14. Jahrgang | Nummer 17 | 22. August 2011

Hey, kommt unter meine Decke. Eine kuschelige Deutschland-Revue

von Reinhard Wengierek

Die Berliner Ausflugs-Tipps zum Wochenende empfahlen fürs Brandenburgische: Spreewälder Gurkentag, Peitzer Fischerstechen, Badewannenregatta im Tornowsee oder „Denk ich an Deutschland… Eine wirtshäusige Theaterrevue“ im Schlosspark Neuhardenberg. Wir entschieden uns fürs kneipenlustige Erforschen nationaler Selig- oder eben Unseligkeiten des Kultursponsors Sparkassenverbund; sozusagen das entspannende Satyrspiel aufs kompakte Mauerbau-Gedenken tags zuvor. Dafür haben sich immerhin solche Größen des Volkes angesagt wie Gunter Gabriel, der patriotisch rockende Cowboy mit schwarz-rot-gold-lackierter Gitarre, der aus der DDR rübergemachte Schauspielstar Thomas Thieme, der zuletzt im ZDF den Helmut Kohl machte, sowie Sigmund Jähn, 1978 der erste Deutsche im All, zuvor als Militärpilot stationiert auf dem NVA-Flugplatz Marxwalde, wie das Nest Neuhardenberg zu DDR-Zeiten umgetauft wurde.
Allein die aufregenden Biografien dieses Trios gäben genügend Stoff für einen erregenden Trip in irrwitzig verschlungene Befindlichkeiten hierzulande. Doch ein Altherren-Terzett war den Erfindern und Regisseuren dieser Deutschland-Revue (Thomas Thieme sowie seine Kollegin Julia von Sell) viel zu wenig. Also holten sie den Wolfsburger Männerchor 1952 e.V., die Band „Heile Welt“, samt den beiden Schubidu-Girls San und Xenia sowie den mit der Location (einst Hort aristokratischen NS-Widerstands) verbandelten Gebhard Graf von Hardenberg mit auf die Revuetreppe, die allerdings im Schlosspark-Festzelt praktikabel zum Podium schrumpfen musste.
Die musikalische Ausstattung der Forschungsanstalt deutscher Innerlichkeit liegt auf der Hand: Altdeutsches Liedgut aus zünftigen Männergurgeln, poppiger Heile-Welt-Sound zum Mitklatschen, Gabriels kehlig-süffige Macho-Balladen von Trucker-Freiheit, vom einfachen Kerl mit dem Hammer in der Hand oder dem Stolz in der Brust über sein Deutschland mit Luther, Grass, Gründgens, Beethoven, Schmeling, Zeppelin, Heinz Erhardt, Knef, Maffay, Papa Heuss und Beuys – da wippen die Fußspitzen, da bebt das Bierzelt; das kleine Radeberger zu 3,50 Euro.
Doch sentimental-schmissige Musik allein genügt den Analytikern deutscher Denkungsart freilich nicht. Dichter müssen her: Goethe (Faust!), Schiller, Eichendorff, Heine, Rilke. Aber auch Paul Celan und Neonazikritik von Moritz von Uslar und Spießer-Bloßstellung von Rainald Grebe. Dazu biografische Schnipsel von Graf Gebhard, Kosmonaut Jähn, von Gerd und Klaus vom Männerchor e.V. – eine tolle Textsammlung! Ein riesiger Materialhaufen, der leider zur Müllhalde wird, die man blindlings plündert und wie besessen zerschreddert. Packende Bilder, gar eine verrückte, sarkastische Collage können so nicht entstehen. Auch keine Einsichten, weder in deutsche Großartigkeiten noch Abgründigkeiten. Vielleicht dennoch ahnbare Andeutungen von deutschen Höllen einst und jetzt werden ohnedies schnurstracks zugemüllt mit ruppigem oder rührseligem Trallala. – So steigern sich die beiden Sprecher von Sell und Thieme mit „Denk ich an Deutschland… “ hinein in ein wunderbar wütendes Wahnsinns-Crescendo “in der Nacht”. Doch das „…bin ich um den Schlaf gebracht“ kommt nicht. Stattdessen kräht Thieme „Dann kann ich schlafen bis halb acht“. Und Gabriel witzelt „Oder bis das Bett zusammenkracht.“ Und röhrt seine Schunkel-Hymne „Hey, komm unter meine Decke…“.
Da dampft das Plastikzelt. Da kocht die angeblich literarisch-philosophische Deutschland-Revue auf ihrem Knackpunkt. Der heißt: Deutschland macht prima Laune! – Ist ja nicht schlecht. Stimmt ja auch. Aber: War da nicht noch was, das da unter der wirtshäusigen Kuscheldecke verstörend blubbert?
Es heißt, einst hätte ein Engländer gesagt, Deutschland sei wie eine Kuckucksuhr. Vorn romantische Fassade, dahinter ein laut tickendes Uhrwerk. Und immer käme einer herausgestürzt und erschrecke alle Leute. Wenigstens ein Minimum von diesem Schrecken hätte in die Neuhardenberger Deutschdeuterei gehört. Und ein bisschen mehr wirkliche Romantik; schon wegen der Fallhöhe.