoren einen Bärendienst. Mehr Gelassenheit und – wie gesagt – Sachlichkeit täten der Sache gut, ja machten sie wohl überhaupt erst möglich. Unsachliche Polemik erstickt sie im Keim und führt keine Menschen zusammen. Vermeidet man die – ja dann kann eine auf der Höhe des wissenschaftlichen Diskurses angesiedelte Debatte vielleicht zu „Neuem in der theoretischen Ökonomie“ führen.