14. Jahrgang | Nummer 24 | 28. November 2011

Ein großes Unternehmen

von Hartmut Pätzke

Die Max Liebermann Gesamtedition der Briefe ist auf acht Bände angelegt. Der Maler und Graphiker Max Liebermann (1847-1935) ist als Publizist und Briefschreiber bekannt. Es ist ein Glücksfall, dass die Bemühungen des Dresdners Ernst  Braun um das Briefwerk Max Liebermanns über Jahrzehnte, ausgelöst durch die anfängliche Ermutigung der  Leiterin des Archivs der Nationalgalerie, Annegret Janda, nun Früchte trugen.
Eine Besonderheit im Briefverkehr des Malers ist, dass er empfangene Post überwiegend dem Papierkorb übergab. Doch hat, wie der Herausgeber der Schriftenreihe der Max-Liebermann-Gesellschaft, Martin Faass, in seinem Vorwort mitteilt, Braun „mehr als 2.600 Briefe und 500 Gegenbriefe zusammengetragen.“ Dieser erste Band enthält 392 Briefe.
Es war, wie es der Editor des Briefwerks mitteilte, keine leichte Aufgabe, in der Deutschen Demokratischen Republik solch ein Unternehmen zu beginnen und durchzuhalten. Der Herausgeber ist zudem kein Kunsthistoriker. Er ist Mathematiker, Programmierer, Lehrer, Jahrgang 1945 und seit vergangenem Jahr im Ruhestand.
Für die Finanzierung haben die Hermann Reemtsma Stiftung und die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) Erhebliches geleistet. Mit im Boot sitzt auch die Kunsthochschule Berlin-Weißensee, die durch einen Antrag des Honorarprofessors Matthias Eberle (von ihm stammt das Werkverzeichnis der Gemälde und Ölstudien Max Liebermanns) überraschend mit einer Förderung der DFG bedacht wurde.
Der Titel des Buches hieße informativer: Max Liebermann – Briefe von ihm und an ihn. Band 1: 1869-1895, befinden sich doch unter den Korrespondenzpartnern solch herausragende Künstler  wie Adolph Menzel (1815-1905), Wilhelm Leibl (1844-1900), Fritz von Uhde (1848-1911), Anders Zorn (1860-1920), Walter Leistikow (1865-1908) und Förderer wie Alfred Lichtwark (1852-1914) und Max Lehrs (1855-1938).
Das Inhaltsverzeichnis ist, was die Briefe betrifft, äußerst dürftig. Es werden allein die Jahre aufgezählt, dazu die Seitenzahlen vermerkt. Von den Adressaten oder Absendern keine Spur.
Der wissenschaftliche Gehalt des Unternehmens ist solid. Fußnoten, jeweils auf der Briefseite, sind dem Leser und Benutzer nützliche Hilfen. Eingeschlossen alle Texte des Bandes, gibt es 1.806 Fußnoten.
Liebermann selbst war ein gewissenhafter und in der Regel sofort reagierender Korrespondent. Die Briefe dieses ersten Bandes dokumentieren die Jahre seines Aufstiegs, wobei Hamburg und besonders Alfred Lichtwark (1852-1914) eine ganz herausragende Rolle spielen. Fast doppelt so viele Briefe wie an Lichtwark sind von Liebermann an den Hamburger Kaufmann, Kunstsammler und -händler Albert Kollmann (1837-1915) gerichtet. Früh tritt auch seine internationale Anerkennung in Frankreich, Österreich und Italien zutage. Die Kupferstichkabinette in Dresden und Berlin gehören zu den ersten Käufern seiner Radierungen. Liebermann versteht es, das wird mehrfach deutlich, den Preis für seine Arbeiten nach oben zu treiben. In Hamburg spricht er von den „Pfeffersäcken“, die ruhig zur Kasse gebeten werden sollen. Er hat ein vehementes Interesse an steigenden Preisen, Zeichen der Anerkennung, des Ranges. Nicht wenige Briefe können auch als Geschäftsbriefe verstanden werden. Als erste Quelle vermögen viele der Briefe das Werk Liebermanns, dessen Entstehung wie Durchsetzung authentisch zu belegen. Fast wie im Nachhinein können sie der Literatur zu Liebermann als eine Art Leitfaden dienen – vor allem für das Werkverzeichnis von Matthias Eberle, das sie quasi ergänzen und erweitern. Französischsprachige Briefe wurden von Claude Keisch, einem der Herausgeber der Adolph Menzel-Briefe (4 Bände, 2009), hervorragend übertragen. Ich wünschte mir, dass das jeweils extra ausgewiesen würde. Das gilt natürlich auch für die Übersetzung eines Briefes von Mihàly Munkàczy durch Paul Kárpáti und im Anhang eines Textes von Margit Vészi.
Die Briefe Liebermanns setzen 1869 mit Episteln aus Weimar an seinen Bruder Felix Liebermann (1851-1925) ein. Sieben Briefen werden es bis Juni 1872, in denen er unter anderem von seinem Willen, sich durchzusetzen, und von einem Verkaufserfolg an den Berliner Kunsthändler Lepke berichtet.
Bereits 1881 beginnt das Interesse für Liebermanns Kunst in Frankreich, wovon Léon Maître am 27. Mai 1881 aus Paris kündet, der den „Garten eines Altersheims in Amsterdam“ aus dem Salon erworben hat – Briefe eines Sammlers, der sich enthusiastisch zu Liebermann bekennt, dessen „Jesus unter den Schriftgelehrten“ (Der zwölfjährige Jesus im Tempel unter den Schriftgelehrten) er schon in München gesehen hatte.
1882 schreibt er einen auch mit zwei Vignetten versehenen Brief an die Schwester Anna Liebermann (1843-1933) und deren Familie aus Zweeloo, in dem er seine Alltagslage als Maler erläutert. Gar keinen Niederschlag in den Briefen fanden seine Heirat mit Martha Marckwald (1857-1943) auf dem Standesamt Berlin-Tiergarten am 14. September 1884 wie auch die anschließende Reise über Braunschweig, Wiesbaden nach Scheveningen und Laren.
Der Tod der Mutter Pine (Philippine) Liebermann am 25. August 1892 erschütterte ihn, wie aus einem Brief an Albert Kollmann vom 31. August 1892 hervorgeht, wo er zugleich festhielt, dass der Vater den Tod seiner Frau, „die er über alles liebte“, mit der er die Goldene Hochzeit hat feiern können, nicht zu bewältigen vermochte.
Das Buch ist nahezu fehlerlos, ein paar Marginalien gibt es aber trotzdem: Da aus dem Inhaltsverzeichnis nichts über die Empfänger der Briefe hervorgeht, wäre es hilfreich, wenn im Personenverzeichnis diejenigen Seitenzahlen fett gedruckt würden, die die Briefe direkt betreffen. – Der Vorname des norwegischen Malers Thaulow (1847-1906) ist kein preußischer Fritz, sondern ein nordischer Frits. Diego Vélasquez wurde sein Akzent vorenthalten, und zu ergänzen ist die Anmerkung 709: Julius Elias hat seinen Bericht über „Die Münchener Kunstausstellung“ in „Die Nation“ Nr. 4 vom 24. Oktober 1891 als „Über die Münchener Kunstausstellung (Schluss)“ erscheinen lassen. Somit wäre der zweite Artikel „ermittelt“.
Gespannt darf man auf den nächsten Band sein. Jahr für Jahr wird ein Band erscheinen. Den Abschluss werden Briefe bilden, die im Laufe der Arbeit beziehungsweise spät bekannt wurden. Der Max-Liebermann-Gesellschaft und ganz besonders Ernst Braun, dem Herausgeber, darf bei der Spurensuche und künftigen Publikation der Briefe von und an Max Liebermann weiterhin Erfolg gewünscht werden. Von Max Liebermann, dem Menschen und Künstler in seiner Zeit werden wir nach Abschluss des Briefwerkes gewiss sehr viel mehr als heute erfahren haben und wissen.

Max Liebermann: Briefe. 1869 – 1895, zusammengetragen, kommentiert und herausgegeben von Ernst Braun. Schriftenreihe der Max-Liebermann-Gesellschaft Berlin e.V., herausgegeben von Martin Faass, Band 1. Gefördert von Hermann Reemtsma Stiftung, Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), Deutscher Wissenschafts-Verlag, Baden-Baden 2011, 591 Seiten, 39,90 Euro