14. Jahrgang | Nummer 4 | 21. Februar 2011

Kein Sturm im Wasserglas

von Günter Hayn

Am 13. Februar fand in Berlin ein Volksentscheid zur Offenlegung der Verträge zur Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe statt. Nachdem der Senat im Spätherbst 2010 – durchaus im Bewußtsein eines sich abzeichnenden Erfolges des seinerzeit laufenden Volksbegehrens für einen Volksentscheid und einer Teilveröffentlichung in der taz aufgrund einer dubiosen Sickerstelle in den bis dato in dieser Angelegenheit strikt abgeschotteten Datenbunkern – die Verträge veröffentlichte, gab kaum jemand mehr dem Plebiszit eine Chance. Der Verlauf des Wahlsonntages schien den Skeptikern zunächst recht zu geben: Bis zum frühen Nachmittag gähnende Langeweile in den Abstimmlokalen, dann war Berlin offenbar aufgestanden, hatte gefrühstückt und stand Schlange in der ekligen Kälte. Binnen weniger Stunden war das Quorum (25 Prozent der Wahlberechtigten) nicht nur erreicht, sondern überschritten: 27,5 Prozent Wahlbeteiligung und davon stimmten 665.713 Stimmberechtigte mit „Ja“. Das ist ein Traumergebnis von 98,2 Prozent und macht genau 27 Prozent aller Wahlberechtigten aus. Damit ist der Vorschlag des Berliner Wassertisches Gesetz. Der Präsident des Landesparlamentes hat dieses nur noch hinsichtlich seiner formalen Korrektheit einer Prüfung zu unterziehen, zu unterschreiben und im Amtsblatt veröffentlichen zu lassen. Dann gilt es. Auch der Senat, den dieses Ergebnis offenkundig kalt erwischt hatte, ließ verlauten, dass er nicht daran denke, die von ihm mehrfach geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken am Gesetzestext einer rechtlichen Prüfung unterziehen zu lassen. Nachdem die rot-rote Koalition erst 2006 die plebiszitären Elemente in der Landesverfassung ausbaute, kann sie es sich partout nicht erlauben, Volkes Wille durch einen Taschenspielertrick in der Versenkung verschwinden zu lassen.
Problematisch wird der Umgang mit dem Ergebnis       dieses Geschichte machenden Sonntags allemal: „In der Finanzverwaltung wird die Entwicklung … mit Sorge verfolgt. Je größer der Wunsch von Öffentlichkeit und Politik sei, die Wasserbetriebe zumindest teilweise wieder zu verstaatlichen, desto schwieriger würden die Preisverhandlungen, hieß es. Und mit jeder Million, die das Land zusätzlich an RWE bezahlen müsste, würden die Aussichten auf sinkende Verbraucherpreise geringer.“ So berichtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung zwei Tage nach dem Urnengang. Wer nicht verkaufen will, beim Anteilseigner VEOLIA ist dies im Unterschied zum RWE-Konzern (beide halten je 24,95 Prozent der Anteile, der dritte Eigner ist das Land Berlin) offensichtlich der Fall, wird sich auch von einer – ausgerechnet im Wahljahr – in die Ecke gedrückten Landesregierung nicht beeindrucken lassen. Besonders gute Karten im Preispoker hat die wirklich nicht. Die mit der Stimmabgabe verbundene Hoffnung vieler auf eine deutliche Senkung des Wasserpreises nach erfolgter Rekommunalisierung kann sich daher als trügerisch erweisen. Der Blick über den Gartenzaun nach Potsdam lohnt: 1997 hatte die Stadt ihren Anteil an den Wasserwerken an die französische Eurawasser (hinter der steckt die weltweit agierende SUEZ ENVIRONNEMENT) verkauft, 2000 wurde für einen dreistelligen Millionenbetrag rekommunalisiert. Seit 2007 wird in Potsdam der Preis „angepasst“: 2008 betrug der Preis für einen Kubikmeter Wasser (Trink- plus Abwasser) noch 5,10 Euro; ab 1. Januar 2010 waren in Potsdam 5,97 Euro zu zahlen. Der im Bundesvergleich auch nicht besonders günstige brandenburgische Durchschnittspreis lag zur selben Zeit bei 5,12 Euro. Das zahlt man momentan in Berlin auch. In Potsdam wird der Preis bis Ende 2012 voraussichtlich auf 7,17 Euro pro Kubikmeter steigen plus einem jährlichen „Grundbetrag“ von 90 Euro pro Anschluss. Wie sich die Dinge in Berlin entwickeln werden, kann zum jetzigen Zeitpunkt niemand mit Zuverlässigkeit prognostizieren.
Zu denken geben muss aber das, was die Berlinerinnen und Berliner tatsächlich in den kalten Winternachmittag trieb. „Dieses Gemauschel der Politiker ist nicht in Ordnung, ich will wissen, was da abgesprochen wurde“, zitierte die Berliner Morgenpost einen frustrierten Bürger. „Vor allem aber offenbart die unerwartet hohe Anzahl der Ja-Stimmen eines: Viele zweifeln an der Glaubwürdigkeit des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit“, meint die Berliner Zeitung. Auch der langsam heiß laufende Wahlkampf schimmert durch. Wowereits Kontrahentin Renate Künast (Grüne): „Das ist eine kalte Dusche für Wowereit und Wolf.“ Letzterer, Harald Wolf genauer gesagt, ist in Berlin Wirtschaftsminister und für die Wasserbetriebe unmittelbar zuständig. Die FDP verlangt den Verzicht des Landes auf Teile seines Gewinnes, um eine kurzfristige Senkung der Wasserpreise zu erreichen. Dass dies die Schieflage des Landeshaushaltes verstärken und letztlich zulasten des sozialen Netzes gehen würde, ist ihr offenbar egal. Politik ist tatsächlich in jedem Falle ein komplizierter Prozess des Austarierens häufig extrem auseinander liegender Interessen. Einfache Lösungen sind selten zu haben. Umso dringlicher – und das ist die eigentliche Botschaft des Volksentscheides – ist es, auch komplizierteste Sachverhalte den Bürgerinnen und Bürgern nachvollziehbar zu machen und sie zum frühestmöglichen Zeitpunkt in die Entscheidungsprozesse einzubeziehen. Auch möglicherweise unangenehme Entscheidungen der gewählten Vertreterinnen und Vertreter gehören öffentlich diskutiert. „Eine Änderung hinter verschlossenen Behördentüren“, schreibt die schon zitierte Berliner Morgenpost zur anstehenden berlin-brandenburgischen Flugroutendebatte, „ausgewählt nach scheinbar ungerechten Kriterien und vorgesetzt ohne Mitspracherechte der betroffenen Bürger“ verspiele Vertrauen. Das Begehren der die Entscheidungen unserer Vertreterdemokratie ausbaden müssenden Menschen geht über die üblichen „Beteiligungsrechte“ – man hört den Leuten zu und entscheidet dann doch aufgrund der „Sachzwänge“ ganz anders – weit hinaus. „Stuttgart 21“ und der Berliner Wasserentscheid zeigen überdeutlich, dass die Menschen in diesem Lande nicht mehr gewillt sind, sich von einer Einmischung in ihre eigenen Angelegenheiten noch länger abhalten zu lassen. Das ist ein zutiefst linker Politikansatz. „Schluss mit der Geheimdiplomatie!“, forderte einst die junge Sowjetmacht in ihrem ersten Dekret. Nichts anderes verlangten am 13. Februar die Berlinerinnen und Berliner. Der Volksentscheid war nicht der Beginn des „kommenden Aufstands“. Er war aber auch kein Sturm im Wasserglas, da kündigte sich schon eine landespolitische Sturmflut an.