27. Jahrgang | Nummer 12 | 3. Juni 2024

Existenzängste an Musikschulen

von Thomas Heyn

Vor einigen Jahren sagte ein Mitglied des Landesmusikrates Berlin zu mir: „ich wusste gar nicht, dass die alle an Musikschulen arbeiten“. Er meinte damit, dass er bei einer Konferenz über Musikschulfragen allerlei prominente Sängerinnen, Jazzer und Solisten aus dem Klassik-Bereich getroffen hatte, die er freischaffend und gut verdienend wähnte.

Doch tatsächlich ist es so, zahlreiche Musiker aus allen künstlerischen Bereichen der Musik verdienen sich ein Zubrot als Lehrer nach dem Motto: Dienstag und Mittwoch Musikschule, Donnerstag Proben, am Wochenende Konzerte, Montag frei. Das monatlich relativ gleichmäßige, wenn auch mäßige Einkommen durch einen Lehrerjob gleicht dabei die immerwährenden Schwankungen der freien Musikerexistenz aus, die im Auf und Ab des Marktes kaum sicher voraus zu planen ist.

Auch für die Musikschulen ist das ein Gewinn, denn sie bekommen Lehrer mit großen praktischen Erfahrungen hinzu. Vor allem auf dem Gebiet der Popmusik wächst die Nachfrage nach Unterricht seit Jahren rasant und die Musikschulen brauchen genau diese Lehrkräfte.

Dann kam das Herrenberg-Urteil und löst allerorten große Verunsicherung, Ratlosigkeit und Existenzangst aus. Denn dieses Urteil suggeriert, dass Honorarverträge an Musikschulen in Zukunft nicht mehr möglich sein sollen. Alle Lehrenden müssten festangestellt werden, was mit der Praxis des Musikschulalltags meistens kaum übereinstimmt und für eine kleinere Musikschule, die keine Förderung von der Kommune, dem Kreis oder dem Land erhält, aus den Gebühren nicht bezahlbar ist.

Durch den bürokratischen Zufall einer Routineprüfung, die regelmäßig alle vier Jahre stattfindet, ist der Blick der Rentenprüfer nun ausgerechnet auf diejenige Brandenburger Musikschule gefallen, in der ich lange gearbeitet habe und heute noch deren Trägerverein vorstehe. Hintergrund ist die Verschärfung des Kriterienkatalogs der Deutschen Rentenversicherung zur Beurteilung des Beschäftigungsstatus im April 2023.

Die DRV hat bei der kürzlich erfolgten Betriebsprüfung verkündet, alle Lehrkräfte seien ab dem Schuljahr 2024/2025 fest anzustellen. Damit nicht genug, so sollen die Sozialversicherungsbeiträge für das gesamte aktuelle Schuljahr nachgezahlt werden. Es hat noch keine Statusprüfung stattgefunden. Die beauftragte Prüferin hat lediglich verkündet, Honorarbeschäftigungen seien nicht mehr möglich, es muss fest angestellt werden. Im Hinausgehen meinte sie sinngemäß, Sie haben eine Angestellte (die Geschäftsführerin), dann können sie doch auch zehn Angestellte haben.

Das ist aber grob falsch und entspricht nicht der gültigen Gesetzeslage. Denn diese hat sich ja nicht geändert. Es ist nur ein Urteil in einem Einzelfall (Herrenberg) ergangen. Die DRV ist gerade dabei, den nicht subventionierten Musikschulbereich in den Abgrund zu prüfen. Die DRV befindet sich aber nicht im rechtsfreien Raum.

In Berlin sieht es so aus, dass der Senat versucht, mehr feste Stellen zu schaffen, um innerhalb von einigen Jahren auf ungefähr 20 Prozent Festanstellungen zu kommen. Das betrifft nur die riesigen Bezirksmusikschulen mit ihren tausenden Schülern, hunderten Lehrern und langen Wartelisten. Gunnar Schupelius schrieb dazu in der Bildzeitung: „Es ist vollkommen unverständlich, dass für die Musiklehrer nicht längst eine Lösung gefunden wurde. Der Berliner Senat brüstet sich seit Jahren damit, für Kinder und Jugendliche keine Ausgaben zu scheuen. Das Schulessen wurde kostenfrei gestellt, Schüler fahren kostenlos mit BVG und S-Bahn, aber für den Musikunterricht ist dann kein Cent übrig.“ Zu ergänzen wäre, dass kleine Musikschulen natürlich komplett ausgeblendet und im Regen stehen gelassen werden.

In Brandenburg gibt es zirka 25 Kreismusikschulen, etwa gleichviel gemeinnützige Vereinsmusikschulen und etwa 20 private Einrichtungen. Für die kaum geförderten, aber gemeinnützigen Vereinsmusikschulen, die nur von den Gebühren für den Unterricht leben, ergäbe sich eine erhebliche Mehrbelastung. Die Folge wäre eine drastische Gebührenerhöhung um 50 Prozent oder mehr und die Folge davon wäre wiederum eine Massenkündigungswelle zum Schuljahresende. Die Musikschule hätte zwar Festanstellungen, aber kaum noch Schüler zu erwarten und damit auch nicht mehr genug Einnahmen. Sie müsste aber weiter Löhne und Sozialabgaben zahlen. Der sichere Bankrott wäre unumgänglich.

Alle Menschen, die das Musikschulwesen von innen kennen, wissen es: Zum Betrieb einer kleinen oder mittleren Musikschule werden nur wenige fest angestellte Arbeitskräfte benötigt. Das ist bedingt durch den geringfügigen Grad der Auslastung der meisten Lehrkräfte und durch die ununterbrochen schwankenden Schülerzahlen sowie durch die schwankenden Schülerinteressen, denn Instrumente werden je nach Mode beliebter oder weniger beliebt. Die festangestellten Lehrkräfte könnten unter Umständen nicht ausgelastet werden und andere Arbeit ist nicht vorhanden.

Außerdem gibt es abschreckende Einzelbeispiele, die sich langsam herumsprechen: An einer großen Berliner Bezirksmusikschule werden die festangestellten Lehrer gezwungen, ab morgens 9 Uhr in der Musikschule anwesend zu sein. Sie haben dort nichts zu tun und warten täglich, bis der Unterricht viel später beginnt. Einer anderen Musikschule im Brandenburger Norden wurden vier Stellen vom Landkreis angeboten, jedoch mit der Maßgabe, dass vormittags auch an Kitas und Grundschulen zu unterrichten sei. Besetzt werden konnten zwei der vier Stellen mit Pädagoginnen, die vorher nicht an der Musikschule gearbeitet hatten. Ganz weit im Norden verbot eine Musikschule dem Kollegium das Konzertieren in der eigenen Stadt mit der Begründung, dass sie nicht als Musiker eingestellt worden wären.

Die Kollegen, die an der Musikschule arbeiten, verstehen sich nicht als Arbeitnehmer, sondern als Künstler, Musiker, die zum Teil seit Jahrzehnten bewusst freischaffend leben und arbeiten und dies auch weiter tun wollen, um in den anderen Tätigkeitsfeldern (Konzerte, Tourneen, Privatschüler) flexibel zu bleiben. Aus solchen, meist terminlichen Gründen, ist es den Honorarlehrkräften möglich und gestattet, Unterrichtstermine umzulegen, auf andere Wochentage oder in die Ferien zu verschieben oder abzusagen. Sie müssen keine Vertretung benenne und keine Gründe angeben.

Das Problem wird deutschlandweit vor allem unter dem Aspekt diskutiert, die armen Musikschullehrer aus der prekären Beschäftigungssituation herauszuholen und Altersarmut zu vermeiden. Das ist löblich. Aber genau aus diesem Grunde wurde von der Bundesregierung am 27. Juli 1981 das Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG) verabschiedet, was zur Gründung der Künstlersozialkasse führte. Diese sorgt dafür, dass selbständige Künstler und Publizisten einen ähnlichen Schutz in der gesetzlichen Sozialversicherung genießen wie Arbeitnehmer. Kontrolliert wird die KSK durch die (drei mal Raten bitte) Deutsche Rentenversicherung! Diese ist aber gerade dabei, den nicht subventionierten Musikschulbereich, wie gesagt, in den Abgrund zu prüfen.

Der einzige Ausweg wären dramatisch steigende Gebühren, diese jedoch können sich Familien mit mittleren und kleineren Einkommen nicht mehr leisten. Das Ziel eines Bildungsangebotes für alle wäre damit unerfüllbar. Musikunterricht gibt es dann nur noch für Kinder mit reichen Eltern.

Das Ergebnis einer Reform, die eigentlich die Musikschullehrer besser absichern sollte, wird also im konkreten Falle „meiner“ Schule so aussehen, dass 20 Kolleginnen und Kollegen ihr sicheres zweites Standbein verlieren und 500 Kinder in acht Orten ihr Angebot auf musikalische Bildung, die in den Schulen immer mehr verkümmert. Deutschlandweit könnten 57.000 Kolleginnen und Kollegen davon betroffen sein, eine Katastrophe mit Ansage auf dem Gebiet musikalischer Bildung.

Dabei ist Musik etwas Ganzheitliches: eigenes künstlerisches Tun und Unterrichten ist seit Jahrhunderten eine Einheit. Die Forderung des Deutschen Tonkünstlerverbandes an Arbeitsminister Heil lautet daher zu Recht, dieses duale System zu erhalten. Denn es geht letzten Endes darum, Kinder und Jugendliche in die Welt der Musik einzuführen und ihr Leben durch dieses schöne Hobby zu bereichern. Und natürlich geht es auch um Nachwuchs für unseren eigenen Beruf, um die nächste Generation Musiklehrer.