15. Jahrgang | Nummer 7 | 2. April 2012

Killer vom Himmel

von Sarcasticus

Es soll ja in den USA Menschen geben, für die Barack Obama immer noch eine Art Hoffnungsträger ist und die ihn wiederwählen werden. Dafür kann man sogar ein gewisses Verständnis aufbringen, wenn man sich das Personal betrachtet, dass die Republikaner für die Präsidentschaftswahl ins Rennen schicken.
Allerdings ändert das nichts an dem Sachverhalt, dass der Friedensnobelpreisträger Obama seit Kennedy, also seit 50 Jahren, derjenige US-Präsident ist, bei dem die Kluft zwischen Erwartungen, die er selbst geweckt hatte und die ihm zusätzlich von Medien und Öffentlichkeit entgegengebracht worden sind, und der Realität seines Agierens am tiefsten (oder am breitesten – vielleicht beides) ist. Zum Beleg dessen genügte allein der Verweis auf das entgegen Obamas früher Ankündigung immer noch nicht geschlossene Gefangenenlager in Guantanamo, dessen gesamter Betrieb, nicht nur die zu Obamas Vorgänger Zeiten dort angewandten Foltermethoden (Stichwort: water boarding), die US-Regierung und ihr Exekutivpersonal mindestens ethisch-moralisch in eine Reihe mit jenen angeblichen oder tatsächlichen Terroristen stellt, die in Guantanamo weggesperrt sind.
Es gibt aber noch einen weiteren, noch barbarischeren Aspekt in der amerikanischen Politik, den Obama – zugleich oberster Kriegherr seines Landes – zu verantworten hat: Das ist der zunehmende Einsatz unbemannter Flugkörper, so genannter UAVs (unmanned aerial vehicles, zu deutsch: Drohnen), zur gezielten Tötung von Menschen im Ausland – von als Feinde Amerikas eingestuften Angehörigen fremder Nationen, aber auch von eigenen Staatsbürgern. Unter Inkaufnahme von Kollateralschäden in Gestalt des Todes von Frauen, Kindern, Greisen und anderen Zivilisten, deren einziges „Vergehen“ darin bestand, zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort gewesen zu sein. Seit 2004 sind Schätzungen zufolge bereits über 2.300 Menschen auf diese Weise exekutiert worden. Offizielle Angaben dazu gibt es naturgemäß nicht, und so sind auch keine gesicherten Aussagen darüber zu treffen, ob die Zahl der zivilen Nebenbeiopfer „nur“ in die Hunderte geht, wie manche Quellen meinen, oder deutlich höher liegt. Als Obama Ende Januar erstmals öffentlich die systematischen Drohneneinsätze über pakistanischem Gebiet bestätigte, die zwar längst von amerikanischen Medien thematisiert worden waren, offiziell aber der Geheimhaltung unterlagen, wiegelte er ab: Diese Angriffe würden „keine große Anzahl ziviler Opfer“ nach sich ziehen.
Obamas Rechtfertigung für die Killerangriffe vom Himmel: Die Schläge mittels Drohen seien „präzise Angriffe gegen Al-Quaida“.
Die Einsätze „luftgestützter Scharfschützensysteme“ – der Begriff stammt aus einer Analyse des Centers for Security Studies der ETH Zürich vom Sommer 2010 – sind während Obamas Regierungszeit stark ausgeweitet worden. Während die Bush-Administration in ihrer gesamten zweiten Amtszeit von 2004 bis 2007 keine 20 derartigen Einsätze genehmigte, waren es allein in Obamas erstem Regierungsjahr bereits über 30. Ein Höhepunkt wurde 2010 mit fast 120 Einsätzen erreicht. Während für die entsprechenden Waffensysteme und die notwendige Logistik 2002 erst 550 Millionen Dollar ausgegeben wurden, hat sich der Betrag inzwischen verzehnfacht, auf heute fünf Milliarden – Tendenz: atemberaubend aufwärts. Nicht zuletzt, weil das US-Rüstungsbudget längst über das Maß dessen, was selbst eine Volkswirtschaft wie die amerikanische auf Dauer verkraftet, aufgebläht ist und in den nächsten Jahren 500 Milliarden Dollar eingespart werden sollen, wird manpower künftig noch stärker durch den Einsatz unbemannter Flugkörper ersetzt werden. Schon längst bildet die US-Luftwaffe mehr Piloten für Drohneneinsätze als für Kampfflugzeuge aus.
Parallel dazu wurden militärische Einrichtungen in den USA sowie Stützpunkte in verschiedenen Regionen der Welt (unter anderem in Australien, auf den Seychellen, in Äthiopien) für Drohneneinsätze ausgebaut, um nahezu jeden relevanten Punkt des Globus ständig und schnell erreichen zu können. Die UAVs starten „einsatzgebietsnah“; die Fernsteuerung erfolgt laut Washington Post aus zwei Operationszentralen an der Ostküste sowie im Südwesten der USA.
Nach Angaben von Time verfügen die amerikanischen Streitkräfte derzeit über rund 7.000 Drohnen. Die meisten davon sind (noch) nicht als Waffenträger ausgelegt, sondern dienen Aufklärungs- oder – etwas unfreundlicher gesagt – Spionagezwecken. Als „Arbeitspferde“ im Drohnenbestand gelten ob ihrer Waffenlast und extrem langen Verweildauer in der Luft im Vergleich zu Kampfflugzeugen die Modelle MQ-1 Predator (Waffenlast: knapp 500 Kilo; Verweildauer: bis zu 40 Stunden; Dienstgipfelhöhe: über 7.500 Meter; Reichweite: 3.700 Kilometer; Produktion läuft aus; Nachfolgemodell – Avenger) und MQ-9 Reaper (Waffenlast: bis zu 1,3 Tonnen; Verweildauer: bis zu 30 Stunden; Dienstgipfelhöhe: über 15.000 Meter; Reichweite: 5.900 Kilometer). Verteidigungsminister Leon Panetta will die Drohnenbestände in den nächsten Jahren um 30 Prozent aufstocken.
Die militärischen Vorteile dieser Art von Kriegführung liegen in den Augen ihrer Befürworter auf der Hand: Über transkontinentale Entfernungen und selbst in unwegsamem Gelände oder in am Boden unübersichtlichen Städten können als feindlich eingestufte Individuen aus der Luft und für diese unbemerkt identifiziert, über längere Zeiträume verfolgt und quasi beliebig – im Wortsinne: aus heiterem Himmel – liquidiert werden. Und dies ganz ohne physisches Risiko für das beteiligte US-Personal. (Die Streitkräfte stellen das technische Personal, die Hardware und die Logistik; die Einsatzleitung liegt bei der CIA.) Einer angesichts der Konflikte im Irak und in Afghanistan zunehmend kriegsmüden Nation müssen nach solchen Einsätzen grundsätzlich keine beflaggten Särge zugemutet werden! Peter Singer, Militärexperte der Brookings Institution in Washington, machte in diesem Zusammenhang völlig zu recht auf folgendes aufmerksam: „200 Jahre lang waren amerikanische Kriegserklärungen immer damit verbunden, dass so ein Krieg auch US-Menschenleben kosten würde.“ Das sei mit Drohnen ganz anders. Dass dies die Hemmschwelle zur Autorisierung von Killereinsätzen bei den politischen Entscheidungsträgern erheblich senken kann, machen die steigenden Einsatzzahlen der letzten Jahre mehr als deutlich.
Die Grundsätze des Rechtsstaates und die Regeln des Völkerrechts bleiben dabei gleichermaßen auf der Strecke. Zum rechtsstaatlichen Aspekt resümierte jüngst der Spiegel: „Unter Federführung des Geheimdienstes CIA werden irgendwo auf der Welt Menschen per Knopfdruck getötet – ohne Anklage, ohne die Verpflichtung, Beweise für ihre Schuld vorzulegen.“ Und was die völkerrechtliche Seite anbetrifft: Die Tötungseinsätze finden auf dem Territorium anderer Staaten statt – ob Pakistan, ob Jemen. Spionageflüge werden im Luftraum vieler weiterer Länder unternommen. Souveränitätsverletzungen stellen beide Arten von Drohneneinsätzen dar. Die Botschaft der USA, so schrieb Jost Müller-Neuhof kürzlich im Tagesspiegel, lautet: „Krieg ist da, wo unsere Drohnen hinfliegen […]. Und unser Feind ist, auf wen sie zielen.“
Am 5. März verteidigte der amerikanische Justizminister Eric Holder die gezielte Tötung von angeblichen oder tatsächlichen Terroristen in einer Rede an der Northwestern University in Chicago als „völlig legal (Hervorhebung – d. Red.) – sowohl nach US-Recht als auch nach maßgeblichen Prinzipen des Kriegsrechts“ („entirely lawful – under both United States law and applicable law of war principles“). Kritiker, die von Mordanschlägen („assassinations“) sprechen, wies er anschließend mit dem trefflichen Argument in die Schranken: Die Verwendung „dieses aufgeladenen Begriffes“ sei „unangebracht“, denn – „Mordanschläge sind ungesetzliche (Hervorhebung – d. Red.) Tötungsakte.“ („Assassinations are unlawful killings.“) Wie hieß es doch in Morgensterns Gedicht „Die unmögliche Tatsache“? „Weil, so schließt er messerscharf, / nicht sein kann, was nicht sein darf.“