Des Blättchens 10. Jahrgang (X), Berlin, 16. April 2007, Heft 8

Brief an Peter Hacks

von Detlef Kannapin und Hannah Lotte Lund

Brief von Peter Hacks an Friedrich Karl Kaul: »Lieber Professor, … herzlichen Dank, daß Sie für mich zu den Zöllnern gegangen sind (um eine beschlagnahmte Schreibmaschine zu befreien – d. A.); trotz allem was die Bibel über diese beiden Berufszweige sagt, ziehe ich persönlich dann doch die Huren vor. Ich weiß nicht, was mich so neutestamentlich reden macht. Es muß die Weihnachtszeit sein, für die ich Ihrer Frau und Ihnen Ruhe und Vergnügen wünsche. Herzlichst, Ihr …«
Mit Verlaub, Herr Hacks, (Sie sind des Sacks), wir können nicht umhin, es Ihnen zu sagen: Wir sind begeistert, oder, um ein Wort zu verwenden, welches Ihnen mit Sicherheit nicht zugesagt hätte: Fans. Also Anhänger und geneigte Leser Ihrer gut aufbereiteten Schriften. Um aber eine Formulierung zu verwenden, die Ihnen mit Sicherheit zusagte, da sie von Ihnen selbst ist: Es macht uns mehr Freude, Ihnen zu widersprechen. Darum.
Alles begann mit Ihren Briefen an die Schriftstellerkollegen, die uns vor einiger Zeit der Eulenspiegel-Verlag als gut gekühlten Aperitif servierte. Es hat uns sozusagen gerührt und nicht geschüttelt, was einem sonst im immer saurer werdenden Literaturbetrieb des neuen Deutschland nur zur Genüge passiert. Wir haben uns sehr gefreut, daß Sie nicht nur ein dialektischer, sondern auch ein undialektischer Materialist sind. Daß Sie sich dieserhalb von einem Westkollegen zur Fundamentierung der Basis zunächst einmal aus dem Intershop drei Stangen Reyno, drei Stangen Gitanes und drei Flaschen Cognac (wenn keine VSOPs da sind, wie Sie sehr schön bitten, dann Courvoisier) mitbringen lassen müssen, hat uns schwer beeindruckt.
Wir vermuten indes, daß Sie als Klassiker offenbar mit Cabinet und Kastell nicht zufrieden gewesen sind, woraus wir schließen müssen, daß der Sozialismus ohne die von außen kommende Unterstützung des Kapitals zumindest im Überbau der Kunst nicht auskommen konnte, oder? Zum sprachlos Saufen reicht jedoch das eine wie das andere nicht, denn Sie können uns anhand Ihres Werkes wirklich nicht weismachen, Sie hätten Ihre Kunst im Suff verfaßt.
Dafür danken wir Ihnen schönstens für die besten Kurzeinschätzungen selbsternannter Demokratiebeschützer. Schließlich haben Sie darauf hingewiesen, daß Wolf Biermann zu Recht der Eduard Bernstein des Tingel-Tangel genannt worden und daß Hans Magnus Enzensberger notwendig zur Fünf-Mark-Hure des Imperialismus verkommen sei. Sie waren es auch, der treffend das mediokre Kritikermodul Hellmuth Karasek danach fragte, wieso in der BRD das mediokre Schriftstellertalent Günter Grass dem Epiker Arno Schmidt vorgezogen werde. Uns fällt dazu der fast zu gut passende Spruch von Wolfgang Neuss ein: Wir schaffen es, auch ohne Waffen-SS.
Was hätte dieses Ihr Idol Goethe dazu gesagt? Hier erlauben wir uns einen gewagten Übergang zum Gegenpol, zum einzigen von Ihnen durchgängig gelobten Sprach- und Universalgenie. Den auf die Gegenwart anzuwenden, Sie ja empfehlen. Den Sie mit sich selbst zu vergleichen nicht anstehen … Ist alle Geistes- und Literaturgeschichte seit der Französischen Revolution wirklich nach Anleitung von dubiosen Geheimdienstunterweisungen entstanden, wie Sie in Ihrem großen Pamphlet wider die Romantik behaupten? Das freilich wäre eine Erklärung für den jetzigen Kulturabfall, wie der von Ihnen bis ins Heute gezogene Gegensatz zwischen Klassik (= wahre Kunst) und Romantik (= unzulässige Verbindung von Kunst, Schwärmerei und Politik).
Daß Sie im Kampf für die Klassik Ihre vermeintlichen Gegner verunglimpfen, ist abhängig vom Stil eine erfolgreiche Taktik. Daß Sie dabei aber mehrfach unter die Gürtellinie gehen und zum Beispiel große Romantikerinnen als bloße Lagerhuren bezeichnen, schmeckt ein bißchen nach Altherrenphantasie.
In Ihren kunsttheoretischen Arbeiten, die bei Ihnen ja freilich weit über den eher eng gesteckten Horizont des Ästhetischen hinausweisen, finden wir sonst vor allem die Aussagen über den Spätimperialismus interessant. Schon der Begriff zeigt, daß Sie wie wir der Meinung sind, daß sich die Menschheit bei Strafe ihres Untergangs zum Fortschritt hinaufbequemen muß. Nicht nur, daß Sie den Sprach- und Sittenverfall unserer Zeit durch die Vermüllung der Hirne in den Medien, unter denen die Musen schweigen, aufzeigen. Allzumal gibt es darüber hinaus eine schöne Erkenntnis, die Sie uns freundlichst mitzuteilen gedachten und die wir gerne multiplizieren. Der Spätimperialismus fällt sicher durch die Geknechteten, er fällt aber besser und schneller mit einer einheitlichen politischen Organisation, bei der Sie das Wort Kommunismus doch gerne adjektivisch im Namen gelassen haben wollen.
Wir stimmen zu und widersprechen gleich. Denn: Man wird das Baby der Emanzipation völlig neu erfinden müssen. Und dazu gehört auch die neue Begrifflichkeit. Keine Verwässerung durch Neuerfindung des Rades, aber beweisen Sie mal den nachfolgenden Generationen triftig, daß der alte Staatssozialismus frei von Fehlern und Verbrechen war!? Wir, in zweiter Generation nach Ihnen, übernehmen gerne den Staffelstab Ihres Wollens. Wir müssen nur aus empirischen Gründen anders an die Sache herangehen. Dabei helfen Sie uns viel, aber Kopieren kommt nicht in Frage.
Ihre Gedanken machen den Kopf frei. Das ist ein ganz erhellender Zug. Mit Verlaub, Herr Hacks, Sie reizen zu Beifall und Widerspruch. Man wünschte sich allerdings, den ebenso schön wie Sie zu formulieren.
Schönstens, die Ihrigen.
Berlin, den 6. April 2007