Mathias Brodkorb, ehemals für die SPD Bildungsminister in Meck-Pomm – im Oktoberheft des Cicero schreiben Sie eine aufschlussreiche Kolumne über den Osten Deutschlands nach den letzten Wahlen unter dem Titel „Vaterlandslose Gesellen“. Diese sind für Sie nicht etwa die bösen Ossis mit ihrem Wahlverhalten, sondern etablierte westliche Politiker, die eine „Unregierbarkeit auch auf Bundesebene perfekt“ machen könnten. „Und das alles als Ergebnis einer seit 35 Jahren andauernden Besserwisserei. Das bis heute nicht überwundene Gefühl westdeutscher Überlegenheit könnte also demnächst das ganze Land ins Chaos stürzen. Man hätte dann das Landeswohl endgültig parteipolitischen Interessen und der eigenen Überheblichkeit geopfert.“
Sie gestehen den Ossis das Recht auf eine eigene Meinung zu, anders als die meisten westlichen Kommentatoren, dann „muss man zwangsläufig die Idee einer Umerziehungsrepublik ad acta legen. Die Ossis haben das Recht, anders zu sein als die Wessis.“
Folgerichtig verfallen Sie auch nicht in die inzwischen übliche Gleichsetzung von AfD und BSW. „Es sind keine sozial deklassierten Idioten, die das BSW wählen. Es ist zu einem erheblichen Teil die akademisch gebildete Mittelschicht Ostdeutschlands.“
Es bleibt zu hoffen, dass jemand, der wie Sie das neu gewonnene Selbstbewusstsein im Osten nicht als intellektuellen Defekt, sondern als Gewinn versteht, nicht in die Schmuddelecke gestellt wird.
Fabian Payr, führender Kopf im Netzwerk Sprachkritik – unter dem Dach „Linguistik versus Gendern“ initiierten Sie einen Aufruf gegen die Genderpraxis im ÖRR. Aktuell läuft eine Beschwerde beim Rundfunkrat des Hessischen Rundfunks. In ihr wird die Frage aufgeworfen, „ob die Verwendung von Gendersonderzeichen den Bildungsauftrag verletzt, wie er für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk im Medienstaatsvertrag verbindlich vorgeschrieben ist.“ Sie monieren die Praxis der ARD-Anstalt, es werde auf den „Webseiten des hr Nutzern des generischen Maskulinums implizit eine rückständige und nicht ‚zeitgemäße‘ Sprachpraxis unterstellt.“
Am Ende fürchten Sie allerdings, dass sich der Sender auf die Rundfunkfreiheit berufen könnte, „um damit den Gebrauch einer sprachpädagogisch motivierten Privat-Orthografie zu legitimieren“.
Als bekennende Benutzer des generischen Maskulinums – was denn sonst, wenn man sich sexusindifferent oder geschlechtsneutral ausdrücken will – warten wir mit Ihnen gespannt und uns gar nicht rückständig oder unzeitgemäß fühlend auf eine Antwort.
Alena Buyx, Prof. Dr. med. und „Corona-Expertin, die keine war“ (O-Ton Berliner Zeitung) – Der Deutsche Ethikrat, heißt es auf dessen Website vollmundig, „beschäftigt sich mit den großen Fragen des Lebens. Mit seinen Stellungnahmen und Empfehlungen gibt er Orientierung für die Gesellschaft und die Politik.“ Sie standen dem Gremium von 2020 bis 2024 vor, also während der Corona-Pandemie. Manchen davon, also von Corona, besonders Betroffenen liegen Sie heute noch quer im Magen. Denn im Juni 2021 hatten Sie bei Markus Lanz den neuartigen mRNA-Impfstoffen bescheinigt, das sei „ja so ein elegantes Verfahren““, die Vakzine würden „zerfallen, dann werden die abgebaut, dann sind die weg. Die kann man nach zwei Wochen überhaupt nicht mehr nachweisen im Körper“. Später ergab sich, dass die sogenannten Spike-Proteine sogar in die Muttermilch übergehen können. Ihre ganz spezielle Impfempfehlung lautete: „Noch ist da ja noch nichts zugelassen. Deshalb kann man im Moment einfach noch nichts anbieten, außer bei wirklich absoluten Risikopatienten […], also was weiß ich, Kindern mit Downsyndrom, Kinder mit Herzfehlern – da können Ärzte das sozusagen off label machen, also außer der Reihe.“ Und skeptischen Impfverweigerern wie dem Fußballer Joshua Kimmich bliesen Sie den Marsch: Es sei „extrem unwahrscheinlich, dass da irgendwelche Langzeitfolgen entstehen“.
Die Berliner Zeitung fasste zusammen: „Als Vorsitzende des Ethikrates stand sie während der Pandemie aufseiten der Macht, anstatt sich gleichermaßen auch für Minderheiten und Schwächere einzusetzen, wie es ihre Aufgabe gewesen wäre.“ Und deshalb brauchten Sie sich hinterher für den unwissenschaftlichen, teils auch unethischen Nonsens, den Sie von sich gegeben hatten, nicht zu entschuldigen, sondern konnten ins Kuratorium der mächtigen Bertelsmann Stiftung wechseln und am 1. Oktober 2024 überdies aus der Hand des Bundespräsidenten das Bundesverdienstkreuz in Empfang nehmen – wegen besonderer Verdienste während der Corona-Pandemie … Aber man weiß ja nie: Vielleicht ist die Erde ja ab morgen auch wieder eine Scheibe.
Anne Applebaum, US-amerikanisch-polnische „Star-Historikerin“ (O-Ton stern) – Als das Nachrichtenmagazin stern dieser Tage ein Interview mit Ihnen veröffentlichte, hat Chefredakteur Gregor Peter Schmitz in seinem Editorial am Beginn der Ausgabe die Leser schon mal eingestimmt: „Wenn es in der Welt der Sicherheitspolitik (wenig kriegerische) Tauben und (sehr kriegerische) Falken gibt, spielt Anne Applebaum in einer eigenen Kategorie: als eine Art intellektuelle Super-Fälkin. […] In einer Ecke ihrer Warschauer Wohnung stand eine ukrainische Panzerfaust.“
Das Interview enttäuschte dann auch nicht: Der erste Kalte Krieg wurde „gewonnen, weil amerikanische Soldaten über Jahrzehnte an der innerdeutschen Grenze sicherstellten. dass die Sowjetunion nicht in Westdeutschland einmarschierte“. (Moskau hatte, wie man seit der zeitweisen Öffnung russischer Archive in den 1990er Jahren zwar weiß, nie vor einzumarschieren – aber nebbich!) Und was von der damaligen Neuen Ostpolitik von Brandt und Bahr und der dadurch möglichen Ost-West-Entspannung zu halten ist, daran besteht für Sie kein Zweifel: „Handel durch Wandel [sic!], der Slogan der Ostpolitik, bedeutete im Kern: Man kann mit jedem Geschäfte machen, auch wenn es politischen Erwägungen total zuwiderläuft. Man muss sich das vorstellen: Zur selben Zeit, als die ersten Pipeline-Deals zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion geschlossen wurden, finanzierten die Sowjets die RAF […].“ (Letzteres hat vor Ihnen zwar noch kein anderer Star-Historiker behauptet – aber nebbich!) Folgerichtig Ihre Lösung für den Ukraine-Konflikt: „Wir gewinnen den Krieg.“
Da verwundert uns nur eines, das jedoch zutiefst: Wieso wurden Sie in diesem Jahr nur mit dem Carl-von-Ossietzky-Preis (siehe Blättchen 12/2024) und dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels dekoriert? Und der Friedensnobelpreis ging an irgendwelche Japaner, die Schiss vor Atomwaffen haben … Na ja, aufgeschoben ist nicht aufgehoben!
Ingvar Kamprad, der mit dem Inbusschlüssel und den Köttbullar – als Erfinder von IKEA, ein Akronym mit Ihren Initialen und denen des elterlichen Hofes und Dorfes, haben Sie ein Weltimperium aus Spanplatten geschaffen. Seit 50 Jahren auch in Deutschland beheimatet, im Westen mit Möbelhäusern, im Osten zunächst nur mit anrüchiger Produktion (Stichwort Zwangsarbeit von Häftlingen). Wir bekennen, ohne die legendären Billy-Regale, hätten viele unserer Bücher kein ordentliches Zuhause gefunden. Die Erinnerungen an Selbstmontage mit kryptischen Anleitungen verblassen nicht so schnell: „Schraubst du noch oder fluchst du schon?“ Danke für dies und die vielen Stunden in den von Ihnen kreierten gelb-blauen Labyrinthen, in denen wir uns zwischendurch mit mythischen Fleischbällchen stärken durften, nachdem wir versuchten, die schwedischen Namen einiger Produkte zu begreifen.
Schlagwörter: Alena Buyx, Anne Applebaum, Corona-Pandemie, Fabian Payr, IKEA, Linguistik versus Gendern, Mathias Brodkorb