15. Jahrgang | Nummer 5 | 5. März 2012

Eröffnungen

von Korff

Eigentlich handelt dies weniger von einer Eröffnung vermittels denn für Korff und andere. Gemeint sind ein Ereignis und ein darüber erfolgter Sendebericht des von politischem Einfluss freien, weil gebührenpflichtigen Deutschlandradio. Letzterer mit dem Titel: „Von der Schwierigkeit, ein Denkmal zu sanieren. Erich Mielkes Dienstsitz in der Normannenstraße wurde saniert“. Darin hieß es unter anderem: „Die Etage, in der Erich Mielke residierte, ist original erhalten und wurde, wenig sichtbar, restauriert. Mielkes Arbeitsräume sind – groß. Parkettfußboden mit rotem Teppich, ein überdimensionierter Schreibtisch aus braunem Holz, zwei schwarze Telefone darauf, an der Seite eine große Telefonanlage, Holzstühle mit blauem Bezug, an den Wänden Holz, in den Nebenräumen Tische und Sessel für größere Besprechungsrunden, Telefone, Robotron-Schreibmaschinen 60er Jahre – Muff, ohne besondere Insignien der Macht.“ (Deutschlandradio hier eher zufällig pars pro toto – will sagen, Ähnliches wurde auch in anderen Medien ge- beziehungsweise vermeldet).
Abschweifung 1: Korff empfiehlt zunächst künftigen Besuchern der Arbeitszimmer unserer Bundesminister, am „Tag der geöffneten Tür“ dort Vermessungen vorzunehmen, damit „groß“ und „überdimensioniert“ eindeutig definiert werden können; vielleicht in Abhängigkeit von der Körpergröße der Amtsinhaber, die dann natürlich auch in Relation zur Mielkeschen zu setzen wäre.
Der Restaurierungsaufwand für das gesamte so genannte Haus 1 in der Berliner Normannenstraße wurde ebenfalls mitgeteilt – elf Millionen. Euro. Das ist in Zeiten, wo täglich mit Milliarden jongliert wird, absolut nicht viel, aber immerhin Geld, Steuergeld. Und: In Zeiten des „Rückbaus“ sollte man sich über Sanierungen freuen, wenn sie einem guten Zweck dienen.
Über den äußerte sich der derzeitige Bundesbeauftragte für die Stasiunterlagen, Roland Jahn: „Ich denke, dass dieser historische Ort hier auf dem ehemaligen Stasi-Gelände besonders gut geeignet ist, Geschichte erfahrbar zu machen und damit auch Demokratiebewusstsein zu stärken. Je besser wir Diktatur begreifen, umso besser können wir Demokratie gestalten.“
Postulate hoher Amtsinhaber bringen Korff häufig ins Grübeln, weil sie zwar einer, also deren Lebenserfahrung entsprechen mögen, aber als allgemein verbindlich verkündet werden. Hier: Also unsere deutsche Demokratie, die ja doch nach hauptamtlicher Lehrmeinung schon etwa 1946 begann, kann nur richtig verstanden werden, wenn wir vermittels restaurierter DDR-Denkmäler „Diktatur begreifen“? Oder anders gefragt: Voraussetzung für ordentliche Demokratie wäre demnach am besten ein Pflicht-Lehrgang, der eine neu-interpretierte DDR-Geschichte zum Gegenstand hat, statt in erster Linie die Erfolgsgeschichte jener BRD, der die lebensunfähige DDR bekanntlich ja erst beigetreten wurde, als sie, die BRD, bereits 40 Jahre existiert hatte?
Ob da Herrn Jahns Verständnis von deutscher Geschichte wirklich Mehrheitsmeinung ist oder vielleicht doch nur Klientelpolitik – seit zwei Jahrzehnten ganze Fachschaften nährend, weil „aus Gründen“ zu einer Art Staatsdoktrin erhoben –, hinter der sich trefflich eigene vergangene und selbst heutige Missgriffe noch verstecken lassen, Bundespräsidenten-Auswahl einbegriffen?
Deutschlandradio beendete seinen Bericht mit einer interpretationsfähigen Zusatzinformation: „Auch jungen Menschen einen Eindruck vom Terror der Stasi zu vermitteln, stellt für die Museumspädagogen eine enorme Herausforderung dar. Das Allerschwerste aber scheint geschafft zu sein: Alle Beteiligten arbeiten jetzt zusammen.“ Das war natürlich „den Schweiß der Edlen wert“, auch wenn noch nicht viel dabei herausgekommen zu sein scheint, denn mitgeteilt wurde auch: „Nur eine provisorische Ausstellung kann im Moment gezeigt werden, einzelne Akten, Protokolle, Briefe, Fotos, Fahnen, Orden.“
Das findet Korff bedauerlich und hat – eine originelle Idee: Wie wäre es – und wenn auch nur in dem kleinen Ruheraum neben dem „großen“ Büro –, etwas vorzustellen, das auch erklären könnte, warum Mielke und „seinesgleichen“ so allergisch um die Sicherheit ihres Staates besorgt agierten? Nur aus Jux und Tollerei, nachdem manche von ihnen aktiv gegen die Hitlers gekämpft, überlebt und dafür kein Lob von der BRD geerntet hatten? Oder war es wirklich etwa nur die große Furcht vor der Aktion eines Radfahrers, von dem Zeitzeugen erzählen, dass er gefasst werden wollte, um nach kalkulierter Strafe ausgekauft zu werden, und dem dieser Gefallen ja auch getan wurde?
Oder gab es nicht auch einen „kalten Krieg“ – von beiden Seiten geführt –, in dem manche Akteure „in den Diensten“ – auch auf beiden Seiten – ihre Kraft und Fähigkeiten gerade dafür einsetzten, ihn nicht in einen „heißen“ umschlagen zu lassen? Wird nicht inzwischen auch von westlichen Experten bestätigt, dass die „Befreiung der Sowjetzone“ nicht nur ein unverbindlicher Propaganda-Slogan war, sondern Teil einer Politik, die die Gefahr eines Krieges auf deutschem Boden einkalkulierte? Frieden ist gewiss nicht alles – aber Wahrheit bleibt doch: Ohne Frieden ist alles nichts.
Und daran keine Erinnerung? Gibt’s etwa Dokumenten-Stau, gar Mangel, oder wird schlicht – und trotz „ergebnisoffenen“ Ansatzes („Wir ermitteln in alle Richtungen.“) – nach Belegen dafür gar nicht erst gesucht?
Abschweifung 2: Vor diesem Hintergrund passt es ins Bild, dass man bei der Aufarbeitung der DDR-Geschichte generell gern und en detail auch bei der Wiedereröffnung von Mielkes Büro an die Losung aus der späten DDR erinnert: „Wir sind das Volk!“, dass man denselben Satz aber keineswegs zu heutigem Gebrauche empfiehlt – weder für Stuttgart 21 noch für Berlin-Friedrichshagen und die dortigen Flugroutenplanungen. „Mehr Demokratie wagen!“ war zwar in der Bundesrepublik alt sogar mal ein Wahlkampfslogan, von dem allerdings die skandierende Parteiführung schon nach der gewonnenen Wahl nicht mehr so viel Aufhebens davon machte, aber Churchills berühmtes Diktum, wonach die „Demokratie […] die schlechteste aller Staatsformen [ist], ausgenommen alle anderen“, ist ja auch weniger ein Lob, denn eine Generalabsolution für alle Systemfehler, damit die Systemfrage nicht gestellt wird.
Zurück zu Mielkes Büro und gleich noch einmal zu Churchill. Der hatte auch noch anderes weiterzugeben, und etwas davon scheint Korff passgerecht für die jetzige Neu-Eröffnung nebst noch ausstehender Sinnstiftung zu sein: „Die Hälfte des Lebens verbringt der Mensch damit, die falschen Vorstellungen seiner Vorfahren loszuwerden; die andere damit, seinen Kindern falsche Vorstellungen beizubringen.“