16. Jahrgang | Nummer 6 | 18. März 2013

„Was blasen die Trompeten?“

von Gerd Kaiser

In der Sonderausgabe des Blättchens vom 22. Oktober 2012 wurde Marek Kornats Buch „Polen zwischen Hitler und Stalin. Studien zur polnischen Außenpolitik in der Zwischenkriegszeit“ besprochen. Sein junger Verfasser, Jahrgang 1971, ist bereits ein ausgewiesener und mehrfach ausgezeichneter Wissenschaftler mit Verdiensten in Lehre und Forschung. Der Professor an der Kardinal-Wyszynski-Universität zu Warschau ist zudem Leiter einer Arbeitsstelle zur Geschichte des zweiten Weltkrieges am Institut für Geschichte der Polnischen Akademie der Wissenschaften. Er hat auch Meriten als Autor weiterer umfassender Studien zur polnischen Außenpolitik zwischen erstem und zweitem Weltkrieg und als Mitherausgeber von Quelleneditionen zu diesem Thema. Veröffentlichte er doch seit 2001 nahezu Jahr für Jahr ein sorgfältig dokumentiertes Buch zur polnischen Diplomatie und Außenpolitik.
Inzwischen ist er in eine handfeste politische Auseinandersetzung mit dem polnischen Publizisten Piotr Zychowicz verwickelt. Dieser war seit mehr als einem Jahrzehnt mit der einflussreichen und stockkonservativen Zeitung Rzeczpospolita verbunden und ist seit Anfang diesen Jahres Stellvertreter des Chefredakteurs der neugegründeten Wochenzeitung Do Rzeczy, zu deutsch: Zur Sache.
Den Anlass zur Sache lieferte ein Buch von Zychowicz, das seit August vorigen Jahres in Warschau vermarktet wird. Sein Titel: „Ein Pakt zwischen Ribbentrop und Beck“. Obwohl es einen solchen Pakt niemals gegeben hat, wurden seit dem Erscheinen nicht nur an die 30.000 Exemplare verkauft, sondern in Zeitungen, Zeitschriften und im Internet entwickelte sich überdies ein veritabler Streit. Dessen Kern wird ist im provokatorischen Untertitel des Buches formuliert: „Wie Polen an der Seite des Dritten Reiches die Sowjetunion hätte besiegen können“. Offenbar eine verlockende Geschichtskorrektur für nicht wenige Polen, gepaart mit hämischen Urteilen über die derzeit regierende politische Elite und deren Außenpolitik. Diese Elite werde ihrer Führungsaufgabe weder in Bezug auf den östlichen Nachbarn Russland noch gegenüber dem westlichen Nachbarn Polens, Deutschland, gerecht, wie seinerzeit auch die Politik des polnischen Außenministers Jozef Beck gegenüber den beiden Nachbarstaaten, Polens Interessen nicht gerecht geworden sei.
Piotr Zychowicz, Jahrgang 1980, Verfasser dieser blutigen Träumerei an polnischen Kaminen, versteht sich als Mann „alternativer Geschichtsschreibung“. Er urteilt, respektive verhängt Urteile nicht auf Grund von wissenschaftlichen Forschungen, sondern er stellt sich und seinen zigtausend Lesern die Geschichte so dar, dass sein fabulierter deutsch-polnischer Pakt sogar ein Waffenbündnis und dieser einen deutsch-polnischen Angriff auf die Sowjetunion möglich gemacht hätte. Als Voraussetzungen dafür hätte Polen, wenn es nach Zychowicz gegangen wäre, die von Hitler angemeldeten Forderungen des Deutschen Reiches – die Auslieferung der Freien Stadt Danzig ans Reich und die Genehmigung für den Bau einer exterritorialen Autobahn von Pommern durch den polnischen Korridor nach Ostpreußen – annehmen sollen. Nicht genug damit, hätte Polen auch seine damals 40 Divisionen an die Seite der Wehrmacht an einer 1939 zu eröffnenden „Ostfront“ stellen und in einem Siegesmarsch Moskau nicht nur erobern, sondern auf die Knie zwingen sollen. Der Untergang von Stalins Imperium wäre, so Zychowicz, besiegelt gewesen.
Nach erhofftem „siegreichen Vorgehen gegen Moskau“ hätte sich Polen, so der „Stratege“ Zychowicz weiter, von seinem nazideutschen Bündnispartner lösen, die Front wechseln können. Nunmehr wäre Polen gemeinsam mit den von dem Warschauer Wahrsager erträumten alleinigen Siegern Großbritannien und USA der lachende Dritte seines selbst gestrickten Vorgehensmusters geworden.
Diese für eine gewisse Schicht der polnischen Eliten verlockende Vergangenheitskorrektur, die ohne Berücksichtigung auch nur einer einzigen Tatsache des realen Geschichtsverlaufes und des damaligen Kräfteverhältnisses in Europa auskommt, in die Gegenwart projiziert zu haben, ist eine der Ursachen für die massenhafte Zustimmung zu den, knapp gesagt, hirnrissigen Vorstellungen eines Scharlatans mit politischen wie wissenschaftlichen Ansprüchen. Seine Phantasmagorien „befreien“ Polen aus dem Komplex der Opferrolle in der Geschichte und „erheben“ es in die Rolle eines Siegers im Zweiten Weltkrieg. Offenbar ein erhebendes Gefühl nicht zuletzt für die Kaczynski-Truppen, die besonders nach der Flugzeugkatastrophe vor den Toren von Smolensk, außenpolitisch gegenüber Rußland Gewehr bei Fuß stehen.
Dagegen hält Kornat seine tatsachengestützte nüchterne Analyse über Polens Geschichte im Spannungsfeld zwischen Sowjetrußland und Deutschland, zwischen Versailler Vertrag 1919 und 1939. Das waren zwei Jahrzehnten, in denen Polen eher ein Objekt denn ein Subjekt der internationalen Beziehungen in Europa gewesen ist.
Kornat nutzt erstmalig vielfältige archivalische Quellen, unter anderem den Litwinow-Nachlass im Außenpolitischen Archivs Rußlands, den Nachlass Stalins im Staatsarchiv Rußlands für Sozial-Politische Forschungen sowie das Politische Archiv des Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik und diverse Archive in Polen und weiteren Staaten. Seine Studien widerlegen an Hand von Tatsachen die ausgeklügelten historischen Visionen Zychowiczs.
Kornats „Polen zwischen Hitler und Stalin“ benennt die komplexen Schwierigkeiten, mit denen die Außenpolitik des 1918 wieder erstandenen Staatswesens Polen konfrontiert war. Die Publikation analysiert die Handlungsoptionen der polnischen Außenpolitik im Grenzbereich zwischen Diplomatiegeschichte und zeitgenössischen gesellschaftspolitischen Debatten in Polen, zu denen auch der politisch geprägte Historikerstreit gehört, an dem Kornat. aber auch französische Historiker wie Daniel Beauvois und polnische Publizisten wie Adam Michnik teilnehmen.
Der „Status Polens als Bündnispartner des III. Reiches“ ist für Kornat eine absolut ausgeschlossene politische Option, und dies in einer Situation, als keine polnische Regierung in der Lage gewesen wäre, den Nichtangriffsvertrag zwischen dem Deutschen Reich und der Sowjetunion zu verhindern und zugleich die Verwirklichung der militärischen Bündnisverpflichtungen Frankreichs und Großbritanniens Polen gegenüber durchzusetzen.