16. Jahrgang | Nummer 8 | 15. April 2013

Vom Protest zum Widerstand

In Ungarn katapultiert die von der Regierung unter Viktor Orbán
beschleunigte demokratiefeindliche Rechtsentwicklung ein Mitgliedsland der EU
zurück in eine Epoche unseligen Angedenkens des 20. Jahrhunderts,
als vielerorts in Europa der Faschismus auf dem Vormarsch war.
Auch
Das Blättchen hat sich bereits damit auseinandergesetzt.
In der April-Ausgabe der Zeitschrift
Theater der Zeit rufen 40 Intellektuelle dazu auf,
dieser Entwicklung mehr als nur verbale Opposition entgegenzusetzen
und eine international vernetzte Gegenöffentlichkei
t zu schaffen,
um damit den Widerstand gegen das Orbán-Regime zu verstärken.
Die Redaktion

„Ja, ja … Es gibt die Appelle und Artikel, Protestresolutionen und Briefe, Podiumsdebatten und Filmdokumentationen über und gegen die systematische Faschisierung in Ungarn, aber alles waren bisher nur Aktionen der Vergeblichkeit. Mit den üblichen Protest-Gepflogenheiten der demokratischen Zivilgesellschaft lässt sich in und gegen Ungarn nichts mehr ausrichten.
Die ungarische Regierung Orbán verwandelt den Staat unbeeinträchtigt in ein Rechtsregime. Das politisch institutionalisierte Europa schaut tatenlos zu. Und die Intellektuellen schweigen auf nicht nachvollziehbare Weise; ihre Aktionen dienen allenfalls der Beruhigung des eigenen Gewissens. Es ist höchste Zeit, dass die Intellektuellen Europas ihre Untätigkeit und Selbstaufgabe beenden und in die Situation Ungarns, das sich zu einem Fäulnisherd Europas entwickelt, eingreifen. Vorschlag: Von Wien aus sollte auf einem Strategiekongress eine mächtige Druckwelle der Gegenöffentlichkeit gegen die ungarische Politik ins Werk gesetzt werden. Der Filmtitel ‚Die Wahl der Waffen‘ ist eine Aufforderung an das geistige Europa, zusammen die bisherigen Mittel der Auseinandersetzung zu überdenken und zu einer neuen Radikalität zu finden.
Der Pariser Kongress von 1935 ‚Zur Verteidigung der Kultur‘ und die ‚Kafka-Konferenz‘ von 1963 könnten wichtige Impulse geben. Philosophen und Publizisten, Musiker und Wissenschaftler, Theatermenschen und Filmemacher, bildende Künstler und Dichter, Greenpeace-Aktivisten, Internet- und SMS-Multiplikatoren – alle, die eine eingreifende Praxis zugunsten eines demokratischen und republikanischen Ungarns miteinander verbindet, sollten in einem europäischen Netzwerk von neuer medialer Qualität agieren und Ungarn auf zeitgemäße Weise befreien.“

Klaus Pierwoß, Karin Beier, Matthias Brandt, Roberto Ciulli, Manfred Eichel, Pavel Fieber, Detlev Glanert, Matthias Hartmann, Christoph Hein, Rudolf Hickel, Jürgen Hofmann, Maria Husmann, Elfriede Jelinek, Hedda Kage, Ulrich Khuon, Burghart Klaußner, Joachim Klement, Benjamin Korn, Laszlo Kornitzer, Barrie Kosky, Asteris Koutoulas, Johann Kresnik, Helmut Lachenmann, Susanne Linke, Joachim Lux, Gerhard Mohr, Harald Müller, Barbara Mundel, Thomas Ostermeier, Armin Petras, Frank Raddatz, Helmut Schäfer, Jürgen Schitthelm, Friedrich Schorlemmer, Edgar Selge, Frank-P. Steckel, Thomas Thieme, Dominique Valentin, Antje Vollmer, Franziska Walser, Hans-Eckardt Wenzel, Ursula Werner, Jossi Wieler, Klaus Zehelein

Lesetipp zum Thema: Erhard Crome: Ungarns „Wende“: ein Laborversuch, spotless im Verlag Das Neue Berlin, Berlin 2012, 95 Seiten, 5,95 Euro.