14. Jahrgang | Nummer 11 | 31. Mai 2011

Viel Jux mit Hacks – „Die Sorgen und die Macht“ am Deutschen Theater

von Reinhard Wengierek

Da lebt in München ein feiner junger Herr, gefeiert für sein erstes uraufgeführtes Stück, bestaunt von Brecht und hingerissen vom kommunistischen Weltverbesserungsprojekt im Osten. Also verlässt Peter Hacks den Westen („fauler Apfel“), geht nach Ostberlin („saurer Apfel“) und siedelt 1955 gleich ganz oben – am DDR-Staatstheater. Der 27-Jährige wird Hausautor des Deutschen Theaters. Hier galt, wie überall in Hacks’ gelobtem Land: Kunst als Volkserzieherin (der „neue Mensch“), als Vollstreckerin der Revolution. „Wie aufregend!“, meint Hacks. Der neue Schreib-Star ging flink ans Werk. Doch sein Drama „Die Sorgen und die Macht“ war eine schwere Geburt und lebte nur kurz. Es handelt vom Konflikt zwischen Saurem und Faulem, zwischen altem und neuem Adam, zwischen Unten und Oben. Ein kommunistisches Lehrstück, das schlimme Zustände beschreibt, aber glücklich ausgeht. Es wurde – was wiederum ein Lehrstück ist – schnell von oben verboten aus Angst vor unten. Und von den Regisseuren Tom Kühnel und Jürgen Kuttner nunmehr wieder hervor geholt am Uraufführungsort DT. Das spannende Motto: Wie es damals war in der DDR.
Und wie war es? Sehr komisch, ziemlich befremdlich, eigentlich ganz aufregend und verrückt und irgendwie gar nicht so schlimm. Zum Schluss gleißt am Bühnenhorizont als letzter Gruß an den gestürzten Staat eine rote Sonne – ist es die des müden Abends oder die eines strahlenden Morgens?
Man annonciert einen „Bunten Abend“. Und kunterbunt wird es denn auch gut drei Stunden lang. Mit einer Zeiten, Figuren, Personen, Dokumente und Poesien verwischend durcheinander wirbelnden kabarettistischen Revue über das politische wie ästhetische Grundverständnis von Peter Hacks. Über seine Rezeption damals und heute: Ein schimpfender Walter Ulbricht kommt vor und ein verehrungsvoller Frank Schirrmacher – der bürgerliche Publizist von der FAZ ist fasziniert von P.H., dem König der Jamben. Man spielt in Weimars Goethehaus und in Fabriken, die schnöde Wirklichkeit kippt krachend ins schöne Klassische (Bühne: Jo Schramm). Pittiplatsch vom DDR-Kinderfernsehen, Marcel Reich-Ranicki sowie DDR-Showmaster Hans-Georg Ponesky geistern umher. Und Wolfgang Langhoffs selbstmörderische Selbstkritik wird ätzend verlesen. Das schwungvolle Finale zitiert geradezu bewundernd und ausgiebig den geschliffen bösen Hacks-Hass auf alle Mauer-Einreißer und Verräter von 1989. Soweit die unübersichtlich breitgetretenen Hacks-Paraphrasen. Aber wovon handelt Hacks’ Stück?
Von Arbeitern einer Brikettfabrik, die Kohle machen durch betrügerische Planübererfüllung auf Kosten der Arbeiter einer Glasfabrik: Mit Dreck lässt sich kein Glas schmelzen, kein Plan erfüllen, kein Geld verdienen. Die Partei, oberste Volkserzieherin, ist machtlos. Erst die Liebe zwischen einem Brikettmann und einer Glasfrau stellt die moralische Ordnung wieder her (gespielt von Felix Goeser und Susanne Wolff) – freilich gestützt auf die inzwischen unter Schmerzen zurück gewonnene Führung der Partei- und Staatsmacht durch Funktionäre (gespielt von Gabriele Heinz, Christoph Franken, Michael Schweighöfer). Der neue Mensch triumphiert. Und die Partei hat immer Recht. Aus heutiger Sicht: affirmativer Hokuspokus. Damals mutiger Realismus, unverschämt dialektisch: „Malt euch also mit den grauen Tinten der Gegenwart der Zukunft buntes Bild.“
Jahrelang malte Hacks herum. Erst die dritte Fassung kam 1962 am Deutschen Theater unter Regie von Intendant Langhoff heraus. Wenig später pfiff die SED zurück. Vor Dialektik hatte sie Angst wie vor dem Klassenfeind: Man donnerte, die kritische, ja pessimistische Distanz des Stücks ersetze die sozialistische Parteilichkeit, sei ein „Angriff auf die führende Rolle der Partei“, also schleichende Konterrevolution. Der Regisseur verlor sein Amt, der Autor seinen Posten. Der eine grämte sich zu Tode, der andere erwuchs zum klassizistischen Solitär. Und schrieb fortan akuter Gegenwärtigkeit entrückte, so alt- wie großmeisterliche Allegorien aufs Dasein. Selbst auf dem Parnass blieb er bis zum Tod anno 2003 ein Anhänger Ulbrichts, und Stalins sowieso. Dies illustriert der lange Abend, sichtlich mit Lust. So verblasst das Lehrstück über proletarische Arbeitsmoral, über Widersprüche zwischen Wähnen und Wirken. Und erst recht das Lehrstück über der Diktaturen übles Wesen: nämlich Unterdrückung des aufrechten Ganges. Viel Jux mit Hacks und wenig Aufklärung darüber, was da wirklich war.