Im Film Schindlers Liste taucht sie kaum auf (wenn, dann als betrogene Ehefrau), zu dessen Premiere wird sie von Steven Spielberg als „Gerettete“ eingeladen, nicht als Ehefrau des Protagonisten und schon gar nicht als maßgeblich an der Rettung von 1300 jüdischen Menschen Beteiligte … Die Liste des Nichtbeachtens, Vergessens, Nichtinformierens ließe sich fortsetzen, doch der Reihe nach:
Erika Rosenberg, Schriftstellerin, Dolmetscherin, Übersetzerin in Argentinien, geht eines Tages zum Chefredakteur einer deutschsprachigen Tageszeitung in Buenos Aires und bat um Material für einen Artikel über die deutsch-jüdische Immigration in Argentinien. Peter Gorlinsky, selbst Kind von Einwanderern, kannte sich im Thema bestens aus und fragte sie, ob sie die Geschichte der Mutter Courage Emilie Schindler kenne …
Mit der Absicht, sie für die Deutsche Welle zu interviewen, betrat sie am 22. Mai 1990 das Haus von Emilie in der kleinen Stadt San Vicente, 60 Kilometer südlich von Buenos Aires. Die Frauen lernten sich nicht nur gut kennen, sondern wurden Freundinnen, und Erika Rosenberg wird zur Biografin von Emilie Schindler. Dieses Kennenlernen beschreibt sie im Vorwort zum Buch „Ich, Emilie Schindler. Erinnerungen einer Unbeugsamen“, dann kommt Emilie Schindler selbst zu Wort – zunächst mit einer Einführung über das sukzessive Vergessen ihrer Person, dann mit ihrer Lebensgeschichte. Das Buch wird abgerundet mit einem Nachwort von Charlotte Knobloch, damals Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, über die letzte Reise von Emilie nach Deutschland.
Emilie Schindler beschreibt ihr Leben in vier Kapiteln: Ihre Kindheit und Jugend, die Ehe mit Oskar, die Rettung der Juden und ihr Leben in Argentinien. Gerade das Kapitel über das Leben der Eheleute enthält viel im Film nicht Dargestelltes: Als Oskar Schindler die Emaillefabrik in Krakau kauft, war es eine Hauptbedingung des jüdischen Verkäufers, dass jüdische Arbeiter aus dem Krakauer Getto eingestellt werden sollten. Dies zu realisieren war zweifellos Oskars Verdienst. Doch die vielen kleinen Unterstützungsaktionen für die jüdischen Menschen gehen auf Emilie zurück (Oskar war die meiste Zeit gar nicht anwesend). Dabei wurde sie ständig durch das Wachpersonal kontrolliert. Jede menschenfreundliche Geste gegenüber einem Juden hätte ihr zum Verhängnis werden können, selbst absichtsloses Verhalten (so das Wegwerfen einer aufgerauchten Zigarette, die ein jüdischer Arbeiter aufhob) konnte gefährlich werden. Ein anderes Mal verteidigte sie ein jüdisches Mädchen gegen eine Beißattacke des Hundes eines SS-Offiziers. Vor allem aber besorgte sie Lebensmittel und Medikamente für ihre Arbeiter. Schon allein die häufigen Fahrten deswegen nach Mährisch-Ostrau waren auffällig, wie auch die Nachfrage nach Getreide bei einer adligen Dame in der Nähe von Krakau, deren Gesinnung sie nicht kannte. Emilie ist es ebenfalls zu verdanken, dass die verstorbenen Juden auf einem kleinen Judenfriedhof nach ihren Riten bestattet werden konnten. Alles das spielt im Film keine Rolle, dort ist sie lediglich die betrogene Ehefrau.
Ausführlich beschreibt sie ihre Flucht nach dem Krieg, bei der ihr und ihrem Mann jüdische Menschen geholfen haben. Nach langen Wirren beschließen Schindlers, nach Argentinien auszureisen, und sie bekommen von der jüdischen Gemeinde das Angebot, eine Quinta (ein Haus mit etwas Land und Tierhaltung) zu bewirtschaften. Emilie ist auf dem Land aufgewachsen und in ihrem Element. Oskar dagegen versucht vergebens, an seine unternehmerischen Erfolge während des Zweiten Weltkrieges anzuknüpfen und lässt schließlich 1957 Emilie mit einem Berg von Schulden (360.000 Mark) in Argentinien zurück. Er reist nach Deutschland, um einhunderttausend Mark Entschädigung für die verlorene Fabrik in Empfang zu nehmen auf Grund des vom deutschen Bundestag beschlossenen Lastenausgleichsgesetzes. Emilie sieht davon nichts. Statt dessen schreibt er ihr, dass er immer dicker werde, da er Hummer esse und guten Wein trinke. Sie beschließt, ihm nicht mehr zu schreiben.
Von seinem Tod erfährt sie erst im Nachhinein, durch einen Bekannten, der wiederum durch Zufall die Todesanzeige für Oskar Schindler gesehen hatte. Nun setzen Streitigkeiten um das Erbe ein, insbesondere um Dokumente in einem Koffer, die zum einen ihren Anteil an der Rettung der jüdischen Menschen belegen, zum anderen ein Auskommen gesichert hätten. So erfährt sie, dass ihr aus den Filmrechten 25.000 Dollar zugestanden hätten (auch sie war Vertragspartnerin) – sie wird sie nie erhalten. Sehr spät, als sie ihre Landwirtschaft bereits aufgeben musste, da sie weder die Arbeiter bezahlen noch Tierfutter kaufen kann, erhält sie 6000 Dollar – als großzügige Geste für einen Film, der 123 Millionen US Dollar einspielte. Anwälte, ihre Rechte durchzusetzen, kann sie sich finanziell nicht leisten, daher lebt sie von bescheidenen Zuwendungen. Erst die schon erwähnte Recherche von Erika Rosenberg und deren unermüdlichen Einsatz für Emilie Schindler selbst und die Darstellung des Anteils von Emilie an den Rettungsaktionen ändern einiges. Das letzte Kapitel des Buches befasst sich mit diesen späten Anerkennungen.
Eine Dokumentation von arte unter dem Titel „Emilie Schindler. Die vergessene Heldin“ (noch bis 18.8.2024 in der Mediathek) bringt ebenfalls Licht ins Dunkel. Dem Buch beigefügt sind zahlreiche Originaldokumente und Fotos, die zur Veränderung der etablierten Geschichtsschreibung beitragen.
Erika Rosenberg (Hrsg.): Ich, Emilie Schindler. Erinnerungen einer Unbeugsamen. Langen-Müller Verlag, München 2022, 256 Seiten, 20,00 Euro.
Schlagwörter: Emilie Schindler, Erika Rosenberg, Oskar Schindler, Steven Spielberg, Viola Schubert-Lehnhardt