Besucht man Basel, dann gehört es dazu, einen Abstecher nach Riehen in die Fondation Beyeler zu machen. Dort ist im Moment eine umfangreiche Henri-Matisse-Ausstellung der Magnet. Mit Einblicken in alle Schaffensperioden des Künstlers. Das Kunstmuseum zeigt – unter dem Titel „Machtspiele“ – eine ebenso aussagekräftige Retrospektive mit Werken der portugiesisch-britischen Malerin Paula Rego.
Aber auch die darstellenden Künste haben einiges zu bieten. Im Großen Haus des Theaters steht mit „Julia und Romeo“ ein Tanzspektakel (so der offizielle und zutreffende Untertitel) nach William Shakespeares und Sergej Prokofjews populärer, allerdings den männlichen Titelhelden zuerst nennenden Vorlage auf dem Programm. Hier haben sich die beiden Isländerinnen Erna Ómarsdóttir und Halla Ólafsdóttir gleichsam ausgetobt. In ziemlicher Entfernung zur bekannten Geschichte um die Liebe über Familienfeindschaften hinweg und um die zwei Todesfällen wegen mangelhaft entwickelter Kommunikationsmöglichkeiten. Mit einem Versuch, irgendwo zwischen eskalierender Gruppentherapie und einem Kamasutra für Vampire in einem Blutbad à la Herman Nitsch, Liebe und Tod für einen Assoziationssturm zu mobilisieren, bei dem die klassische Vorlage zumindest gelegentlich noch durchscheint. Oder auch nicht. Wobei der Verdacht aufkeimt, dass das Troll- und Elfenminsterium, das man den Isländern ja ohne weiteres zutraut, vielleicht auch eine Abteilung für kulturelle Auslandsaktivitäten hat …
Das vor allem überregional auffallende Bühnenereignis im vorweihnachtlichen Dezember freilich lieferte Christoph Marthaler. Sein „Tiefer Graben 8“ ist mal wieder ein Musiktheater von der Art, wie sie dieser Schweizer erfunden und zur Markenreife entwickelt hat. Der Titel bezeichnet eine Anschrift in Wien. Unter anderem dort, im ersten Bezirk, wohnte Ludwig van Beethoven. Auch wenn der auf der Bühne nicht als Person vorkommt, geht es um das Genie als ganz und gar nicht genialen Mieter und notorischen Umzieher. Ums Aus- und Einziehen. Ums Klarkommen und Nerven. Alles in einer von Anna Viebrock (von wem auch sonst) für’s Marthalern genial erfundenen Wohnlandschaft. In der man aneinander vorbeireden kann, in der man sich verfolgen, befragen und (nicht) antworten, vor allem aber gemeinsam singen kann. Im Chor und mit professionellen Sängern als Teil der Marthalertruppe. Mit viel von Sylvain Cambreling und dem Sinfonieorchester beigesteuerter, zum großen Teil unbekannter und von Johannes Harneit marthalertheatergerecht aufbereiteter Beethoven-Musik.
Den Auftakt dieses Baseler Theater-Dreiklangs lieferte aber im betonnüchternen Schauspielhaus Lukas Bärfuss. Der 1971 geborene Schweizer Schriftsteller, Bühnenautor Theaterregisseur, Dramaturg und Büchnerpreisträger hat seinen 2023 erschienenen Roman „Die Krume Brot“ für’s Schauspiel adaptiert. Was in dem Fall heißt, in Dialoge übertragen und nicht, wie oft bei Romandramatisierungen, einfach nur ins Referieren des Textes. Regisseur und Schauspielleitungsmitglied Antú Romero Nunes hat das inszeniert. Der Titel klingt nach Armut – es geht aber vor allem um eine mühsame, den Umständen abgerungene Biografie. In der Stückversion nähert sich die erfolgreiche Selfmade-Frau Emma (Gina Haller), gegen inneren Widerstand und auf Drängen ihres Lovers Lukas (Jörg Pohl), der Geschichte ihrer leiblichen Mutter Adelina (Gala Othello Winter) und deren familiärer Vorgeschichte bis hin zu ihren Urgroßeltern. Adelina ist als Tochter italienischer Immigranten in das Zürich der 1960er- und 1970er-Jahre hineingeboren und verkämpft sich gegen einen Abwärtsstrudel der Armut.
Erzählt wir das alles als eine Ansammlung von biographischen Anekdoten mit italienischer Grundierung. Dabei kommen Mussolinis Faschisten genauso vor wie eine Begegnung mit den Roten Brigaden, die Ende der 1970er Jahre den Ministerpräsidenten Aldo Moro ermordeten. Immerhin kann Emma den Teufelskreis aus Armut und Pech dank des Erbes ihres verstorbenen Adoptivvaters und eigener Cleverness durchbrechen.
Interessanter als die erzählte Geschichte ist die Machart, die ohne eine üppige Ausstattung auskommt. Matthias Koch braucht für die Bühne im Grunde nicht mehr als zwei bewegliche Bretterwände und ein Haus-Gerüst. Den Rest, vor allem die Innenausstattung, übernehmen die insgesamt acht Protagonisten selbst. Die spielen neben ihren wechselnden Rollen auch das gesamte Interieur quasi vor. Wände, Schuhschrank, Spiegel – das sorgt zumindest in der ersten Hälfte des Abends immer wieder für Heiterkeit. Auch wenn der Reiz dieses Kulissenspiels mit der Zeit nachlässt.
Wenn dann der Anführer der Terroristen-Brigade gegen Ende hin ein klassenkämpferisches Grundsatzreferat hält, um Adelina für einen gefährlichen Botengang zu gewinnen, wirkt das als bewusster Kontrast zum ansonsten lustbetonten Spiel geradezu lähmend. So wird der knapp dreieinhalb Stunden dauernde Abend, wenn schon nicht zu einem Triumph des Theaters, so doch zu einem Fest für die Schauspieler.
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