26. Jahrgang | Nummer 23 | 6. November 2023

Antworten

Jutta Müller, Eislaufwunder – So richtig an die Spitze haben Sie es selbst nie gebracht. Das mag auch an der „schlechten Zeit“ gelegen haben, wie viele Angehörige Ihrer Generation leicht verschämt gerne sagten. Aber dann schafften Sie es, zur erfolgreichsten Eiskunstlauftrainerin aller Zeiten zu werden: 1969 holte mit Ihrer Tochter Gaby Seyfert erstmals eine von Ihnen betreute Sportlerin den Weltmeistertitel im Einzellauf. Sicher, es heißt, dass nicht nur Medaillen zählen … Aber 57 Medaillen Ihrer Schützlinge bei Olympischen Spielen, Welt- und Europameisterschaften sind eine Bilanz, die größte Hochachtung gebietet. Sie prägten Sportlerinnen und Sportler, die Geschichte schrieben: Gaby Seyfert, Jan Hoffmann, Anett Pötzsch, Katarina Witt – die zweimal in Folge Olympisches Gold holte… Wir könnten die Liste deutlich verlängern.
Am 2. November verließen Sie endgültig Ihren Platz an der Bande. Sicher sind fast 95 ein respektables Alter. Traurig sind wir dennoch. Sie haben eine Ära mitgeprägt, die wohl unwiederbringlich zu Ende ist.


Julian Assange, WikiLeaks-Gründer –
Am 22. Oktober erhielten Sie den Konrad-Wolf-Preis 2023 der Akademie der Künste. Die Jury verwies in ihrer Begründung darauf, dass Sie durch die Gründung von WikiLeaks illegales Regierungshandeln, Kriegslügen und -verbrechen und Verschleierungen an den Tag gebracht hätten. Wir meinen, anhand Ihres Schicksals sollte – Sie sind seit vier Jahren im Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh de facto lebendig begraben – auch der Letzte begreifen, dass solch Tun auch in „freien Welt“ absolut unerwünscht ist.

Wenn die deutsche Politik ihr Menschenrechtsgeschwafel auch nur ansatzweise ernst nähme, müsste sie alle Hebel in Bewegung setzen, Sie wieder frei zu bekommen. Statt dessen lässt Außenministerin Annalena Baerbock ihren Staatssekretär Thomas Bagger auf eine entsprechende Anfrage der Linken-Abgeordneten Sevim Dağdalen antworten, die Bundesregierung habe „keinen Zweifel daran, dass die britische Justiz rechtsstaatliche Prinzipien anwendet und die Menschenrechte achtet“. Im September 2021 forderte Frau Baerbock noch „die sofortige Freilassung von Julian Assange“. Da war Sie aber noch „Kandidatin“ – und was interessiert mich heute mein Geschwätz von gestern… Genau gegen solche Verlogenheiten haben Sie WikiLeaks in Stellung gebracht. Für diese Menschen sind Sie gefährlich.

Wir gratulieren von Herzen zur Preisverleihung – und zollen der Akademie der Künste unseren Respekt vor ihrer Entscheidung. So etwas verlangt inzwischen auch in Deutschland wieder Mut.

 

Oskar Lafontaine, Gebetsmüller – Durch permanente Wiederholung wird eine bösartig-dumme These nicht wahrer. Natürlich haben Sie Recht, wenn Sie erklären, dass „der Westen“ Russland schon immer in die Ecke schieben wollte. Dann aber beginnen Ihre Darstellungen den Charakter russischer Lubki anzunehmen. Für Nicht-Kenner: Das sind zumeist farbige russische Einblattholzschnitte, die mit kräftigem Schnitt recht schlichte Botschaften vermittelten. Volkstümliches fürs Volk sozusagen. Das ist sowieso doof und Billigfutter gewöhnt. Viele Lubki verbreiteten Regierungsansagen. Sie machen nichts anderes. Die „Sicherheitsinteressen Russlands“ seien – natürlich von den USA – nicht berücksichtigt worden, erklären Sie zum Thema Ukraine-Krieg immer wieder. „Ukrainische Nationalisten und Faschisten“ seien „durch den Maidan“ an die Macht gehievt worden. Natürlich folgt dann der Hinweis auf den Massenmord an der russischen Bevölkerung in der Ost-Ukraine. Das ist Putins Lied. Die gehabten Regierungsbotschaften. Sie haben daraus einen Lubok geschnitten und bunt ausgemalt. Natürlich kann man Ihren Überlegungen hinsichtlich der freiwilligen Unterwerfung europäischer – nicht zuletzt deutscher! – Politik unter us-amerikanische Interessen zustimmen. Aber Sie werden unglaubwürdig, wenn Sie statt dessen die Unterwerfung unter das russische Diktat predigen. Das ist wie mit Frau Wagenknechts Idee, einfach Nordstream wieder in Betrieb zu nehmen – und alles wäre wieder gut. Auch so ein Lubok.

 

Diether Dehm, kaum-noch-Linker – Sie forderten dieser Tage den ehemaligen Geheimdienstchef Hans-Georg Maaßen in einem „Offenen Brief“ auf, den thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow nicht mehr als linksextrem zu bezeichnen. Maaßen hatte das vor dem Untersuchungsausschuss 7/3 des Landtags in Erfurt getan. Der Ausschuss soll die Hintergründe politisch motivierter Gewalt in Thüringen untersuchen. Die ihn 2021 beantragt habende CDU interessieren vor allem linksextremisch konnotierte Taten. Als Revolutionsbesinger des eigenen Herzens bringt Sie das auf die Palme. Klar doch. Für Sie ist diese Parlamentsarbeit ein „Schauprozess“. Wenn nun gutgläubige Fans Ihrer „Offenen Briefe“ glauben, Sie geißelten den Rechtsabbieger Maaßen wegen Verunglimpfung eines linken Ministerpräsidenten – mitnichten! Mit der Verurteilung des Ramelowschen „Corona- und Gendergeschwurbels“ sind Sie sich mit dem Herrn so einig, dass Sie in der nächsten Zeit gleich zweimal mit ihm an den Talk-Tisch streben. Selbst Thomas Haldenwang, Maaßens Nachfolger bei Bundesamt für Verfassungsschutz, meint, Äußerungen wie die Herrn Maaßens könne man „in ähnlicher Weise eigentlich nur vom äußersten rechten Rand politischer Bestrebungen wahrnehmen“.

Sie ficht das alles nicht an. Gleich und gleich gesellt sich gern, sagt man im Volksmund. Uns wird übel bei der Vorstellung, Sie könnten in der in den Startlöchern stehenden Wagenknecht-Partei eine Rolle über die des zahlenden Mitglieds hinaus spielen. Von „links“ wird dann bei der Truppe kaum noch die Rede sein können. Manche fürchten ja jetzt schon mögliche Kooperationen mit der CDU. Das wäre noch die harmlosere Variante.

 

Sahra Wagenknecht, Parteigründerin – „Wandlung von einer Kommunistin zur Konservativen“ bescheinigt Ihnen die Süddeutsche Zeitung und fragte Sie, ob Sie über diese Entwicklung selbst manchmal staunten. Sie: „Dass ich die Welt nicht mehr so sehe wie mit Anfang zwanzig, ist das so ungewöhnlich? Ich war allerdings nie die Betonkommunistin, als die ich dargestellt werde. Ich habe die DDR schon kritisiert, als sie noch existierte, und durfte deshalb zunächst nicht studieren. Erst nach der Wende habe ich die DDR schöngeredet. Das war auch eine Trotzreaktion gegen die vielen Wendehälse, bei denen es umgekehrt war.“

Nicht mehr so wie mit Anfang zwanzig sehen Sie offenbar inzwischen auch den amtierenden Spätkapitalismus: „Menschen möchten Stabilität. Und es gibt doch auch vieles, was es wert ist, erhalten zu bleiben.“

Welches Gesetz Sie „als erstes auf den Weg bringen [würden], wenn Sie in diesem Land was zu sagen hätten“, wollte die Süddeutsche da folgerichtig von Ihnen wissen. „Ich würde alles dafür tun, dass wir wieder preiswerte Energie bekommen. Kurzfristig. […] Wir brauchen gute Handelsbeziehungen zu möglichst vielen Ländern und nicht immer mehr Sanktionen. Wir brauchen Lehrer, also einen Milliardenetat, um Quereinsteiger zu qualifizieren und neue Stellen zu finanzieren. Wir sollten den Mindestlohn auf 14 Euro erhöhen, um das Modell Bürgergeld plus Schwarzarbeit etwas weniger attraktiv zu machen. Wir müssen mehr Arbeitslose qualifizieren, statt die Mittel dafür drastisch zu kürzen, wie es die Ampel tut. Und wir müssen die Zuwanderung eindämmen, die gerade in den Schulen der ärmeren Wohngebiete fatale Folgen hat.“

Das hört sich reichlich bodenständig an. Revolution jedenfalls, also nach linkem Katechismus der totale Umsturz bestehender Verhältnisse, klingt anders.

 

Franziska Zimmerer, DIE WELT, Ressortleiterin Community & Social – UNO-Generalsekretär Antonio Guterres hat Ihr Missfallen erregt, woraufhin Sie ihn als UN-Winnie-Puuh geschmäht haben. Was müssen Sie doch für eine schlimme Kindheit gehabt haben, wenn ein bei Klein und Groß als Sympathieträger Beliebter zum Schimpfwort degradiert wird?!

Was jedoch hatte Guterres eigentlich verbrochen? Er hatte sich gestattet, seine unmissverständliche Verurteilung der entsetzlichen und beispiellosen Terrorakte der Hamas in Israel – kein Leiden der Palästinenser rechtfertige den Terror – durch den Hinweis zu ergänzen, dass die Angriffe allerdings „nicht in einem Vakuum“ passierten, da „das palästinensische Volk 56 Jahren erdrückender Besatzung unterworfen“ gewesen sei. Einer Besatzung, die der damalige SPD-Vorsitzende Siegmar Gabriel vor Jahren nach einem Besuch der Stadt Hebron im Westjordanland als Apartheid kenntlich gemacht hatte und deren Regime und Auswirkungen im Übrigen jeder kennt, der beim Betrachten des israelisch-palästinensischen Konfliktes nicht auf einem Auge blind ist.

Sie, werte Frau Zimmerer, gehören aber offenbar zu jener weit verbreiteten Spezies westlicher Medien- und Meinungsmacher, die durch genau diese Blindheit seit Jahrzehnten mit dafür sorgen, den Konflikt bis Sankt Nimmerlein zu verlängern, statt ihn endlich einer Lösung zuzuführen.

 

Nancy Faeser (SPD), Bundesinnenministerin – Nach Angaben der Bundesregierung haben seit Jahresbeginn 230.000 Migranten in Deutschland einen Asylantrag gestellt. Viele davon ohne – nach deutscher Rechtslage – hinreichende Asylgründe. Solche Anträge werden abgelehnt, die Antragsteller müssen ausreisen. Soweit die Theorie. Klappt nur nicht: ausreisepflichtig sind zwar inzwischen insgesamt knapp 280.000 Personen, doch die meisten sind noch hier. Kostet den Steuerzahler Unsummen, und die meisten Kommunen, die die Menschen unterbringen und versorgen müssen, sind längst am Limit oder darüber hinaus. Daher hat der Kanzler nun verkündet: „Wir müssen endlich im großen Stil diejenigen abschieben, die kein Recht haben, in Deutschland zu bleiben.“

Die gesetzlichen Rahmenbedingungen dafür fallen in Ihr Ressort. Deshalb haben Sie gerade ein sogenanntes Rückführungsverbesserungsgesetz – ein „umfassendes Gesetzespaket für mehr und schnellere Rückführungen“, so Ihre eigenen Worte – durchs Kabinett gebracht. Mittels dieses Pakets sollen, nach Angaben Ihres Hauses, 600 zusätzliche Abschiebungen jährlich ermöglicht werden.

600? Per annum?

Da fragen wir uns konsterniert, wen Sie mit dieser Farce eigentlich verar …, pardon, für dumm verkaufen wollen: Ihren Kanzler? Die Öffentlichkeit? Sich selbst? Womöglich alle zusammen? Aus der CDU-Bundestagsfraktion war zu vernehmen, Ihre Gesetzesinitiative sei „ein ziemlicher Rohrkrepierer“. Dem ist ausnahmsweise mal nicht zu widersprechen.

 

Daniel Bloom, wahrer Fan aus Berlin – Sie vergöttern die Pop-Ikone Britney Spears. Warum auch nicht. Wir kennen einen Staatssekretär a.D., der in einer Parlamentssitzung einmal fast in Tränen gehüllt vom Tode David Bowies berichtete. Warum auch nicht. Aber Sie toppen den absolut: Binnen weniger Stunden hätten Sie „The Woman in Me“ – welch bezeichnender Buchtitel für eine Frau – online ausgelesen und sich dann noch die englische Printausgabe und die deutsche Übersetzung der Spears’schen Autobiografie zu Gemüte geführt. Einen Boulevard-Spezialisten der Berliner Zeitung führte das zu der ungeheuer investigativen Frage „Wie verlief der Tag nach dem ersten Lesen?“ – Uns führt das zur Frage, weshalb in drei Teufels Namen eine Zeitung, die wir bislang sehr schätzten, damit fast eine ganze Seite füllt?

 

Roderich Kiesewetter, CDU-Verteidigungsexperte – Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine darf die deutsche Öffentlichkeit dank der Mehrheitsmedien fast schon im Wochentakt von Ihrem Fachwissen in Kriegsfragen profitieren. So jüngst auch bei Markus Lanz, wo Sie erklärten: „Der 7. Oktober, der Angriff der Hamas auf Israel, war der Geburtstag von Putin. Das ist ein Symbol, aber es ist kein zufälliges Symbol.“

Wow, das Datum des Events quasi als Bekennerschreiben, und schon weiß man, wer (natürlich auch dieses Mal wieder) dahintersteckt. Genial! Wohin kämen wir bloß ohne solch profunden Sachverstand.

Das dürfte Klarheit auch im Hinblick auf andere Ereignisse bringen. Da wäre zum Beispiel 9/11, also der 11. September (2001). Ups, das ist ja Ihr Geburtstag …

 

Sascha Stegemann, gescholtener DFB-Schiri – o.k., beschimpft werden Sie nur in Köpenick bei Berlin. In Stuttgart sieht man das anders. Hatten Sie doch kürzlich die Frechheit, dem an der Wuhle einst gottgleich verehrten Trainer des 1. FC Union Berlin, Urs Fischer, die Rote Karte zu zeigen. Bleiben Sie gefasst. Wir nehmen Wetten an: Spätestens nach der 13. Niederlage in Folge, elf hat man bereits kassiert, wird auch in der Alten Försterei über Ihre Idee nachgedacht werden.