von Detlef Kannapin und Hannah Lotte Lund
Unter der Bronze rumorte es gewaltig: »Es gibt Grenzen, es gibt Grenzen!«
Von Tauben beschissen und von dämlichen Touristen verwechselt zu werden, konnte man mit Ignoranz strafen. Aber – dem Pöbel ein Denkmal errichten? Und das auf dem Sockel eines Preußenkaisers [sic!]? Eines wenn auch nicht vergleichbaren Nachfolgers seiner Person? Da konnte man nur absteigen. Der Pöbel würde es sowieso nicht merken, der ferngesteuert von kleinen Metallkästen am Ohr die Linden entlang irrte. Seine Linden!
Friedrich II. stieg ab und eilte Richtung Schloßplatz, wo er beim Anblick des Humboldt-Forums erschreckten Passanten entgegenspukte. »Ihr seids doch des Teufels. Daß diese Communists unser Schloß gesprengt haben, kann ich in gewisser Weise verstehen. Aber was ich nicht verstehe, ist, daß dieser mißratene Neubau an meine Tradition erinnern soll.«
Zur selben Zeit ein paar hundert Meter weiter begann eine andere Bronze zu brummen. Von kapitalistischen Chinesen betatscht, von imperialistischen Colabüchsen beschossen zu werden, mochte noch angehen, aber nun. »Die Revolution, royal erhoben?« Der letzte Versuch für einen besseren Sozialismus in Deutschland auf dem Sockel Kaiser Wilhelms? Das hieße doch die Ideale gänzlich für erledigt zu erklären.
Der neben ihm Stehende versuchte ihn zu beruhigen: »Nun mach schon, Mohr, die Bahnsteigkartenmentalität dieses Volkes ist doch schon länger bekannt.«
»Nein«, sagte Marx, »es gibt Grenzen! Und überhaupt habe ich Durst.« Sprach’s, schwang sich vom Monument – und landete einem wütenden kleinen Mann direkt auf dem etwas komisch anmutenden Hut: »Na, Sie sind ja auch nicht mehr in Mode, was?«
F2: Potzsapperment, was erlaubt Er sich. Ich war immer à la mode, ich war die Mode, sozusagen, nämlich die herrschende, hihi. Mit dem jetzt herrschenden Unsinn will ich nichts zu tun haben. Er (zeigt auf Marx) ist doch schuld an allem, et non?
M: Ich? »Wir sind das Volk« ist zwar auch kein Sozialismus, aber jetzt tanzen die Kapitalisten uns allen auf dem Kopf herum. Ich trete zurück als Denkmal und werde mein Werk vollenden!
E (schüttelt ungläubig den Kopf): Da mach’ ich nicht mit, Karl. Nicht mit mir. Ich gehe eine rauchen und mehrere trinken.
M: Aber Fritze!
F2: Wer hat Ihm erlaubt, mich so anzureden? Das ist Majestätsbeleidigung.
M: Beruhige Dich, Hoheit, ich meinte doch den andern – Friedrich.
E: Nee, ich finanzier Dir nicht noch eine Revolution. Die scheitert dann auch, und am Ende schreibst du bloß wieder eine von den dicken Analysen, die keiner liest …
F2: Er schreibt auch?
E: Ja, und er hat heute noch recht, oder erst recht. Aber lesen tut ihn darum trotzdem keiner.
F2: Kurz, knapp und prägnant müssen Gesetzesvorlagen seindt, hab ich schon immer gesagt. Wir brauchen nicht der Analysen, wir brauchen eine Proklamation!
E: Aber was proklamieren wir und wo?« – »Strausberger Platz. Dort hat am 16. Juni 1953 die Insurrektion der Ostberliner Arbeiter stattgefunden. Das ist ein guter Ort.«, dozierte Marx.
F2: Arbeiter? Das Volk seidt doch angepaßt wie Gelantine, klebrig und ohne Vernunft. Insurrektion ja, aber von oben. Die besten Eliten müssen wieder ran. Verantwortung für das Volk übernehmen.
E: Ach was, Verantwortung, das ist ein Wort, das heute keiner mehr kennt. Ich als Unternehmer hab mich noch um meine Leute gekümmert. Die waren in meiner Verantwortung. Was früher ›meine Leute« waren, heißt heute Humankapital!
F2: Das soll ein neues Concept seindt? Schon mein Großvater hat Soldaten für Taler verkauft – und gar nicht schlecht daran verdient.
M: Majestät denken merkantilistisch.
F2: Ich hab mich immer um meine Untertanen gekümmert!
M: Ja, damit sie durchhielten bis zum nächsten schlesischen Krieg! Ich hab die Verantwortung für das ganze Proletariat …
E: … getrost den anderen überlassen.
M: Ja, und die … Wir können von vorne anfangen! Nur Sozialismus darf das Baby nicht mehr heißen (kaut nachdenklich auf dem Stift, sucht Papier).
F2: Den Pöbel sich selbst überlassen, ha! das fehlte! oder gar den Pfaffen, die nur Wasser predigen, weil sie den Wein schon versoffen haben – womit wir bei diesem versoffenen Katergesicht mit dem Biernamen sind. Zu meiner Zeit hätten wir den in ein Bierfaß stecken lassen, bis der Bart von selbst abgeht!
M: Es war ja wohl noch nie Intelligenz Voraussetzung dafür, ein deutscher Regent zu werden.
F2: Mich einmal ausgenommen. Mein seliger Neffe hatte mehr Sinnesorgane im Schwanzus als im Kopf, aber dieser Beckmesser hat eher gar keine!
E: Majestät müssen zugeben, daß die jetzige weibliche Regierung weder besser noch schlanker ist.
F2: Weiblich, wieso weiblich?? Unfug. Daß der Merkel dieses Gerücht nur zur Beruhigung des Volkswillen gestreut hat, zeigt doch, wie weit das Volk heruntergekommen ist.
M (sinnierend): Es kommt nicht darauf an …
E: … die Philosophen neu zu interpretieren???
M: Nein, daß man alles gleich so schreibt, wie man es wirklich meint!
F2: Genau! Hauptsache, es ist gut formuliert. Ich habe seinerzeit Voltaire schon gesagt: Lieber einen Freund verlieren als eine gute Pointe! (kichert) War ja dann auch so. Mein »Antimachiavell« …
E: … galt nicht mal so lange, eh die Tinte trocken war! Aber den könnten Sie mal dem heutigen Verteidigungsministerium schicken. Die halten das sicher für eine revolutionäre Idee!
M: Hm, ja, und dann vermuten sie wieder die Linken dahinter.
E: Darf ich einen Vorschlag machen – hier ist um die Ecke eine Gaststätte. Zur letzten Instanz, die schon zu Euer Majestät Zeiten …
F2: Ja, soweit sind wir gekommen, von der Tafelrunde zum Stammtisch! – Ach zum Deibel! Gehen wir!
M: Vorwärts zum Sieg ohne Furcht.
E: Das ist aber nicht von Dir.
F2 : Nee, aber könnte von mir sein.
Marx sagte unterwegs, daß man die Regierung zentral angreifen müsse und favorisierte daraufhin den Abriß des Hauses der Wirtschaft in der Breiten Straße samt Personal. Friedrich II. stimmte dem nur unter der Bedingung zu, daß er, sozusagen flankierend, die Schwachköpfe im Kriegsministerium füsilieren dürfe, um dann eine allgemeine Volksbewaffnung durchzusetzen, unter seiner Leitung, versteht sich: »Wenn alle Gewehre haben, denn brauchen die Leute keine Angst mehr vorm Militär haben, hihi.«
Aber als die drei unfreiwilligen Bundesgenossen sich dem Stammtisch nähern wollen, finden sie ihn besetzt, von einer zart wirkenden Männergestalt mit markanter Brille und historisch gewordenem Bärtchen.
E: Liebknecht! Was machst du denn hier?
KL: Ich – bin hier Stammgast. Oder hast du schon mal eine Figur auf meinem Sockel gesehen? Nicht daß das jemand interessierte. Am Potsdamer Platz soll neulich sogar jemand die Ausstellerfirma angerufen haben, sie hätten ihre Dekoration nicht abgebaut!
M: Genau. Deswegen sind wir hier. Wir haben auch die Nase voll. Rück mal.
KL: Ihr? Abtreten? Von wegen! Ich bin für meine Ideale verreckt! Und liest mich dafür heute jemand? Ihr werdet jedenfalls noch als abschrekkende Beispiele zitiert, beschwert euch nicht. Und außerdem – was meint ihr, was die sonst bei euch auf den Sockel stellen? (wird lauter) Marsch wieder aufs Denkmal!
M, F2: Ischa schon gut. Aber wehe, wenn wir wirklich wiederkommen, dann könnt ihr was erleben …
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