15. Jahrgang | Nummer 21 | 15. Oktober 2012

Kleine Anfrage(n)

von Wolfgang Brauer

Meine Liebste empfindet, so sagt sie jedenfalls, angesichts zweier elementarer Bestandteile des parlamentarischen Lebens immer große Freude: beim Lesen der Zwischenrufe in den Plenarprotokollen („dem Salz in der parlamentarischen Suppe“, wie es einmal ein alter präsidialer Haudegen formulierte) und bei dem Begriff Kleine Anfrage.
Die Kleine Anfrage unterscheidet sich von der Grossen Anfrage weniger durch ihre Länge, sondern eher dadurch, dass Letztere im Plenum diskutiert werden kann und hauptsächlich dem Vorführen der Regierung durch die Opposition dient. Beauftragt die Regierung eine Grosse Anfrage durch eine Regierungspartei, wird das kaum beachtet. Man weiß, es ist blanke Lobhudelei. Eine SPD-Abgeordnete ließ sich vor einigen Jahren im Berliner Landesparlament einmal zu der Mündlichen Frage hinreißen: „Stimmen Sie mir zu, Herr Senator, dass Ihre Politik gut ist?“ Das brachte es so ziemlich auf den Punkt.
Die Kleine Anfrage hingegen darf auch der letzte Hinterbänkler ziemlich unzensiert absondern. Sie ist bei ministeriellen Verwaltungen unbeliebt, da sie meist erheblichen Arbeitsaufwand provoziert, der dann oft in der Ablage endet. Allerdings ist sie ein treffliches Mittel, die eigene Bedeutung zu kitzeln und zum Beispiel in Wahlkämpfen gehörig herauszustreichen („Ich habe in der vergangenen Wahlperiode 666 Kleine Anfragen gestellt und Sie, Herr Kollege, nur 432!“). Schön macht sich so etwas auch in den Zeiten, in denen die Haupthähne der Parteien an fremden Stränden herumlungern und das mediale Sommerloch zu füllen ist. Auch in diesem Jahr – es ist Herbstanfang – lässt sich aus den Sommernummern zum Beispiel des Berliner Landespressedienstes wieder Wundersames herausdestillieren.
Im Juli stolperte der Abgeordnete Alexander J. Herrmann (CDU) offenbar über Pferdeäpfel im Großen Tiergarten und stellte flugs eine Kleine Anfrage über „Stunk in der Stadt“ (Drucksache 17/10 758). Er wollte wissen, was der Senat gegen die „Verunreinigung auch der touristischen Fuß- und Uferwege längs des Schlosses Bellevue und des Bundeskanzleramtes durch Pferdemist“ zu tun gedenke. Der Senat teilte mit, dass die Nichtbeseitigung der Pferdeäpfel durch die Verursacher (die Pferde?) eine bußgeldpflichtige Ordnungswidrigkeit sei. Am Bundespräsidialamt und am Bundeskanzleramt könne aber „allenfalls durch die Pferdestaffel der Bundespolizei“ Mist verursacht werden. Der ist offenbar nicht bußgeldpflichtig. Und auf dessen Vermeidung habe das Tiefbauamt in Mitte keinen Einfluss … Der Abgeordnete Herrmann wird sich also andere Spazierwege oder anderes Schuhwerk suchen müssen. Oder hatte etwa die First Lady ihn eingeschaltet? Fragen über Fragen.
Bereits am 7. Juni (Drucksache 17/10 579) wollte der Abgeordnete Stefan Gelbhaar (Grüne) wissen, wie sich der Journalismus in Berlin entwickeln werde. Die Antwort kam allerdings erst am 15. August und der Regierende Bürgermeister musste zum Antworten offenbar gezwungen werden. Gelbhaar unterteilte seine Kleine Anfrage nämlich in 19 Unterfragen, im Wortsinne also eine Grosse Anfrage. Sei’s drum, Klaus Wowereit antwortete dann doch, aber auf die ihm eigene Art: auf fünf Fragen mit „Entfällt“ und einmal lapidar mit „Nein“. Blieben 13 Fragen übrig und bei denen argumentierte die Senatskanzlei mit einer gewissen Berechtigung, dass eine Bewertung des hauptstädtischen Pressewesens „nicht Aufgabe der Berliner Landesregierung“ sei. Hätte sich die Berliner Landesregierung zu Anderem hinreißen lassen, so wäre der Abgeordnete Gelbhaar der erste gewesen, der mit lautem Zeter-und-Mordio-Geschrei sich voller Abscheu gegen diese unzulässige Art von Medienzensur gestellt hätte. Stefan Gelbhaar war drei Jahre lang Landesvorsitzender der Bündnisgrünen und ist ein junger, aufstrebender Mensch. Für seine sehr umfängliche Kleine Antwort interessierte sich aber noch nicht einmal die grünenhörige taz, auch die anderen Postillen zeigten sich an ihrer Zukunft nicht interessiert.
Am 3. Juli wollte sich der Piraten-Abgeordnete Gerald Claus-Brunner endlich einmal mit etwas politisch Korrektem in das große Buch der Berliner Landesgeschichte einschreiben –bislang fiel er hauptsächlich durch Latzhosen, Palästinensertuch und Kritik am innerparteilichen „Titten-Bonus“, wie er es nannte, auf. Claus-Brunner wollte wissen, was denn eigentlich ein „Sitzplatz“ (!) bei BVG und S-Bahn koste. Die Antwort (Drucksache 17/10 716) ist interessant, aber bislang ebenfalls folgenlos: „Pro befördertem Fahrgast und pro Verkehrsmittel“ fielen 2011 Kosten in Höhe von 0,38 Euro (U-Bahn), 0,68 Euro (Straßenbahn) und 0,94 Euro (Bus) an. Wie bei guten Versicherungsverträgen steckt aber auch in der Antwort auf des Piraten Kleiner Anfrage die Bösartigkeit im Kleingedruckten: „* u.a. ohne Verkehrsinfrastruktur, Zinsen, Rückstellungen für Personalmaßnahmen“. Die „Personalmaßnahmen“ sind die Pensionszahlungen für die seinerzeit verbeamteten Busfahrer West-Berlins. Das Einzelticket kostete 2011 in Berlin trotz der geringen „Sitzplatzkosten“ allerdings 2,30 Euro. Diese Differenz wird vom Senat wahrhaft poetisch erklärt: „Es ist nicht sinnvoll einen direkten Zusammenhang zwischen dem Preis für Einzelfahrscheine und den Kosten pro Sitzplatz bzw. pro Fahrgast auszuweisen.“ Aha. Und wenn Sie stehen müssen, sind Sie selber Schuld. Ausweislich der Senatsstatistik sind die Berliner öffentlichen Verkehrsmittel nämlich noch miserabler ausgelastet als die Opernhäuser: die U-Bahn nur zu 18,1 Prozent, die Straßenbahn nur zu 17,3 und die Busse gar nur zu 15,6 Prozent! Nur bei der S-Bahn waren die Zahlen besser: „Die (Sitzplatz-) Auslastung der im Jahr 2011 eingesetzten S-Bahnen betrug 41,7%.“ Aber 2011 waren ja sowieso die meisten Züge kaputt und warteten auf ihre Reparatur.
Die schönste Kleine Anfrage, die ich kenne, liegt aber leider schon einige Jahre zurück. Da hatte sich der Abgeordnete Giyasettin Sayan (PDS) nach den Reinigungskonditionen der parlamentarischen Klobrillen erkundigt. Man fand auf einigen von ihnen wohl Spuren von Kokain. Es stellte sich aber später heraus, dass dies die Sanitärmöbel des Deutschen Bundestages und nicht die des Berliner Abgeordnetenhauses betraf …