13. Jahrgang | Nummer 2 | 1. Februar 2010

Obama at Work

von Erhard Crome

Bush at War war der Titel eines Buches, das der US-amerikanische Journalist Bob Woodward 2002 über die bereits in erster Zeit kriegsorientierte Präsidentschaft des Bush II geschrieben hatte. Nun ist Obama seit über einem Jahr US-Präsident. Im Grunde haben alle großen Zeitungen der Welt irgendwelche Kommentare zu diesem ersten Jahr abgegeben. Dabei entstanden Aussagen, wie: „Zweifel droht Hoffnung zu verdrängen“, „Obama in der politischen Krise“, „Abkehr vom Heilsbringer“, „Obama-Hype hat sich verflüchtigt“.

Die Praxis „gestern: Hosianna!, heute: Kreuziget ihn!“ gehört zum bürgerlichen Mediengeschäft; denn nur, was gestern groß aufgeblasen wurde, kann heute kleingemacht werden.

Das trifft aber nur einen Teil der Wahrheit. Im Hintergrund steht der Überschuß an Erwartungen, die nach den in jeder Hinsicht fürchterlichen Bush-Jahren Obama aufgebürdet worden waren. Bei Amtsantritt hatte Obama in Deutschland eine Beliebtheit von 92 Prozent; Bush lag Ende 2008 bei weniger als zwölf Prozent. Das beeinflußt natürlich auch alle Sichtweisen auf Obamas Tun. In den USA erwarteten drei Viertel aller Amerikaner bei seiner Amtseinführung am 20. Januar 2009, er werde eine Wende zum Besseren einleiten. Jetzt wird aufgerechnet: Der Folterknast in Guantanamo ist noch nicht geschlossen; aus dem Irak sind noch nicht alle Truppen abgezogen, die in Afghanistan werden aufgestockt; beim Klimagipfel in Kopenhagen gab es keine verbindliche Zusage der US-Regierung; die Arbeitslosenzahlen in den USA liegen höher als vor einem Jahr; die Gesundheitsreform, Obamas zentrales Projekt, wurde in den parlamentarischen Abstimmungsverfahren immer weiter verwässert.

Eines der augenscheinlich gravierendsten Probleme ist die politische Spaltung des Landes. Die Republikaner haben nach dem Verlust der Macht auf Obstruktion im Kongreß geschaltet und wollen, was ihnen schon bei Bill Clinton gelungen war, der Regierung ihr Korsett aufzwingen. Getragen wird dies von einer Bewegung konservativer Christen im Lande, die schon Bush II getragen hatte. Während viele junge Amerikaner, Schwarze wie Weiße, in der Wahlkampagne den Eindruck vermittelten, bei Obama handele es sich um den neuen Messias, wurde bei jenen kolportiert, er sei wohl der in der Heiligen Schrift angekündigte „Antichrist“. Das renommierte Time-Magazin berichtete dies bereits im Sommer 2008, während des Wahlkampfes um das Präsidentenamt; Medienwissenschaftler hatten zu jener Zeit bei der Google-Suchfunktion 776 000 Konnotationen im Internet zwischen „Obama“ und „Antichrist“ ermittelt. Der Talkmaster Glenn Beck wiederholte diese, für uns absurd klingende, Antichrist-Unterstellung in seiner regelmäßigen Sendung auch im vergangenen Jahr. Berichte über das Bankenrettungspaket wurden mit der sowjetischen Staatshymne unterlegt und Obama abwechselnd als „Sozialist“ beziehungsweise „Faschist“ bezeichnet. Das ist der politische Sumpf, aus dem auch solche Bilder von Anti-Obama-Demonstranten sprossen, die – gegen Gesundheitsreform protestierend –  unter anderem Pappschilder schwenkten, auf denen ihnen die Propaganda-Layouter einen Obama mit Hitler-Physignomie gemalt hatten.

Das Problem der Gesundheitsreform besteht darin, daß die USA bisher das teuerste und im Vergleich der entwickelten Industriestaaten schlechteste Gesundheitssystem haben. 44 Millionen Menschen haben keine Krankenversicherung, weil sie arm sind beziehungsweise sie sich nicht mehr leisten können oder ihnen früher erworbene Ansprüche in Krise und Arbeitslosigkeit verlorengingen. Diese Menschen kommen bisher nur über die Notaufnahme im Krankenhaus in den Genuß ärztlicher Versorgung. Selbst bei dem bisherigen Stand von Obamas Gesundheitsreform – die ursprüngliche Idee, eine staatlich garantierte Pflichtversicherung einzuführen, wurde von den Lobbyisten der großen Gesellschaften vom Tisch intrigiert – würden etwa 30 Millionen Menschen endlich eine Krankenversicherung erhalten, und die Kassen dürften Kranke nicht mehr ablehnen. Von einem Scheitern kann keine Rede sein. Vielmehr ist Obama bei den Mühen der Ebenen angekommen. Insofern ist „Obama at Work“ der wohl angemessenste Blickwinkel, unter dem sein politisches Handeln zu betrachten ist.

Am 27. Januar hat Obama seine erste Rede Zur Lage der Nation gehalten. Er hat – wie dann flugs ausgezählt wurde – eine und eine Viertel Stunde geredet, darunter nur vier Minuten zur Außen- beziehungsweise Sicherheitspolitik. Der Schwerpunkt lag auf der inneren Entwicklung. Als er sein Amt antrat, war die Wirtschafts- und Finanzkrise auf dem Höhepunkt. Die Arbeitslosigkeit ist höher als vor einem Jahr. Aber: „Wenn wir die Kernschmelze im Finanzsystem zugelassen hätten, wäre die Arbeitslosigkeit doppelt so hoch.“

Dies ist ein Satz, der die Wirtschaftswissenschaftler noch eine Weile beschäftigen wird. Wenn es stimmt, daß die derzeitige Wirtschaftskrise mit der von 1929ff zu vergleichen ist, dann ist es augenscheinlich, daß sie anders und nicht so tiefgreifend verlaufen ist; wenn es ebenfalls stimmt, daß damals die Politik von Präsident Hoover in den USA und Reichskanzler Brüning in Deutschland zur Verschärfung der Krise beigetragen haben, dann hat der andere Verlauf heute mit der anderen Politik der Regierenden zu tun.

Obama hatte trotz der bereits hohen Verschuldung von über zehn Billionen Dollar, die er von seinem Vorgänger geerbt hatte, eine Billion Dollar zusätzliche Mittel – also weitere Staatsschulden – eingesetzt, um den Zusammenbruch des Finanzsystems (die „Kernschmelze“) zu verhindern. Dieses Geld treibt er nun von den Banken und Nutznießern des bisherigen Finanzsystems wieder ein. Wahrscheinlich ist dies auch der Grund, weshalb er in der deutschen großbürgerlichen Presse zu schlechtgeschrieben wird, indem es in ihr heißt, dass die „kleinen Leute“ diese Schulden bezahlen sollen. In den USA sollen die Steuererleichterungen für die Reichen, die in dem „verlorenen Jahrzehnt“ unter Bush – auch dies eine Formulierung aus der Rede Zur Lage der Nation – gewährt wurden, überprüft und rückgängig gemacht werden. Für den Mittelstand und die Arbeiter dagegen sind Erleichterungen bei Steuern, bei der Ausbildung ihrer Kinder und bei der Bezahlung der Hypotheken für ihre Häuser vorgesehen, zusätzlich zur Gesundheitsreform. Außerdem soll zielgerichtet in Innovationen, vor allem bei der Entwicklung sauberer Energie, und in ein Eisenbahnsystem mit Hochgeschwindigkeitszügen investiert werden. Schließlich sollen die USA auch ihre Exportfähigkeit wieder erhöhen.

Unter dem Befehl des Kaisers Traian hatten römische Truppen im Jahre 115 das Zweistromland erobert und zur römischen Provinz gemacht. Damit hatte das Römische Reich seine größte Ausdehnung erreicht. Hadrian, Nachfolger auf dem Kaiserthron, gab kurze Zeit darauf diese Eroberungen wieder auf. Ohne bedeutende Steigerung der Armee wie des Budgets hätten diese Provinzen nicht dauerhaft gehalten werden können. Es mag zu den Zufälligkeiten der Weltgeschichte gehören, daß die USA genau dieses Zweistromland, den Irak, unter Bush II eroberten. Barack Obama war bereits zur Präsidentenwahl mit dem Versprechen angetreten, daß die USA sich aus dem Irak wieder zurückziehen werden. Die USA haben – in der gleichen Weltgegend wie einst das Römische Reich – den Zenit ihrer imperialen Macht überschritten.

An Obama ist es nun, diesen historischen Rückzug so zu gestalten, daß die USA „ihr Gesicht nicht verlieren“, sie ihre Interessen auch unter der Voraussetzung der Rückzugsbewegung so weit wie möglich international durchsetzen und er zugleich Wege findet, die innenpolitischen Prioritäten, um derentwillen er gewählt wurde, in die Tat umzusetzen. Dies ist wohl nicht alles gleichzeitig und gleichermaßen erfolgreich realisierbar.