16. Jahrgang | Nummer 17 | 19. August 2013

Urlaubsbilder

von Renate Hoffmann

Es gibt Gemälde, die den Betrachter in Reisestimmung versetzen. Weil sie ihn zum Durchwandern maigrüner Wälder locken oder zu einem Segeltörn auf den Weltmeeren oder zum Streifen durch schmale Gassen oder zum Aufspüren alter Gemäuer. Wenn diese Kunstwerke bewirken, dass man beschließt, seinen nächsten größeren Ausflug dorthin – und nirgendwo sonst hin – auszurichten, so darf man sie, über ihren Kunstwert hinaus und entgegen kunstgeschichtlicher Regeln, in eine neugeschaffene, noch nicht legitimierte Kategorie der so genannten „Urlaubsbilder“ einordnen.
Die „Küstenlandschaft bei Etretat“ von Claude Monet (1840-1926) erfüllt diese Ansprüche. Ein wildes Schauspiel aus Felsen, der Brandungswelle, den bunten Booten und geschäftigen Pünktchen, gleich dem Hin und Her der Menschen am Strand. Monet bevorzugte den Landstrich und besuchte ihn, besonders in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts, häufig. Zu dieser Zeit entstand das Gemälde. Steht man im Louvre davor, so fliegt einem der Gedanke zu: Auf, in die Normandie, ans große Meer!
Sollte es in diesem Sommer nicht mehr gelingen, diese Reise anzutreten, so wüsste ich ein anderes empfehlenswertes Urlaubsbild mit erreichbarem Ziel. „Kreidefelsen auf Rügen“. Dr. Carl Gustav Carus (1789-1869), Naturforscher, Arzt, Philosoph, Maler schrieb 1841 über seinen Freund Caspar David Friedrich (1774-1840): „… in der Landschaftsmalerei war es namentlich Friedrich, welcher […] auf absolut originale Weise in den Wust des Alltäglichen, Prosaischen, Abgestandenen hineingriff, und, indem er ihn mit einer herben Melancholie niederschlug, aus dessen Mitte eine eigentümlich neue leuchtende poetische Richtung hervorhob.“
Es heißt, das sei Caspar Davids Hochzeitsbild gewesen. Er hatte 1818 die um fünfundzwanzig Jahre jüngere Christiane Caroline Bommer geehelicht („Es ist doch ein schnurrig Ding, wenn man eine Frau hat […] es ist mir aber lieb, daß es jetzt sauberer und netter bei mir aussieht.“). Er möchte seiner Caroline die Familie Friedrich vorstellen und die Heimat. Beide reisen im Sommer 1818 über Neubrandenburg nach Greifswald. Ausflüge in die Umgebung der alten Hansestadt erfreuen Friedrichs Malerauge und die nordische Seele.
Rügen. Die Insel, ihre Buchenwälder, Hügel, die steilen Abstürze zum Meer, welches toben kann und silbrige Weite spiegeln. – Aufbruch zu einer Tagestour. Nach Stubbenkammer und zu den Kreidefelsen. Damals schon war die gewaltige weiße Felsformation beliebtes Wanderziel für Naturfreunde und Maler. Vom Strand aus betrachtet – schaurig-schön; von der Höhe – schwindelerregend.
Zur Rügenwanderung nahm Caspar David wahrscheinlich diesmal einen seiner Brüder mit. Heinrich? Christian? Jenem dankte er im gleichen Jahr für eine köstliche kulinarische Sendung: „Du hast mir und meiner Frau durch die zugeschickten Heringe eine wahrhaft größte Freude gemacht. Meine Frau versteht ohne alle weitere Anweisung die Heringe so gut zu schnabuliren als wehre sie eine gebohrene Pommern, nicht eine gebohrene Bommern.“
Sommerausflug, Eheglück und die Eindrücke vergangener Rügenwanderungen waren es wohl, die im Zusammenspiel Friedrich bewogen, drängten, trieben, die Kreidefelsen zu malen (90,5 x 71cm, Öl auf Leinwand, um 1818 entstanden; Stiftung / Museum Oskar Reinhart, Winterthur).
Von gefährlicher Höhe gleitet der Blick über die ruhige See. Sie lächelt grünblau, hellblau, rosaviolett herauf und vereint sich, irgendwo weit hinten, mit den zarten Farben des Himmels. Hell und grell in praller Mittagssonne ragen die weißen Felsen empor, zerklüftet und nur als lockeres Gefüge aufgeschichtet. Man ahnt die Unbeständigkeit ihrer Formen. Wie ein grünes Passepartout umschließen Laubbäume, vom Wind gezaust, die hohe Warte.
Am jähen Absturz wippen zierliche Gräser und feinstielige Blüten als wollten sie den Schauder der Tiefe verdecken. Im Vordergrund hat sich ein Mann auf die Knie niedergelassen, Hut und Wanderstock abgelegt und sieht ohne Scheu in den Abgrund hinunter. Es soll, so sagt man, Caspar David Friedrich persönlich sein (wagemutig und kernig war er schon immer). In der Nähe, ihm zur Linken, in leuchtendes Rot gekleidet, hochgeschürzt, Löckchen über den Ohren, ein schmales Krägelchen um den Hals, schlank und rank – eine junge Frau. Caroline (man sagt so). Sie hat etwas entdeckt, worauf sie deutet. Gleichzeitig hört man sie rufen: „Caspar David! Geh’ sofort zurück!!“ Der schert sich wenig darum und blickt unbeirrt in die bizarre Felslandschaft hinab.
Zur Rechten, an einen Baumstumpf gelehnt, in die damals modische und politisch motivierte „altdeutsche Tracht“ mit Samtbarett und knielangem Wams gekleidet – ein jüngerer Mann. Bruder Christian Friedrich sei es, wird gesagt. Er schaut auf das Meer hinaus. Dort ziehen zwei Segelboote wie kleine weiße Traumschiffe ihre Bahn.
Zurückgekehrt nach Dresden und erfüllt von den Naturschönheiten der Insel Rügen berichtet der Maler dem Freund Carl Gustav Carus von der Wanderung. Durch die bildhafte Schilderung angeregt wird Carus in Bälde ebenfalls eine Ostsee-Reise unternehmen und Caspar David Friedrichs Gemälde die gefühlte Stimmung beigeben: „Wir wanderten nun den Fußweg durch die grünen Laubgänge, indem von weitem schon das Rauschen des Meeres mit dem nahen Spiel des Windes in den Blättern sich mischte. Mit eins öffnet sich der Wald, wir stehen an den abstürzenden Kreideklippen des Königstuhls, junge Rotbuchen wehen mit ihren weit hinabhängenden Ästen über der tief unten brausenden Brandung, und in breiter Ausdehnung bis an die feine Linie des Horizonts dehnt sich der blaugraue Spiegel der Ostsee.“
An diesem schönen Bild hat sich bis auf den Tag, von der Verformung der „Kreideklippen“ abgesehen, kaum etwas geändert.