Diesmal: „My Way“ – Theater am Frankfurter Tor: / „Das Dinner“ – Deutsches Theater
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Theater am Tor: Ich tu was mir passt
Rechts vom Podium ein Foto: Sinatra überlebensgroß. Schwarzer Anzug, weißes Hemd, Krawatte locker. Den Trenchcoat lässig über die Schulter geworfen und ein Hütchen keck in den Nacken geschoben mit einem Lachen: He, was kostet die Welt …!
Da trottet Johannes Hallervorden lässig in den Saal, weißes Smoking-Jackett, Krawatte korrekt und mit Hütchen. Die Band spielt leise „My Way“. Er hält kurz inne vor dem Porträt des Weltstars, dessen Hits er nun singen wird, stellt grinsend die ikonische Pose nach, schiebt den Hut in den Nacken, knappe Verbeugung vor diesem Kerl, vor dieser Legende mit dem Etikett „Stimme Amerikas im 20. Jahrhundert“. Und trällert „Fly Me To The Moon“.
Was für ein cooler Einstieg, von der intelligenten Regie Peter Fabers ausgetüftelt. Sie meint: Hallervorden singt Sinatra, versucht aber nicht, ihn zu kopieren. Er trägt ihn mit sich im Kopf (womöglich auch im Herzen), bleibt aber ganz bei sich. Mit einer Portion Chuzpe, wie sich das gehört (ansonsten müsste man es lassen). Und mit eigener Art Einfühlung in die Musik, den Sound, Rhythmus, Text. Alles ist Sinatra und alles Hallervorden-Ton. Was diesen Abend so souverän macht. So grundsympathisch.
Francis Albert Sinatra, Sohn sizilianischer Einwanderer, aufgewachsen in Hoboken, New Jersey, am Hudson mit Blick auf Manhattan, war schon als Teenager – es ist die Ära der Big Bands – fasziniert von den Konzerten in Sälen und zu Hause im Radio und den Platten fürs Grammophon: Bing Crosby war sein Idol. Sein Vorbild. Sein Ziel schon als Teenager: Singen und berühmt werden.
Eine Talente-Show gab den Startschuss: Erste Platte, sogar im Radio gesendet. Dann Einstieg ins Orchester von Tommy Dorsey, ins große Live-Business. Man lernt sich Kleiden, Sprechen, Gesangstechnik, Geschäftssinn. „Bei einer Big Band zu singen ist wie Gewichtheben. Man kommt in Form“, bekennt er. Sein Weg vom Band-Sänger zum Solisten war kurz und steil. Jubel in der Presse: „Seit Bing Crosby der Größte!“ A star was born.
Die Nummern der Show folgen im Wesentlichen dem Lebenslauf von „The Voice“, so das singuläre Signum, das ihm die konkurrenzreiche Branche des Entertainments gab. Einem Leporello gleich werden Höhe-, aber auch Tiefpunkte dieser Karriere aufgeblättert. Knappe Zwischentexte – Fakten, Daten in Stichworten, Presse-Zitate, Selbstzeugnisse des Künstlers, Anekdotisches (Buch: Wolfgang Seppelt. Im Ping-Pong mit den seit Generationen gesummten Ohrwürmern.)
So sausen wir animiert durchs egomanische Leben des verführerischen Lebemanns. „Seit den Zeiten Rudolf Valentinos hat die Weiblichkeit keinen Entertainer derart hemmungslos öffentlich geliebt“, schrieb The Time Magazin. Bestaunen diverse Bruchstücke der Chronik seines Ruhms: Etwa die „Night-and-Day“-Tour mit Eröffnung des Palladiums in L.A. (80.000 Zuschauer), die Hollywood-Filme (ein Fünfjahresvertrag, Wert: 1,5 Millionen Dollar); die Auftritte vor US-Soldaten in Italien im Zweiten Weltkrieg; sein Singen gegen Rassendiskriminierung in Amerika; die vielen Platten, Filme, Frauen, Ehen, die zweifelhafte Vaterfigur.
Und dann der Whisky, die Stimmbandprobleme. Das trotzige Behaupten des alten Romantikers gegen den blindwütig verabscheuten Rock‘n‘ Roll der jungen Wilden (Bill Haley, Chuck Berry, Elvis et cetera). „Ich werde tun, was mir passt. Ich brauche niemanden auf der Welt.“ Und schließlich: Zwei Jahre Abschiedstournee: „Ol‘ Blue Eyes“ – „Alte blaue Augen“ in Riesenhallen, Stadien; allein in London verkaufte Tickets 15.000, die Nachfrage: 35.000. Doch 1998 ist Schluss; im 83. Jahr. Tod in L.A. nach zweitem Herzinfarkt.
„Night and Day“ – was für ein Weg! Hallervorden als Moderator mit leiser Ironie und als Sänger mit Grips und Herz für die Stimmungen der Songs. Dazu die Vierer-Band unter Leitung von Carly Quiroz mit exzellenten Arrangements und überraschend fülligem Sound. Das Publikum ist berührt. Und hemmungslos begeistert!
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DT: Kurzer Blick in Abgründe
Nachts in einer Sparkassenfiliale: Es stinkt, es ist nass, eine Obdachlose schnarcht in ihrem Schmutz. Da stürmt eine Gymnasiasten-Gang herein, Kohle ziehen für den Ritt durch die Klubs. Sie pöbeln „Verdammte Assi-Tante, such dir Arbeit!“ Sie schubsen, treten, schlagen die Frau. Immer brutaler. Haben Spaß dabei und filmen bis die Frau tot ist. Filmen so, dass sie unerkannt bleiben auf den Bildern, die sofort ins Netz kommen. Johlend stürmen sie nach draußen.
Abends in einem Luxusrestaurant: Die Herren Paul und Serge, zwei Brüder, gehobener Mittelstand, treffen sich mit ihren Gattinnen Claire und Babette. Es sind die Eltern der Totschläger. Beim Speisen legen sie die Linie fest über den Umgang mit dem, wie sie meinen, „Dumme-Jungen-Streich“. Denn: Das Nachrichten-TV berichtete! Zwar liefen die Bilder der Überwachungskameras, doch die Gesichter der Mörder blieben unkenntlich. Die Alten freilich sahen klar, auch, weil sie die Tatvideos in den Handys der Burschen entdeckten. – Etwas musste also geschehen.
„Angerichtet“ ist der vielsagende Titel eines Romans von Herman Koch aus Holland. Darauf basiert, nichtssagend neu getitelt, „Das Dinner“. Dabei ist die Grundsituation ungeheuerlich: Fein herausgeputzt bespricht eine liberal auftretende Akademikerfamilie beim teuer Futtern („das Rosmarin bekränzt die Olive“) ein Gewaltverbrechen ihrer halbwüchsigen Kinder.
Zunächst aber pflegt man hingebungsvoll zynisches Alltagsgeplänkel und gegenseitig giftiges Frotzeln. Feine Leute, nicht sonderlich fein und als Figuren nicht sonderlich scharf gezeichnet. Auch wenn das Quartett der Protagonisten (Ulrich Matthes, Maren Eggert, Bernd Moss, Wiebke Mollenhauer) die Register ihrer Kunst zu ziehen weiß.
Zur Redeschlacht über essentielle (moralische) Dinge, was zu erwarten wäre, kommt es nicht. Kein Vergleich mit Autoren wie Jasmina Reza oder Thomas Vinterberg, die in ihren Stücken Familienhöllen erschreckend bloßlegen.
Stückbearbeitung und Regie lagen in unserm Fall fatalerweise in einer Hand. Andras Dömötör rackerte sich vergeblich ab, seine generelle Uninspiriertheit auszugleichen durch nervöse Wechsel von erlebter und erzählender Rede, zur Sache wenig beitragende Videospielchen sowie durch aufwändige Dekorationen mit spaßigen Nebenfiguren.
Erst spät steuert dieser erstaunlicherweise auf Unterhaltsamkeit angelegte 100-Minuten-Abend seine entsetzliche, bürgerliche Wohlanständigkeit demaskierende Pointe an: Die Eltern wollen das Verbrechen ihrer verwöhnten, emotional wohlstandsverwahrlosten Teenager nicht anzeigen, wie es moralisch-erzieherisch geboten wäre, sondern es eiskalt unter den Teppich kehren. Um den Jungs nicht die Zukunft zu verbauen. Die Linie: Man müsse die Dinge „aus der richtigen Perspektive betrachten“. Wow!
Als Papa Serge aber doch noch das Gewissen packt, er ausscheren will in Richtung Polizei, zertrümmert Schwägerin Claire mit zerbrochenem Weinglas sein Gesicht. Wie die Großen so die Kleinen … Und Schluss der Veranstaltung – mit flüchtigem Blick in den Abgrund. Eine Ahnung von dessen Tiefe, die wenigstens mag uns bleiben.
Schlagwörter: Deutsches Theater, Reinhard Wengierek, Theater am Tor