14. Jahrgang | Nummer 20 | 3. Oktober 2011

„Reiselust und Sinnesfreude“ in Apolda

von Kai Agthe

Der Berliner Galerist Paul Cassirer soll sie das „Dreigestirn des Impressionismus“ genannt haben: Lovis Corinth (1858-1925), Max Liebermann (1847-1935) und Max Slevogt (1868-1932). Im Kunsthaus Apolda ist den drei Künstlern die von Andrea Fromm und Tom Beege kuratierte Schau „Reiselust und Sinnesfreude“ gewidmet. 100 Kunstwerke konnten dafür von mehreren Dutzend Museen und Privatsammlern ausgeliehen werden. Die Schau ist eine sehr schöne Ergänzung zur letzten Ausstellung „Die Weimarer Malerschule und das Weimarer Land“, die ebenfalls impressionistisch inspirierte Kunstwerke aus der Zeit um 1900 zeigte. Der entscheidende Unterschied zu dem vorbildhaften französischen Impressionismus ist, so ist im Katalog zu lesen, dass die deutschen Impressionisten stets eine dunklere Farbpalette wählten.
Begrüßt wird der Besucher im ersten Themenbereich „Menschenbilder: Porträt und Akt“ von Lovis Corinths Ölgemälde „Porträt Charlotte Corinth“ (1910). Mit breitem und sehr zügigem Pinselstrich hat er seine Frau, die ein edel gestaltetes schulterfreies Abendkleid trägt, als eine ebenso stolze wie sinnliche Dame in Szene gesetzt. Die Nämliche dürfte auch das Modell für Corinths 13 Jahre zuvor entstandenes Gemälde „Frauenakt“ gewesen sein: Auf einem Stuhl sitzend, ist sie im Begriff, mit der rechten Hand ihren rechten Fuß zu berühren. Durch diese Pose gelang Corinth ein Akt, der für die Zeit sittlich genug war, um die Gemüter der Sittenwächter nicht zu erhitzen, und der zugleich grundehrlich ist, weil die gern „Hüftgold“ genannten Fettpölsterchen der Frau naturalistisch erfasst sind. Handwerklich meisterhaft ist das Bild, da der Körper malerisch geschickt in ein helles und doch weiches Licht gerückt ist. (Die Katalog-Reproduktion hingegen zeigt die Nackte in einem Grau, das dem Original nicht entspricht.) Auch auf dem Plakat ist mit Charlotte die Frau und Muse Corinths zu sehen. Das „Bildnis Frau Corinth (Charlotte Berend)“ (1912), zeigt sie, ausgehfertig, in lässiger Pose.
Wenn Corinth die Sinnesfreude vorstellt, so ist Max Liebermann Repräsentant der Reiselust. Seinen Aufenthalten an der holländischen Nordseeküste folgten Zeichnungen, Grafiken und Ölgemälde. Liebermanns Seestücke bringen auch die unterschiedlichen Lebenswelten zueinander: Steht ein Gemälde wie „Tennisspieler am Meer“ (1901) für das mondäne Badewesen um 1900, so steht das berühmte Bild „Die Netzflickerinnen“ (1887) für die Armut der Fischerfamilien, die herrschte, bevor jene „Meereslust“ (Alain Corbin) aufkam, die bald Scharen von Sommerfrischlern an Nord- und Ostsee locken sollte. Und fünf an Käthe Kollwitz erinnernde Arbeiten Liebermanns, vier Radierungen und eine Zeichnung aus den Jahren 1908/09, zeigen Massenszenen aus dem Amsterdamer Judenviertel.
Die Abteilung „Stillleben und Tierbilder“ ist, nicht nur im Vergleich zu den diesbezüglichen Bildbeigaben im Katalog, mit vier Gemälden deutlich unterrepräsentiert. Deshalb hat man zwei überlebensgroße Reproduktionen von Porträtfotos Lovis Corinths als Bacchus (1909) und Max Slevogts (1918) angebracht, die aber kaum mehr als Lückenfüller darstellen, also unpassend sind. Das Bindeglied zwischen Slevogts „Stillleben mit Aprikosen“ (1903) und Corinths „Fressender Tiger“ (1917) ist hier, wenn man so will, Slevogts „Lachsstillleben“ (1923).
Max Slevogt, der ein begnadeter Illustrator von literarischen Texten (Goethes Faust I und II) und auch Partituren (Randzeichnungen zu Mozarts Zauberflöte-Handschrift) war, ist in Apolda mit einigen bedeutenden Ölbildern zu erleben. Hervorhebenswert sind „Steinbruch bei Albersweiler“ und „Sonnenuntergang bei Godramstein“ (beide 1913). Letzteres ist die konsequente Fortsetzung von Slevogts autonomer Landschaftsmalerei, die sich bereits 1898 mit dem expressiv anmutenden Ölbild „Blick vom Atelier, Wolkenstudie“ ankündigte.
Ein eigener Raum ist Max Liebermanns Garten am Wannsee gewidmet. Ein Refugium, in dem er immer wieder Motive für seine Kunst fand. Allein fünf Ölgemälde bezeugen das in Apolda. Das eindrucksvollste ist „Die Blumenterrasse am Wannseegarten nach Norden“ von 1928. Mag der Impressionismus zu diesem Zeitpunkt schon längst Kunstgeschichte gewesen sein, so ist dieses Bild in seiner Formenauflösung ein spätes impressionistisches Feuerwerk. Durch Liebermanns pastosen Farbauftrag sowie den dynamischen und nach rechts geführten Pinselstrich wirkt es, als tobe ein Orkan durch die Szene. Über das Liebermannsche Anwesen am Haussee der Berliner ist im Dachkabinett des Kunsthauses übrigens Näheres zu erfahren.
Die Ausstellung wird im Anschluss in Aschaffenburg gezeigt. So mag sich erklären, dass der Katalog mehr Werke der drei Künstler enthält, als in Apolda noch bis 18. Dezember zu sehen sind. Man wird dem Kunsthaus attestieren können, dass ihm mit „Reiselust und Sinnesfreude“ auch zum Abschluss des facettenreichen Ausstellungsjahres wieder Großartiges gelungen ist. Und 2012 kann man sich in Apolda schon auf William Turner und Wilhelm Lehmbruck freuen.

Reiselust und Sinnesfreude: Corinth, Liebermann, Slevogt. Kunsthaus Apolda Avantgarde bis 18. Dezember 2011, Bahnhofstraße 42, 99510 Apolda, dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr. Der Katalog kostet 19 Euro. Weitere Informationen unter www.kunsthausapolda.de.