26. Jahrgang | Nummer 7 | 27. März 2023

Rügens Benennungen

von Dieter Naumann

Der Berliner Journalist Gustav Rasch schrieb 1856: „Der Name Rügen wird zuerst in einem Schenkungsbrief des Kaisers Lothar des Ersten an das Kloster Corvey erwähnt, welcher vom Jahre 844 nach Christi Geburt datiert.“ Weiter: „In der lateinischen Sprache, in welcher der Schenkungsbrief abgefasst ist, heißt die Insel insula Rügatensis. Jedoch ist die Echtheit der Urkunde zweifelhaft.“ Tatsächlich soll der brandenburgische Große Kurfürst Friedrich Wilhelm 1648, als Abt Arnold VI. von Corvey während der Verhandlungen zum Westfälischen Frieden sein angeblich verbrieftes Recht auf Rügen einlösen wollte, gewitzelt haben, der Herr Abt müsse viel Langeweile haben, dass er Derartiges erträumen könne und jetzt im Trüben fischen wolle. Pikant ist, dass Friedrich Wilhelm auf der Basis des 1529 mit den pommerschen Herzögen geschlossenen Erbvertrages von Grimnitz selbst Anspruch auf Rügen erhob; freilich vergeblich, der Dreißigjährige Krieg machte den Vertrag zur Makulatur: Rügen blieb schwedisch.

Dass die Rugii der Insel ihren Namen gaben, ist inzwischen weit verbreitete Auffassung. Ob aber die vom römischen Geschichtsschreiber Publius Cornelius Tacitus in seiner „Germania“ genannten germanischen Rugii tatsächlich auf Rügen ansässig gewesen sind, ist in der modernen Rügenliteratur umstritten. Die Ersterwähnung der slawischen Inselbewohner wird heute dem englischen Gelehrten und Theologen Beda, genannt Venerabilis („der Verehrungswürdige“), zugeschrieben. Er nannte sie in seiner 731 fertiggestellten „Angelsächsischen Kirchengeschichte“ Rugini. Der Chronist Helmold von Bosau bezeichnete sie in seiner „Chronica Slavorum“ (wohl um 1167) als „Rani“, der dänische Geschichtsschreiber Saxo Grammaticus in der „Gesta Danorum“ (ab 1185) als „Rugiani“.

Übrigens: Der Name „Rügen“ hat inzwischen einen Paten: Die von Tobias Mindner gegründete Weimarer Agentur medfux hatte zusammen mit dem Verein Deutsche Sprache die Idee von Wortpatenschaften entwickelt. Für eine lebenslange Patenschaft sind pro Wort zehn Euro zu zahlen, die für gemeinnützige und der Sprache dienende Zwecke eingesetzt werden. Erster Pate für „Rügen“ ist der in Lieschow wohnende Rechtsanwalt Hans-Jürgen Stieringer, der die Patenschaftsurkunde von seinem Sohn geschenkt bekam.

Die Bedeutung des Inselnamens wird unterschiedlich erklärt. So heißt es unter anderem, er bedeute in Anlehnung an das slawische „rui“ (soviel wie Schwarm) „Insel, von der die Bevölkerung in alle Richtungen ausschwärmte“. Andere Autoren verweisen auf den lateinischen Begriff „ruga“ in der Sonderbedeutung von Wasserstraße, Fluss oder Kanal. Rügen könnte daher die von zahlreichen Wasserläufen umströmte Insel sein. Es findet sich jedoch auch die Ableitung des Inselnamens vom slawischen „rog“ im Sinne von Landzunge oder Landvorsprung. „Rog“ sei später mit der deutschen Endung -en verbunden worden. Da die Wenden o wie u sprachen, meinte Paul Schneider 1920 („Die Insel Rügen“), sei daraus „Rugen“ und schließlich „Rügen“ geworden.

Auch der wohl kleinste der älteren Rügen-Reiseführer, Nummer 1128 der „Miniatur-Bibliothek“ des Leipziger Verlags für Kunst und Wissenschaft Albert Otto Paul, legte sich hinsichtlich des Namens fest: Die „Zerrissenheit“ der Insel habe ihr den Namen gegeben. „Ruja (von ruji, was im Slawischen ‘zerreißen’ bedeutet) heißt nichts anderes als ‘zerrissenes Land’“. Der Volkskundler Alfred Haas nannte 1920 in „Rügensche Volkskunde“ unter Berufung auf andere Autoren weitere Deutungen, die eher einen germanischen Wortstamm „rog“ vermuteten. Dies bedeute zum einen „Gericht“ oder „Gemeindeversammlung“, weise zum anderen auch auf „Roggen“ hin. Haas sah darin keinen Widerspruch, weil Roggen als ein Hauptbrotkorn vermutlich nur als Gemeindeeigentum angebaut worden sein dürfte.

Abgesehen von den wissenschaftlichen Deutungsversuchen wurden einzelne Regionen und Orte Rügens, aber auch die ganze, zunächst wenig bekannte Insel dem Publikum mit vergleichenden Namen benannt und veranschaulicht. Einige teils weniger bekannte Beispiele belegen das.

Der „Brockhaus“ von 1886 beschrieb den gut gebauten Badeort Putbus als das „rügensche Karlsruhe“, Theodor Fontane ließ seine Effi Briest 1895 an den rügenschen Kreideklippen schwärmen, „das ist ja Capri, das ist ja Sorrent“. 1822 wurde in Die Mühle. Zeitschrift für die Interessen der deutschen Mühlenindustrie in einem Beitrag über die bevorstehende Generalversammlung in Stettin Rügen als „sagenumwobene Perle Pommerns“ bezeichnet. Adelbert von Chamisso benannte das „wenig wegbare, sonst sehr liebliche Ländchen“ Rügen in den 1830er Jahren als das „Capri des Nordens“. Im 30. Band ihres „Töchter-Albums“ (1884) meinte die Kinder- und Jugendschriftstellerin Thekla von Gumpert, Rügen würde zuweilen „das deutsche Island“ genannt; dieser Name gelte seiner ältesten Sagengeschichte. Ein „Rügenprospekt“ des Rates des Kreises Rügen aus dem Jahre 1959, eine Art Vorläufer späterer DDR-Rügen-Reiseführer, prophezeite, man wolle Rügen künftig zur „Krim der Ostsee“ machen.

Die lakonische Charakterisierung der Insel durch einen namentlich nicht genannten Rügenreisenden im Jahre 1822 („Die Reise eines Gesunden…“) dürfte zu jener Zeit eher die Ausnahme gewesen sein: „Mag Rügen immerhin eine schöne Perle in Preußens Krone sein, sie ist weder die einzige noch größte“.

Scherzhaft wird Rügen noch heute hin und wieder als „Südschweden“ bezeichnet, erinnernd an die Zeit zwischen dem Dreißigjährigen Krieg und 1815, als Rügen zusammen mit dem Gebiet zwischen Wolgast und der Halbinsel Darß zur südlichsten Provinz Schwedens gehörte.

Nicht durchsetzen konnte sich die Namensgebung durch Helmut Kohl bei einer seiner Wahlkampfreisen auf Rügen in den 1990er Jahren. Im Kurhaus Binz lobte er nicht nur den Kaffee und das Ambiente des Hauses, sondern auch die Insel insgesamt: „Schön hier auf Sylt“.