„Nicht ich, nicht jetzt, nicht so!“
Mantra der Klimaleugner
Die seit 1964 veröffentlichte Zeitschrift BioScienes, die „Lesern aktuelle und fundierte Übersichten über die aktuelle Forschung in der Biologie, […] zu Bildung, öffentlicher Ordnung, Geschichte und den konzeptionellen Grundlagen der Biowissenschaften bietet“, publizierte im Oktober „The 2024 state of the climate report: Perilous times on planet Earth“ (Gefährliche Zeiten auf dem Planeten Erde).
Der Report beginnt: „We are on the brink […]“ – zu Deutsch: „Wir stehen kurz vor einer irreversiblen Klimakatastrophe. Dies ist zweifellos ein globaler Notfall. Ein Großteil der Lebensgrundlagen auf der Erde ist gefährdet. Wir treten in eine kritische und unvorhersehbare neue Phase der Klimakrise ein.“ Untypisch alarmistisch für einen wissenschaftlichen Aufsatz! Gerechtfertigt ist das damit, dass 35 „planetare Vitalparameter“ wie Entwaldung, Eisschmelze, Luft- und Wassertemperaturen, von Waldbränden zerstörte Flächen oder der Säuregehalt der Ozeane beobachtet wurden, aber auch fossile Subventionen, CO₂- und Methan-Ausstoß oder der Fleischkonsum pro Kopf (steigt immer noch). 25 dieser 35 Parameter haben „neue Rekordstände erreicht“, einige davon „in historischem, enormem Ausmaß“. Die Autoren gehören zu den renommiertesten Forschern ihrer Gebiete; aus Deutschland ist Stefan Rahmstorf dabei, Klima- und Meeresforscher am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung; sein Forschungsschwerpunkt sind auch Wetterextreme. Andere Verfasser kommen aus Australien, der Schweiz, Dänemark und China; die meisten aus den USA, dem Land, in dem Teile der Bevölkerung glauben, dass die Demokraten Hurrikane zu Wahlkampfzwecken manipulieren. Aus Trumps Lager – er selbst hält den Klimawandel für eine chinesische Erfindung – hieß es, dunkle Mächte würden das Wetter „kontrollieren“, auch unter Einsatz von Lasern; gemeint ist die Biden-Harris-Regierung.
Typisch USA. Weit gefehlt! Auch hierzulande wird die Klimakrise in einer populistischen Metaerzählung als von politischen und medialen Kreisen „inszeniert“ angesehen. Eine interessengeleitete Elite agiere gegen die Belange des Volkes und über den „wahren“ Volkswillen hinweg. Die Klimawandelleugnerpartei AfD vermochte es, alle Parteien – vor allem die Union, mittlerweile auch die der Ampel – weg von umwelt- und klimapolitischen Anstrengungen auf ihren migrationsängstlichen Kurs zu bringen. Tatkräftig unterstützt von Talkshows, Berichterstattung und Kampagnen von Bild und Co. gegen Wärmepumpen („Heizhammer“), E-Autos, erneuerbare Energien.
Oder man bestreitet die Existenz dieser Krise gleich ganz. Darin gefallen sich beispielsweise das dubiose Europäische Institut für Klima und Energie – Klimawandel sei „Schwindel“ – und die AfD in ihren Wahlprogrammen und Aktivitäten. Ökologischen Akteuren gegenüber und der gegen die Klimakrise gerichteten ökologischen Politik wird der Vorwurf gemacht, ideologisch zu sein; er trifft namentlich die Grünen als „eine von Ideologie getriebene Partei“, wie CSU-Generalsekretär Martin Huber urteilt. Dagegen setze man auf eine Politik des Pragmatismus, der Vernunft, des Augenmaßes – eine unideologische Politik eben. Die ökologischen Akteure wehren sich; sie sind der Überzeugung, unideologisch zu sein, da sie nach wissenschaftlichem Stand der Klimaforschung und ihren Erkenntnissen handelten.
„Eine unideologische Politik“ ist freilich Unfug – jede (politische) Position ist ideologisch. Der Ideologievorwurf der Klimaleugner und –skeptiker ist ein Kampfbegriff; es geht dabei weniger um Ökologisches als um die politische Macht. Diese Einsicht sollte es ökologischen Akteuren erlauben, den gegnerischen Vorwurf ihrer Ideologiegetriebenheit erstens als unsinnig zurückzuweisen und zweitens selbst eine ökologische Ideologiekritik zu entwickeln, die die gegnerische „fossile“ Ideologie einschließlich des darauf gründenden Machtanspruchs angreift.
Eine zentrale These rechter Klimaleugner ist die von der Gefährdung des Wirtschaftsstandorts Deutschland als Konsequenz „irrationaler“ Politik. Im Zuge der Energiewende drohten Wettbewerbsverzerrung, Wohlstandsrückgang und Arbeitsplatzverluste sowie eine sinkende Wettbewerbsfähigkeit im internationalen Vergleich. In seiner populistischen Aufladung geht das Narrativ über berechtigte und belegte Kritik an marktwirtschaftlichen Folgen eines ökologischen Umbaus hinaus und unterstellt Umweltpolitikern wie Robert Habeck die bewusst herbeigeführte Deindustrialisierung oder mutwillige Zerstörung der deutschen Wirtschaft. Insbesondere die Transformation der Automobilindustrie, die – wie sich herausstellt –, selbst die Zeichen der Zeit verkannte, wird dabei als Angriff auf das Herzstück der deutschen Wirtschaft stilisiert. Jedoch nicht das Festhalten am „Verbrenner“ machte die Wirtschaft zukunftsfest, sondern Innovation und Investitionen in Zukunftstechnologien, was aufgrund unsinniger finanzieller Restriktionen zu wenig geschieht.
Ein mit der Erzählung einer drohenden Deindustrialisierung einhergehender Anwurf besagt, Umweltpolitik sei per se sozial ungerecht; die ökologische Transformation gilt als Programm zulasten prekär Lebender, des „kleinen Mannes“. Dass Klima- und Umweltschutzmaßnahmen soziale Ungleichheiten verschärfen können, ist zunächst keine populistische Behauptung, sondern durchaus belegt. Dabei wird außer Acht gelassen, dass umweltpolitische Maßnahmen wie etwa eine CO₂-Bepreisung so ausgestaltet werden können, dass benachteiligte Gruppen verhältnismäßig weniger belastet werden oder sogar davon profitieren. Die Erkenntnis, dass Geringverdiener von den Folgen eines ungebremsten Klimawandels besonders betroffen sind, wird übergangen. Sie besitzen weniger finanzielle Mittel, um sich vor den Auswirkungen des Klimawandels zu schützen, können sich notwendige Gegenmaßnahmen, Versicherungen oder technische Hilfsmittel nicht leisten. Auch arbeiten sie oft in Sektoren, die besonders empfindlich gegenüber den Auswirkungen des Klimawandels sind, wie die Landwirtschaft: Eine durch Dürre oder Überschwemmung vernichtete Ernte kann in den Ruin führen. Ärmeren Menschen gebricht es an politischem Einfluss, um auf Entscheidungen zu drängen, die ihre Bedürfnisse berücksichtigten. Sie sind nicht in der Lage, Lobbyarbeit zu betreiben oder „ökologischen“ Einfluss zu nehmen, sie sind weniger flexibel, um ihren Wohnort zu wechseln …
Der Autor Dankwart Guratzsch behauptet, der Kampf gegen Windmühlenflügel sei „kein Donquichottismus gegen neue Technologien, sondern in den Augen der Betroffenen Heimatwehr“. Zwei Begründungsmuster sind zentral: Zum einen wird der Ausbau erneuerbarer Energien als Gefahr für das Tierwohl und den Artenschutz angesehen; Windkraftanlagen seien für das Sterben von Vögeln, Insekten und Fledermäusen verantwortlich. Ginge es diesen Naturfreunden um den Schutz dieser Populationen, sollten sie ihr Augenmerk vor der Windkraft auf anderes wie den Verkehr, Gebäude und Glasfassaden sowie die auch so liebe Hauskatze respektive die intensive Landwirtschaft, den Pestizideinsatz und den Verlust von Lebensräumen richten. In Relation verenden mehr Tiere dadurch.
Des Weiteren ist die „Verspargelung“ der „Heimat“ ein Ärgernis; der Ausbau erneuerbarer Energien komme einer „Vernichtung“ der symbolisch aufgeladenen Kulturlandschaft gleich. Auffällig ist hier ebenfalls die selektive Argumentationslogik: Während Windräder vermeintlich das Landschaftsbild verschandeln, gilt dieses Argument nicht für die Devastierung ganzer Landschaften durch Tagebaue, die oft auch den Abriss von Dörfern oder Wäldern, sprich menschlichen Lebensräumen, verursachen.
Neurechten Milieus ist Be- oder Verhinderung von Klima- und Artenschutz „Mittel zum Zweck, um demokratiezerstörerischen Einfluss auf die Mitte der Gesellschaft zu erringen“. Sie bilden eine unheilige Allianz mit denjenigen, die die Interessen der Öl- und Gasbranche und ihrer Nutznießer höher bewerten als die Zukunft unserer Kinder und Enkel. Zugleich ist das generelle Vertrauen zu politischen Akteuren und ihren Maßnahmen zur nachhaltigen sozial-ökologischen Transformation gering. So habe ich wachsende Zweifel, ob die politische Kapazität hierzulande ausreicht, um gegen das Beharrungsvermögen, die Reformunwilligkeit überhaupt einen „grünen“ Mentalitätswandel durchsetzen zu können.
* Es wurden Überlegungen von Leonhard Wunderlich verwendet.
Schlagwörter: Energie, Klimawandel, Leugner, Stephan Wohanka, Umweltpolitik, Windkraft