von Ulrich Busch
Noch ist die Kuh nicht vom Eis, die Anzeichen aber mehren sich dafür, dass es den Euro-Staaten gelingen wird, ihre Währung zu retten. Aber zu welchem Preis! Zum einen ist es die Souveränität der Euro-Staaten, die spürbar beschnitten wird, wenn über ihre Finanzpolitik künftig in Brüssel (mit-)entschieden wird und sie nicht mehr allein den Regierungen in Paris, Dublin, Lissabon, Madrid und Athen obliegt. Die Koordinierung und Vereinheitlichung der Finanzpolitik wäre zugleich aber auch ein wichtiger Schritt in Richtung einer stärkeren europäischen Integration und würde bedeuten, dass Europa politisch weiter zusammenwächst. Insofern sollte man eine derartige Konsequenz eher begrüßen als bedauern. Die Maßnahmen zur Krisenbewältigung und -prävention wirken hier lediglich als Katalysator, um den Prozess der europäischen Integration voranzubringen.
Zweitens kostet die Rettung des Euro viel Geld, wovon Deutschland den größten Posten zu tragen hat. Einmal durch die anteilige Bereitstellung der Mittel (Garantien) für die Rettungsschirme EFSF und ESM. Dann durch die „Hilfspakete“ für Griechenland, Irland, Portugal, Zypern und andere Länder, welche dadurch vergleichsweise günstig verzinste Kredite erhalten haben. Und schließlich durch den Schuldenschnitt gegenüber Griechenland, wodurch private Gläubiger einen Teil ihres Geldes verloren haben und möglicherweise bald auch die Europäische Zentralbank einen Teil ihrer Forderungen abschreiben muss. Stellt man demgegenüber aber in Rechnung, wieviel Geld Deutschland und den anderen Gläubigerstaaten verloren ginge, wenn Griechenland, Portugal und Spanien Insolvenz anmelden und aus der Eurozone austreten würden, so sind die bisher geflossenen Summen „Peanuts“. Sie werden von den Vorteilen einer Fortsetzung der Währungsunion weit übertroffen, ganz abgesehen von den außenwirtschaftlichen Gewinnen, welche insbesondere von Exportstaaten wie Deutschland seit 1999 eingestrichen worden sind.
Mit dem Verlust staatlicher Souveränität auf dem Gebiet der Finanzpolitik und den Kosten für die Rettung finanzschwacher Volkswirtschaften ist der Preis für die Euro-Rettung jedoch noch nicht vollständig bezahlt. Es gibt womöglich noch eine dritte Konsequenz, das Anziehen der Inflation. Der Grund hierfür ist im Fluten der monetären Kanäle durch die Notenbanken zu sehen, wodurch den Geschäftsbanken ausreichend Liquidität zur Verfügung gestellt wird und eine krisenverschärfende Geldverknappung verhindert werden soll. Ein Nebeneffekt dieser an und für sich vollkommen richtigen Maßnahme – einer Lehre aus der Weltwirtschaftskrise von 1929 – besteht jedoch im tendenziellen Anstieg des allgemeinen Preisniveaus.
Der ökonomische Zusammenhang, der diesem Effekt zugrunde liegt, ist jedoch komplexer Natur und in seinem Wirkungsablauf komplizierter als dies gemeinhin angenommen wird. Auf jeden Fall aber ist er nicht so, wie man ihn sich mitunter am Biertisch oder hinter der Bildzeitung vorstellt. Die Missverständnisse resultieren zumeist daher, dass ein Faktor für das Anziehen der Inflation, die Zunahme der Geldmenge, als Ursache für den Preisanstieg verabsolutiert wird. Zudem wird die Geldmengenexpansion häufig auch noch mit einer Zunahme des Zentralbankgeldes gleichgesetzt, woraus sich weitere Fehlschlüsse ergeben.
Tatsächlich hängt der Anstieg des Preisniveaus von der Entwicklung des Verhältnisses von Angebot und Nachfrage ab. Nur wenn die Nachfrage das Angebot deutlich übersteigt, ziehen die Preise an. Dies ist die notwendige Bedingung für eine Inflation. Die Geldmengenexpansion bildet demgegenüber lediglich die hinreichende Bedingung. Für sich genommen bewirkt sie keine inflationäre Preisentwicklung, schafft aber den Spielraum dafür. Der wird aber erst dann ausgefüllt, wenn sich die Wirtschaft belebt, die Konjunktur in einen Aufschwung übergeht.
Gegenwärtig befinden sich die europäischen Volkswirtschaften in einer anhaltenden Rezession. Dies gilt auch für Deutschland, obwohl der Abschwung hier vergleichsweise moderat ausgefallen ist. Die Folge ist, dass in Europa trotz weit geöffneter Geldschleusen und maximaler Emissionsaktivitäten der Zentralbank die Inflation momentan nicht anzieht. Sie liegt derzeit im Euroraum bei +2,6 Prozent, in Deutschland bei +2,1 Prozent. Betrachten wir die letzten Jahre, so lag die deutsche Inflationsrate im Durchschnitt durchweg im „grünen Bereich“: 2009 bei +0,4 Prozent, 2010 waren es +1,1 Prozent und 2011 +2,3 Prozent. Seitdem schwankt sie zwischen +1,7 und +2,3 Prozent. Die sich gegenwärtig breit machende Angst vor einer rasch zunehmenden Inflation ist also unbegründet.
Und das viele Geld? Wo bleibt das, könnte man fragen, wenn die Preise nicht anziehen. Das Geld, von dem hier die Rede ist, ist Zentralbankgeld. Es zirkuliert unter den gegebenen Bedingungen zwischen der Zentralbank und den Geschäftsbanken, nicht aber beim Publikum. Dorthin würde es erst dann – und nur dann – gelangen, wenn sich die Geschäftsbanken mit einer massiv ansteigenden Nachfrage nach Krediten konfrontiert sehen. Davon aber kann in einer konjunkturellen Flaute keine Rede sein. Also parken die Banken das Zentralbankgeld bei der Zentralbank, als Reserve und Puffer für Liquiditätsengpässe. Es bleibt ihnen gegenwärtig gar nichts anderes übrig. Da das von der Zentralbank emittierte Geld wegen fehlender Nachfrage nach Krediten oder unzureichender Sicherheiten nicht an die Unternehmen und die privaten Haushalte weiter gereicht wird, wird es nicht als Nachfrage wirksam und generiert folglich auch keine inflationäre Preisentwicklung. Genau genommen steigt nicht einmal die Geldmenge, da das Geld innerhalb des Bankensektors verbleibt. – Dies gilt es erst einmal zu begreifen, bevor man über weitergehende Wirkungen diskutiert.
Solche gibt es durchaus, einmal durch die konjunkturelle Entwicklung, zum anderen durch den Import inflationärer Effekte, drittens durch die Verlagerung der Inflation von den Gütermärkten zu den Vermögensmärkten … Der zuerst genannte Prozess ist einleuchtend: wenn die Konjunktur in einen Aufschwung eintritt oder gar in einen Boom, dann steigen die Preise und wenn genügend Geld verfügbar ist, ist dies erst recht der Fall. Mit einer derartigen Entwicklung ist aber hierzulande frühestens 2014 zu rechnen. Inflationsraten von drei bis vier Prozent können daher mittelfristig nicht ausgeschlossen werden. Der zweite Aspekt hat wesentlich etwas mit dem Ölpreis zu tun, welcher unberechenbar ist und der von vielfältigen Determinanten abhängt. Der dritte Gesichtspunkt findet zunehmend auch in Deutschland Aufmerksamkeit. Er ist so zu verstehen, dass die Güterpreise, auf welche sich die Inflationsmessung bezieht, zwar verhältnismäßig gering ansteigen, bestimmte Vermögenswerte aber, sogenannte Assets, einen rapiden Preisanstieg verzeichnen. Dies gilt für Immobilien, für Aktien und andere Wertpapiere, aber auch für Gold, Kunstwerke und Porzellan. Auf diese Weise entstehen „Blasen“, Preis- und Vermögensblasen, die irgendwann platzen und dadurch monetäre und realwirtschaftliche Verwerfungen auslösen.
Die eine oder andere Art von Inflation wird uns in den nächsten Jahren ereilen. Dies scheint ausgemacht und ist kaum zu vermeiden. Es ist der Preis, den Deutschland und die anderen Eurostaaten für die Rettung ihrer Gemeinschaftswährung zu zahlen haben. Volkswirtschaftlich betrachtet ist dieser Preis aber weder zu hoch noch wirklich schmerzlich. Sofern die inflationäre Geldwertentwicklung nicht außer Kontrolle gerät und sich im Rahmen einer moderaten Entwertung vollzieht, ist sie sogar wünschenswert. Denn sie wäre mit einem konjunkturellen Aufschwung verbunden und würde diesen geldseitig zusätzlich befeuern. Und sie würde die hohen Schuldenstände und Vermögen real abwerten und dadurch die zu groß gewordenen Unterschiede zwischen Vermögenden und Vermögenslosen, zwischen Gläubigern und Schuldnern etwas einebnen. Die leistungslosen Einkommen aus Vermögensanlagen würden sinken und den Staaten fiele es leichter, ihren Schuldendienst zu leisten.
Anstatt diffuse Ängste vor einem möglichen Anstieg der Inflationsrate um ein oder zwei Prozentpunkte zu schüren, sollte besser darüber aufgeklärt werden, welches die tatsächlichen volkswirtschaftlichen Effekte einer solchen Entwicklung wären. Dann würde eine moderate Inflation vielleicht auch als ein akzeptabler „Preis“ für die europäische Stabilität begriffen werden.
Schlagwörter: Euro-Zone, Finanzpolitik, Inflation, Integration, Ulrich Busch