Ein gewagter Spagat hatte seit Ende letzten Jahres die kleine polnische Linkspartei Razem (Zusammen) in Spannung gehalten, nun kann er als gescheitert gelten. Die Partei zählt jetzt knapp 2000 zahlende Mitglieder und hätte – alleine antretend – kaum Chancen, in das Parlament einzuziehen. Dennoch hatte sie bis Ende Oktober zehn Parlamentsmandate, zwei im Oberhaus, dem Senat, acht im Sejm. Ein bemerkenswerter Erfolg, den sie dank des Zusammengehens mit der „großen“ polnischen Linken, der Nowa Lewica (Neue Linke), erreichen konnte. Gemeinsam bildete man im Sejm die Linksfraktion mit 26 Abgeordneten – zwei Parteien, eine Fraktion!
Bei den Parlamentswahlen im Oktober 2023 hatte die Liste von Nowa Lewica, an der Razem beteiligt war, 8,6 Prozent der abgegebenen Stimmen erhalten. Auch wenn ein zweistelliges Ergebnis erwartet worden war, blieb Polens geeinte Linke zuversichtlich, war es doch gelungen, als Teil eines breiten demokratischen Oppositionsbogens die Rechtsregierung der Nationalkonservativen abzuwählen. Nowa Lewica ist nun Teil der Koalitionsregierung unter Ministerpräsident Donald Tusk, stellt dort drei Minister, mehrere Vizeminister sowie einen der Stellvertretenden Ministerpräsidenten. Das Herzstück der gesamten Linken in Polen ist ohne Zweifel die recht buntgefleckte Linksfraktion. Die Besonderheit nun, dass Razem zwar der Linksfraktion angehörte, gleichwohl sich nicht an der Regierungsarbeit beteiligte. Das Regierungslager – gerechnet ohne die acht Sejm-Abgeordneten von Razem – hatte dennoch eine ausreichende Mehrheit, insofern spielte die eigenartige Entscheidung der Razem-Führung keine größere Rolle, auch wenn sie als eine gewisse Belastung für die Linksfraktion galt. Beobachter witzelten gerne: Razem sei halb hier, halb da – halb im Regierungslager, halb im Oppositionslager.
Soweit der Stand bis Oktober 2024. Im Zusammenhang mit der im November anstehenden Sejm-Abstimmung über den Haushaltsentwurf der Regierung für 2025 spitzte sich die Lage plötzlich zu. Adrian Zandberg, charismatische Führungsfigur von Razem, kündigte im Sejm an, dass die Partei gegen das Haushaltsgesetz der Regierung stimmen werde, weil die Stoßrichtung neoliberal und antisozial sei. Den Wählern sei 2023 anderes versprochen worden (er meinte damit die Wähler der Linken insgesamt), zudem drifte die Tusk-Regierung immer mehr zur rechten Seite, viele Wahlversprechen aus dem Jahre 2023 seien nicht gehalten worden. Es klang wie die Rede eines Abgeordneten von der Oppositionsbank, der eigenen Fraktion wurde die Treue gekündigt. Die Spitzen von Nowa Lewica machten postwendend klar, dass nicht Teil der Linksfraktion bleiben könne, wer in der so wichtigen Haushaltsfrage gegen die Regierungsvorlage stimmt.
Zandberg stützt sich bei seiner Entscheidung auf einen Mitgliederentscheid, der mehrheitlich für einen Ausstieg aus der Linksfraktion votiert hatte. Am 27. Oktober 2024 folgte der Parteikongress dieser Empfehlung der Mitgliedschaft, der Ausstieg der Sejm-Abgeordneten von Razem aus der Linksfraktion ist beschlossene Sache. Bemerkenswert wiederum, dass drei Tage zuvor mehrere Razem-Abgeordnete der Partei demonstrativ den Rücken gekehrt hatten. Zwei Senatorinnen aus dem Oberhaus sowie drei Sejm-Abgeordnete hatten erklärt, aus Razem auszutreten, um die Regierungsarbeit künftig unterstützen zu können. Die Partei verliert mit einem Schlag die Hälfte ihrer bislang zehn Abgeordnetenmandate, darunter jenes der Senatorin Magdalena Biejat, die als Vizemarschallin des Senats überaus medienwirksam ist und insbesondere jüngere Wählergruppen anspricht. Noch ist unklar, welche Auswirkungen die harsche Trennung für die Partei insgesamt haben wird.
Im parlamentarischen Geschäft ändert sich allerdings wenig, denn das Regierungslager kann, wie gesagt, den Verlust von fünf Sejm-Stimmen ohne weiteres verkraften. Włodzimierz Czarzasty, einer der beiden Vorsitzenden von Nowa Lewica, reagierte entsprechend verschmitzt und der Jahreszeit gemäß: viel Aufregung unter den Vögeln, die einen fliegen weg, die anderen bleiben hier. Er hält aber die Tür offen: Wenn die Razem-Partei ihre jetzige Entscheidung überdenke und revidiere, könne sie jederzeit zurückkommen. Versöhnlich auch der Ton bei Krzysztof Śmiszek, der für Nowa Lewica im EU-Parlament sitzt: „Ihr habt eine Entscheidung getroffen, das ist eure Sache. Danke für die zurückliegenden gemeinsamen Jahre. Uns ist viel Gutes gelungen. Erfolg auf dem neuen Weg! Das gemeinsame Ziel bleibt: soziale Gerechtigkeit, ein weltlicher Staat, Europa.“
Doch die liberale Tageszeitung Gazeta Wyborcza warnt: „Die Tusk-Regierung kann zunächst zufrieden sein, bekommt sogar Stimmen dazu. Aber in weiterer Perspektive zeichnet sich eine Gefahr ab – sowohl für die Linke wie auch für Polen.“ Der Blick geht zurück auf den Herbst 2015: Eine getrennt antretende Linke – hier ein „großes“ Linksbündnis, dort Razem – holte bei den Parlamentswahlen zwar zusammengerechnet über 11 Prozent der abgegebenen Stimmen, scheiterte aber jeweils an den erforderlichen Prozenthürden. In der Folge hatte das Kaczyński-Lager mit 37,6 Prozent der Wählerstimmen plötzlich die absolute Mehrheit der Sejm-Sitze in der Hand und formte die Alleinregierung mit allen bekannten Folgen. Das Sicherheitsventil, dass Kaczyński ohnehin mit niemanden koalieren könne, folglich auch nicht an die Regierungsmacht gelange, war geplatzt.
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