Manfred Stolpe, der erste sozialdemokratische Ministerpräsident des Landes, hatte in Brandenburg – im Unterschied zur CDU, die Anfang der 1990er Jahre die anderen ostdeutschen Bundesländer regierte – einen konsensorientierten Politikstil eingeführt. Die SPD verfolgte eine eher gemäßigte Positionierung im Reigen der Parteien – im Namen der „Brandenburgischen Toleranz“, die bis auf den Großen Kurfürsten im 17. Jahrhundert zurückgeführt wurde. So regiert die SPD seit 1990 das Land, wenngleich in unterschiedlichen Koalitionen. Gleichwohl hatte die SPD stets einen Machtvorsprung als parlamentarisch stärkste Partei.
Den hat sie jetzt wieder ausgespielt. Bereits bei den Landtagswahlen 2004 und 2009 hatte Ministerpräsident Matthias Platzeck, der Nachfolger Stolpes, das Motto verkündet, die SPD müsse unbedingt stärkste Partei bleiben. Damals hatte die PDS, respektive Die Linke versucht, ihr diesen Platz streitig zu machen. In beiden Wahlen lagen die Sozialdemokraten schließlich erneut vorn, mit 32, dann 33 Prozent der Wählerstimmen.
Für September 2024 hatte die AfD sich zum Ziel gesetzt, stärkste Partei in Brandenburg zu werden. Ministerpräsident Dietmar Woidke gab nun seinerseits die Losung vor, die SPD müsse unbedingt erneut stärkste Partei werden. Die stets eingeschnappt und besserwisserisch wirkende SPD-Vorsitzende Saskia Esken – als Unsympathie-Trägerin – erhielt ein Auftrittsverbot im Brandenburgischen Wahlkampf. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz, als Hauptverantwortlicher für die schlechte Bilanz der Ampel-Regierung, wurde definitiv aufgefordert, nicht in Erscheinung zu treten, obwohl er in Potsdam wohnt. Als es schließlich immer noch „Spitz auf Knopf“ stand, erklärte Woidke, er werde im Falle eines AfD-Wahlsieges als Ministerpräsident zurücktreten.
Nach den ermittelten Daten der Tagesschau hatten unter den SPD-Wählern 97 Prozent gesagt, er sei „ein guter Ministerpräsident“, 95 Prozent seien zufrieden mit seiner Arbeit, „Ohne ihn würde ich nicht SPD wählen“, bekundeten 52 Prozent der SPD-Wähler. 75 Prozent von ihnen erklärten, die SPD „überzeugt mich zwar nicht, aber ich wähle sie, um eine starke AfD zu verhindern“.
Woidkes Wähler-Erpressung erzielte am Ende die erstrebte Wirkung. Nicht zuletzt auch deshalb, weil der sächsische CDU-Ministerpräsident, Michael Kretschmer, seinem brandenburgischen SPD-Amtsbruder beigesprungen war und mitten in der Endphase des brandenburgischen Wahlkampfes erklärt hatte, es müsse eine „demokratische Partei“ stärkste Kraft werden, um Thüringer Verhältnisse zu verhindern
Die Wahlbeteiligung stieg, wie schon in Sachsen (74,4 Prozent) und Thüringen (73,6 Prozent), hier auf 72,9 Prozent. Das war die höchste Wahlbeteiligung bei Landtagswahlen in Brandenburg seit 1990 (damals 67,1 Prozent).
Ergeben hat sich nun ein Vier-Parteien-Parlament: die SPD kam auf 30,1Prozent, die AfD auf 29,2, das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) auf 13,5 und die CDU auf 12,1 Prozent. Die Grünen (4,1 Prozent), Die Linke (knapp drei Prozent) und die Freien Wähler (2,6 Prozent) wurden aus dem Landtag rausgewählt. Die FDP kam auf kaum noch messbare 0,83 Prozent.
Unter der Voraussetzung, dass die AfD nicht an der Regierung beteiligt werden soll, bleibt eine Verbindung von SPD und BSW die einzige Möglichkeit, eine Mehrheits-Regierung zu bilden. SPD und CDU kämen auf zusammen nur 44 von 88 Sitzen. Die Brandenburger CDU erklärte, für eine Minderheitsregierung nicht zur Verfügung zu stehen; die Wähler hätten ihr einen Platz in der Opposition zugewiesen.
Betrachtet man die Wahlergebnisse in den drei Bundesländern im Zusammenhang (siehe dazu auch Blättchen, 19/2024), so fällt zunächst auf, dass die AfD mit jeweils um die 30 Prozent Wähleranteil deutlich gestärkt wurde. Unter großen Mühen haben es die CDU in Sachsen und die SPD in Brandenburg geschafft, vor der AfD zu liegen. Die Lage in Thüringen ist bekanntlich anders, dort erhielt die CDU 23,6 Prozent, während die Rest-Linke dank Bodo Ramelow noch auf 13,1 Prozent kam. Aber sie hatte fast 18 Prozentpunkte verloren, das war mehr, als das BSW mit 15,8 Prozent gewonnen hatte. Die FDP ist in allen drei Länderparlamenten nicht vertreten, die Grünen flogen aus zwei der Parlamente, die Linke kam nur dank zweier Direktmandate in den Sächsischen Landtag. Das BSW erreichte überall beachtenswerte Ergebnisse.
Die gestiegene Wahlbeteiligung ist offensichtlicher Ausdruck der politischen Polarisierung: die einen – die früher Nichtwähler waren – sind wählen gegangen, um den bisher regierenden Parteien den Abschied zu geben, die anderen, um die AfD nicht noch weiter erstarken zu lassen. Die Ampel-Parteien, die auf Bundesebene regieren, wurden insgesamt geschwächt. Die SPD Woidkes erreichte ihr gutes Ergebnis nicht wegen, sondern trotz der Berliner Regierungstätigkeit und gegen die Bundes-SPD. Die Linke erhielt die Quittung für ihr Schwanken in der Friedensfrage. Viele Linken-Wähler im Osten haben seit langem die Linke nur wegen ihrer friedenspolitischen Position gewählt; innenpolitisch war sie ja schon – zumal in Brandenburg – „sozialdemokratisiert“. Insofern wird das starke BSW wohl von Dauer sein. Daran dürfte auch eine andere Linken-Parteispitze nichts mehr ändern können.
Am Ende bleibt ein bitterer Nachgeschmack. Regierungsbildungen werden schwieriger, die neuen Verbindungen – insbesondere von CDU und BSW – sind umstritten und widersprechen dem ursprünglichen antikommunistischen Daseinszweck der West-CDU. Die Mobilisierung „gegen Rechts“ auf den Straßen hat nicht zu einer entsprechenden Mobilisierung an den Wahlurnen geführt. Wir haben es eher mit einer Art „Kannibalisierung“ zu tun: die Stärkung von CDU und BSW in Sachsen und Thüringen korreliert mit der Schwächung der Ampel-Parteien und der Linken; die Stärkung der SPD und des BSW in Brandenburg ebenfalls, zuzüglich einer Schwächung der dortigen CDU. Das wirft Schatten voraus, auf die nächste Bundestagswahl.
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