Das turnusmäßige BRICS-Gipfeltreffen ist für 22. bis 24. August 2023 geplant, diesmal in Südafrika. BRICS ist Akronym aus: Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika. Das erste Treffen der Präsidenten Brasiliens, Russlands und Chinas sowie des Ministerpräsidenten Indiens fand im Mai 2009 in Jekaterinburg (Russland) statt, damals noch ohne Südafrika, 2011 aufgenommen. In einer Gemeinsamen Erklärung forderten die Vier, ihren Ländern mehr Gewicht in den internationalen Organisationen zu verschaffen. Dazu rechneten sie eine Reform des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank.
Der US-Kongress hatte bereits 2010 demonstrativ gegen eine Änderung der Stimmenanteile in der Weltbank (USA 16,75 Prozent, BRD 5,81 Prozent, VR China 3,81 Prozent) gestimmt. Der Yuan wurde 2015 in den Währungskorb des IWF aufgenommen, China bekam als drittgrößter Anteilseigner jedoch nur 6 Prozent der Stimmrechte. Später wurden China 10,92 Prozent der Sonderziehungsrechte eingeräumt, und die des US-Dollars von 42,9 auf 41,73, des Euro von 37,4 auf 30,93 und des britischen Pfunds von 11,3 auf 8,09 Prozent reduziert. Das folgte jedoch nicht der Veränderung der realen Kräfteverhältnisse in der Welt.
Die BRICS vereinbarten folgerichtig 2014 die Schaffung einer eigenen Investitions- und Entwicklungsbank sowie eines Gemeinsamen Reservefonds (analog zu IWF und Weltbank), da der „kollektive Westen“ seine Machtpositionen nicht räumen wollte. So wurden Alternativinstitutionen geschaffen, die diesen Ländern selbst und allen Entwicklungs- sowie sogenannten Schwellenländern zur Verfügung stehen.
An die Stelle der Bipolarität des Kalten Krieges, trat nach einer kurzen Phase mehr gefühlter als tatsächlicher Unipolarität der USA, die mit dem Fiasko im Irak-Krieg und im Afghanistan-Krieg endete, eine weltweite Konkurrenz, in der mehrere mächtige Zentren um Einfluss und um eine Neuverteilung der Macht ringen. Das war einst für Europa vom Wiener Kongress (1815) bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges (1914) charakteristisch. Hier war bestimmend eine „Pentarchie“, die Konkurrenz fünf großer Mächte.
Im 21. Jahrhundert verschieben sich die Gewichte der Industrieproduktion, des Welthandels, der Technologie sowie der Finanzkraft und der politischen Einflussfähigkeiten sowie der militärischen Macht nach Asien. Wenn man außer den BRICS-Staaten China, Russland und Indien auch die wirtschaftlichen Kapazitäten Japans, Südkoreas, Taiwans, Indonesiens, Malaysias, Vietnams, Pakistans und anderer hinzunimmt und – geographisch zutreffend – auch Saudi-Arabien, Iran, Kuweit und andere Staaten des Nahen und Mittleren Ostens zu Asien rechnet, hat sich der Schwerpunkt der Weltwirtschaft ohnehin längst aus der nordatlantischen Region nach Asien zurückverlagert, wo er bis 1825 historisch war.
Der Abstieg der nordatlantischen Welt und der Aufstieg der BRICS-Staaten sind zwei Seiten derselben Medaille. In ihrer wirtschaftlichen Entwicklung verzeichneten die BRICS in den vergangenen Jahren höhere Wachstumsraten als die G7 und überholten diese 2020 im Bruttoinlandsprodukt (BIP). Nach Angaben des IWF machten die G7 (in Kaufkraftparität) 1980 50 Prozent des globalen BIP aus, das der BRICS hingegen nur 10 Prozent. Gegenwärtig verzeichnet die G7 weniger als 30 Prozent, das der BRICS dagegen erhöhte sich auf über 30 Prozent. Die BRICS erbringen 33 Prozent des globalen BIP, 18 Prozent des Welthandels und trugen 50 Prozent zum Wachstum der Weltwirtschaft bei. Sie repräsentieren 40 Prozent der Weltbevölkerung. Dabei verteilen sich die wirtschaftlichen Gewichte jedoch sehr unterschiedlich. Das BIP Südafrikas liegt bei ca. 420 Milliarden US-Dollar, das Brasiliens etwa 1,6 Billionen, Russlands 1,8 Billionen und Indiens 3,2 Billionen. Bei China sind es 17,7 Billionen US-Dollar. Damit ergeben sich schon unter rein weltwirtschaftlichen Gesichtspunkten unterschiedliche Interessen.
Der BRICS-Verbund hat sich als wirksames Instrument der Abstimmung erwiesen. Da der Phantomschmerz der Unipolarität der USA angesichts der Kriege in Jugoslawien, Irak und Libyen sowie die Folgen der handels- und finanzpolitischen Erpressungspolitik fortwirken und zugleich unterschiedliche Abhängigkeiten vom „Westen“ und seinen Institutionen bestehen, haben die BRICS-Staaten jeweils für sich genommen in weltpolitischen Fragen oft nicht offen ihre gemeinsamen Interessen vertreten, sondern gegenüber den USA und dem Westen taktiert. Dabei waren sie jedoch stets sehr flexibel. Bereits lange vor dem BRICS-Gipfel wurde gemutmaßt, wie es mit der Teilnahme des russischen Präsidenten Putin sein werde, da es den Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofes gegen Putin gibt und Südafrika zu den Vertragsstaaten gehört – während die USA, Russland, China, die Türkei und andere nicht beigetreten sind. Diskutiert wurden zwei Varianten, Südafrika ist auch für ihn Gastgeber, liefert ihn nicht aus und wird damit vertragsbrüchig, oder der Gipfel wird verlegt, zum Beispiel nach China. Die russische Diplomatie hat nun entschieden, Putin reist nicht zu diesem Gipfel, und der bleibt in Südafrika – was wiederum der Afrika-Politik Chinas und Russlands entspricht.
Die russische „Elite“ war sich lange Zeit nicht schlüssig, ob sie überhaupt alternativ zum Westen agieren will. Nach der Ukraine-Krise 2014 und den westlichen Sanktionen musste Russland die Schaukelpolitik zwischen West und Ost aufgeben und agierte gegenüber den USA, der NATO und der EU im Verbund mit China, aber auch auf der Grundlage der BRICS-Zusammenarbeit. Spätestens mit Beginn des völkerrechtswidrigen Ukraine-Krieges wurde dies für Russland alternativlos.
Im BRICS-Gefüge war Russland oft der politisch-diplomatisch und militärisch aktivste Akteur, konnte dies aber nur gestützt auf dieses tun. Jetzt ist es von der Unterstützung der anderen BRICS-Staaten abhängig. Die dies jedoch unter der Perspektive ihrer eigenen Interessenwahrnehmung tun. Je länger der Ukraine-Krieg andauert, desto weniger ist klar, ob er den Gesamtinteressen der BRICS und den eigenständigen Interessen insbesondere Chinas und Indiens nützt oder eher schadet. Die russische Behauptung, der Ukraine-Krieg sei der letzte Versuch des „kollektiven Westens“, seine Hegemonie über die Welt zu erhalten, erscheint als Versuch, diese Unterstützung auch weiterhin einzufordern. Das Land führe diesen Krieg im Gesamtinteresse des globalen Südens und deshalb müsse Russland den Krieg gewinnen. Das erscheint genau betrachtet als Schutzbehauptung und eher durchsichtiges Manöver – sozusagen spiegelverkehrt zu der ständigen Behauptung Selenskijs, die Ukraine würde „die Werte des Westens“ verteidigen.
Wir haben es wieder mit einer „Pentarchie“ von großen Mächten zu tun, diesmal auf globaler Ebene; zunächst die USA und die EU auf der einen und China und Russland auf der anderen Seite. Die Einteilung der Welt in einen „demokratischen Westen“ und „systemische Herausforderer“ autoritären Zuschnitts, verkörpert durch Russland und China, wie sie die derzeitige deutsche Außenpolitik propagiert, ist eine Fehlperzeption. Dazwischen befindet sich Indien, das sich der Westen gern als „Demokratie“ schönredet, weil es im Inneren demokratisch verfasst ist. In der Geopolitik geht es aber nicht nach der aktuellen politischen Verfasstheit eines Staates, zumal einer Großmacht, sondern nach seinen langfristigen Interessen auf regionaler und globaler Ebene. Weshalb Indien sich in Bezug auf den ukrainischen Krieg Russlands verbal zurückhält, wird in den westlichen Medien vorwiegend damit erklärt, dass Indien schon mit der Sowjetunion enge Beziehungen hatte und auch heute seine Waffen vor allem aus Russland bezieht. Hier wird medial unterschlagen: Das machen die indischen Verantwortlichen seit der Unabhängigkeit 1947 und dem ersten Ministerpräsidenten Jawaharlal Nehru so, weil sie eben nicht vom Westen abhängig sein wollen, schon gar nicht militärisch.
In der Pentarchie entscheidet immer der Fünfte, auf welche Seite sich die Waage der Macht neigt. Indien hat noch historische Rechnungen mit dem Westen offen. Je deutlicher sichtbar wird, dass vor uns eine neue Weltordnung liegt, die nicht-westlich ist, desto stärker wird sich Indien in diesem Sinne an dem Übergang beteiligen. Dabei weiß es sich eins mit den „BRICS-plus“ und anderen Ländern des Südens.
Während seiner BRICS-Präsidentschaft 2022 setzte China die Erweiterung der multilateralen Strukturen der Gruppe auf die politische Tagesordnung. Es wurde vereinbart, die formellen Voraussetzungen für eine Erweiterung der BRICS zu schaffen und gemeinsame Verfahren zu erarbeiten, um dem international stark gewachsenen Interesse an einer Kooperation Rechnung zu tragen. Die Liste Beitrittsinteressierter ist lang und erstreckt sich über verschiedene Kontinente: Argentinien, Türkei, Saudi-Arabien, Iran, Vereinigte Arabische Emirate, Senegal, Nigeria, Algerien, Ägypten, Thailand, Indonesien, Kasachstan. Jedes dieser Länder verfügt im Hinblick auf globale Märkte, wie den Energie- oder den Nahrungsmittelmarkt, über eigene Potenziale, mit denen die BRICS-Gruppe gestärkt werden könnte. Mit der Entwicklung der BRICS und der zu erwartenden Erweiterungen formiert sich ein Gegenpol zur globalen Dominanz der westlichen Welt unter Führung der USA.
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