27. Jahrgang | Nummer 6 | 11. März 2024

Wie Mao in deutsche Köpfe kam (XV)

von Wolfram Adolphi

Es sei „ungefähr seit 1938“ gewesen, meint Lily Abegg in ihrem 1957 erschienenen (und im Teil XIV bereits zitierten) Buch „Im neuen China“, dass „wir alle“ – will heißen: die „ausländischen Beobachter“ – als „Kardinalfrage“ der chinesischen Entwicklung nicht den Krieg mit Japan ausgemacht hätten, sondern „die Auseinandersetzung zwischen der Nationalregierung unter Chiang Kai-shek [Jiang Jieshi] und den Kommunisten unter Mao Tse-tung [Mao Zedong]“. Dieser „Kampf um die Macht im Staat“ sei „durch die japanische Invasion nur aufgeschoben, aber nicht aus der Welt geschafft worden“, und so habe man ihn auch stets „mit brennendem Interesse verfolgt“.

Die bei den Recherchen zu Mao in der deutschen Presse bisher gefundene letzte Meldung aus der Weltkriegszeit stammt auf der Badischen Presse und Handels-Zeitung vom 20. März 1941 und untermalt die Abeggsche Erinnerung. In einer Meldung aus Tokio war zu lesen, dass „fernöstliche Beobachter“ eine „überraschende politische Entwicklung in der chinesischen Frage nicht für unmöglich“ hielten: „Marschall Tschiangkaischek [Jiang Jieshi]“ habe „die IV. sogen. kommunistische chinesische Armee, die Teile der Provinzen von Shensi [Shaanxi] und Chansi [Shanxi] besetzt hielt, endgültig aufgelöst“ mit der Begründung, dass sie sich „des Angriffs auf Kameraden schuldig gemacht“ habe und ihre Führer „ungehorsame Rebellen“ seien. Damit sei „ein Bruch zwischen den kommunistischen Militärs und der Zentralregierung vollzogen, dessen Bedeutung für die zukünftige Entwicklung der Dinge in China nicht unterschätzt werden kann“.

Gewiss meinte der (namenlos bleibende) Verfasser statt „unterschätzt“ „überschätzt“, aber abgesehen von dieser bis heute nicht seltenen stilistischen Unsicherheit – wenn er statt „kann“ „sollte“ geschrieben hätte, hätte auch „unterschätzt“ gepasst – bot er doch einigen stimmigen Einblick in die Tragweite des neuerlich aufgeflammten Konflikts zwischen der Guomindang und der Gongchandang. Er erinnerte an das Jahr 1936, in dem der „Führer der chinesischen Kommunistischen Partei, Mao-Tse-tung, beschlossen“ habe, „sich der […] Nationalen Partei unter Tschiangkaischek zu unterstellen“, was in der „kommunistischen Zeitung ‚New China‘“ mit den Worten erläutert worden sei: „Wir haben nicht die Absicht, in großen Schlachten gegen Japan zu kämpfen, wir wollen vielmehr eine Leere vor dem japanischen Vormarsch schaffen und die Japaner dann im ständigen Guerilla-Krieg beunruhigen.“ Diese Taktik – so der Verfasser – sei „eingehalten“ worden, die Japaner seien „unbedingte Herren an den Bahnlinien und auf den Verkehrsstraßen“ gewesen, hätten aber „ständig gegen einen heimtückischen Feind zu kämpfen“ gehabt, der „kleinere Truppenteile oder Transporte aus dem Hinterhalt überfiel, sich dann aber wieder auflöste und verschwand“. Auf diese bemerkenswerte „kommunistische militärische Macht“ müsse „die Zentralleitung in Tschungking [Chongqing]“ nun „verzichten“, und daraus werde sich „auf die Dauer doch eine Entfremdung im Verhältnis Tschiangkaischeks zum Kommunismus ergeben“ – auch wenn die Dinge nicht bis zum „offiziellen Bruch mit dem Kommunismus“ getrieben worden seien. Ein Mitglied der KP dürfe auch weiterhin „an den Verhandlungen des Ministerrates teilnehmen“.

Die weitere Entwicklung sollte zeigen: Die antijapanische Zusammenarbeit zwischen Guomindang und Gongchandang riss bis zum Sieg über Japan 1945 nie völlig ab, die kommunistischen Truppen kämpften in neuen Formationen weiter und vergrößerten durch die Art ihres Kampfes und ihres Auftretens ihr Gewicht und Ansehen in der chinesischen Bevölkerung mit weiter über das Jahr 1945 hinaus reichender Wirkung.

Nachricht darüber wurde in der deutschen Presse kriegsbegründet immer seltener. Mao Zedong fand bisheriger Recherche zufolge keine Erwähnung mehr.

Erst am 29. August 1945 tauchte er wieder auf. Im Badener Tageblatt, 1. Jahrgang, Neue Folge Nr. 7, gab es ein „Politisches Tagebuch“, bei dem China mit fünf Meldungen vertreten war. Unter dem Datum 23. August war vermerkt, dass „auf dem Flugplatz von Mukden [Shenyang] […] der Kaiser von Mandschukuo [Manzhouguo], Pou-Yi [Puyi], gefangen genommen [wurde]“. Unter dem Datum 24. August gab es drei Einträge: „Tschang Kai Chek [Jiang Jieshi] unterschreibt im Regierungspalast die Charta der vereinten Nationen für China“; „Genehmigung des chinesisch-sowjetischen Paktes durch den obersten Rat der nationalen Verteidigung“; „Das kommunistische chinesische Hauptquartier beschließt, einen neuen Unterhändler zu Marschall Tschang Kai Chek zwecks Besprechung der nationalen Einigkeit zu entsenden.“ Und unter dem Datum 26. August dann Mao: „Der chinesische Kommunistenführer Mao Ts Tung [Mao Zedong] erklärt sich bereit, nach Tschungking [Chongqing] zu kommen, um mit Tschiangkaischek [Jiang Jieshi] zu verhandeln.“

Um ein Bild von diesem „Politischen Tagebuch“ des Badener Tageblatts im Sommer der Befreiung vom Faschismus zu haben: Auf die Mao-Meldung folgte unter gleichem Datum so übergangs- wie kommentarlos: „Göring, der nicht mehr Kriegsgefangener, sondern Untersuchungsgefangener ist, wurde auf Befehl der amerikanischen Militärregierung degradiert. Er befindet sich jetzt in Untersuchungshaft. Keitel, der ehemalige Oberkommandierende der Wehrmacht, und der ehemalige Generalstabschef Jodl erlitten das gleiche Schicksal.“

Am 31. August 1945 meldete der Neue Hannoversche Kurier. Nachrichtenblatt der Alliierten Militärregierung, dass „der Führer der chinesischen Kommunisten, Mao-Tse-Tung, […] zu Besprechungen mit Generalissimus Tschiang-Kai-Tschek in Tschungking eingetroffen“ sei. Es werde in der chinesischen Hauptstadt „erwartet, daß die Besprechungen, die kurz auf den Abschluß des chinesisch-russischen Paktes folgen, zu einer Lösung der politischen Probleme in China führen werden“.

 

(Wird fortgesetzt.)