27. Jahrgang | Nummer 20 | 23. September 2024

Musikschulen weiter in der Krise

von Walter Thomas Heyn

Wahrlich, wir Musiker und Musikschullehrer leben in anstrengenden und unsicheren Zeiten. Für mich war das immer eine Einheit: die selbstgelebte Praxis als Musiker und die Lehre. Beide ergänzen und befruchten sich gegenseitig. Nun gibt es aber seit einigen Jahren immer mehr die Tendenz, diese beiden Teilbereiche zu entflechten und damit zu trennen, was seit Jahrhunderten zusammengehört. Der jetzt tobende Konflikt um Festanstellungen und Honorartätigkeiten verstärkt diese künstlichen Trennlinien zusätzlich.

Damit mich niemand missversteht, ich gönne allen, die das wollen, von Herzen gutbezahlte Stellen und üppige Renten. Ich habe das erste immer verschmäht und das zweite logischerweise nicht bekommen, aber das war meine eigene Entscheidung! Die Situation jetzt, also das, was die Politik, die Gewerkschaft und die Rentenversicherung gemeinsam unter der Losung der verbesserter Bezahlung und sozialen Absicherung der ach so armen freiberuflich dahinvegetierenden Musikschullehrer gerade unter dem Schlagwort „Herrenberg“ angezettelt haben, nimmt den Betroffenen die Möglichkeit der Entscheidung. Denn nach diesem Verständnis ist man entweder brav angestellt oder weg vom Musikschulfenster. So weit, so bekannt. Siehe auch Blättchen, 12/2024.

Am Krisentelefon ist Erstaunliches aus einer großen Kreismusikschule einer großen Brandenburger Stadt zu erfahren: Alle, so die Info, sind fest angestellt. Alle? Wirklich alle? Ja, auch der fast 80-jährige, langjährig erfahrene Gitarrenlehrerkollege hat eine Festanstellung bekommen. Auch mein jahrelanger Kollege aus einer großen sächsischen Stadt wurde mit 63 Jahren fest angestellt. Besonders bemerkenswert ist allerdings: Nach jahrzehntelanger ununterbrochener Tätigkeit an der gleichen Musikschule wurde er auf Probe bis Jahresende eingestellt mit der Erfahrungsgruppe 1. Er wurde also nach 38 Jahren als Neuling in diesem Beruf eingestuft.

Bei beiden Kollegen war das Hauptargument, dass ja dann ihre Renten steigen würden. Dieses Märchen wird oft und gern erzählt und sei hier ein für alle Mal entzaubert: Wenn die Rentenversicherung für einen Versicherten 9000 Euro im Jahr einnimmt, bedeutend das einen Rentenpunkt zusätzlich. Die Zahl ist gerundet, im Moment gilt eine krumme Summe um die 8300 Euro. Aber Musiker könne nicht so gut rechnen. Sonst hätten sie beruflich zur Sparkasse oder zum Finanzamt tendiert. Also 9000 Euro, das sind 750 Euro pro Monat, geteilt durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind das 375 Euro für jede Partei. Diese Einzahlungen brächten dann einen Rentenpunkt, dessen Wert derzeit ungefähr bei 40 Euro liegt. Der festangestellte Musikschullehrer in Rente oder kurz vor der Rente zahlt 375 Euro pro Monat ein, um 40 Euro mehr Rente zu bekommen. Er müsste also nach dem Beenden seiner Unterrichtstätigkeit noch 9 Jahr leben, um auf eine ausgeglichene Bilanz zu kommen und ab dem zehnten Jahr hat er dann wirklich 40 Euro mehr. Bei der derzeitigen Inflation, die vermutlich nie wieder runtergehen wird, ist das einfach nur ein Witz.

Das Telefon klingelt noch mal und verkündet die folgende Zusatz-Info: Die Dozenten, die einmal im Jahr eine Weiterbildung oder einen kleinen Kurs machen, die werden für die 2 bis 3 Stunden auch fest angestellt. Ach ja, und die Lehrer, die im Orchester der Stadt spielen, also die Streicher und vor allem fast alle Bläser, die kriegen auch einen festen Vertag, der aber weist Steuerklasse 6 aus, also 40 Prozent Abgaben. Fast alle haben abgelehnt und unterrichten jetzt privat weiter. Das Schulorchester ist Geschichte.

In vielen Landkreisen im Osten Deutschlands gibt es gute und schlechte Nachrichten. Denn die Festanstellungen sind für die die Landkreise, die oftmals die Träger der Kreismusikschulen sind, mit erheblichen Kostensteigerungen verbunden. Man kann hier von kleinen bis mittleren sechsstelligen Beträgen ausgehen und diese Mehrkosten werden die Kreise erst einmal selbst tragen müssen. Künftig wird es mit Sicherheit deutlich höhere Gebühren geben. Kinder mit sozial schwächer gestellten Eltern lernen dann eben kein Instrument mehr. Musik wird zum Hobby für Bessergestellte.

Seit das Urteil gefällt wurde, steigt der Druck auf die Träger der Musikschulen. Und daher können viele Instrumental-Lehrer aktuell ihren Schülern auch nicht sagen, ob sie im Jahr 2025 noch an der Schule unterrichten werden.

Martin Behm, der Präsident des DTKV Brandenburg, Berufsverband für Musiker, rackert unermüdlich, um Lösungen auch für private und kleine Vereinsmusikschulen zu finden. Er stellt in einer aktuellen E-Mail an mich fest: Viele haben nur ein Ziel, flächendeckende Festanstellungen durchsetzen. Künstlerbedürfnisse – egal, private Musikschulen – egal! Wir haben mit Franziska Stoff, Generalsekretärin des Landesmusikrats Berlin, gesprochen. Sie war sehr abweisend. Die Präsidentin des LMR Berlin, Frau Dunger-Löper, hat das Gespräch verweigert. Aber wir kämpfen weiter für die Möglichkeit, selbständig arbeiten zu können, wenn jemand das möchte. Das Vertrauen in den Rechtsstaat verschwindet, weil die Deutsche Rentenversicherung offenbar rechstwidrig handelt, so ist es jedenfalls bei mir und bei vielen unserer Lehrkräfte.

Neben der am Anfang beschriebenen Entkoppelung zwischen Praxis und Lehre gibt es noch eine zweite gefährlich Entwicklung, die Entsolidarisierung. Denn die Gremien, Landesmusikräte, Gewerkschaften, Musikschulverbände usw. kämpfen fast ausschließlich nur um die „Rettung“ der öffentlichen Musikschulen. Viel schlimmer dran sind die freien Träger. Vereine oder privat Einrichtungen, die sich nicht der Hoffnung hingeben können, irgendwie von der Kommune, vom Kreis oder vom Land gerettet zu werden. Sie machen sich große Sorgen. Die Heizung ist zu bezahlen, der Strom, die Grundsteuer, die Straßenreinigung, und wenn noch Festanstellungen dazuzukommen, verdoppeln sich die Kosten für die Eltern. Das hätte zur Folge, dass die Schülerzahl enorm sinkt. In der Folge hat der Lehrer oder die Lehrerin dann eben keinen Nebenjob mehr und davon hätte die DRV nichts. Niemand hätte etwas davon. Und die Leidtragenden sind wie schon in der Pandemiezeit wieder einmal die Kinder und die Jugendlichen.