Die Kette der Todesfälle des alten Jahres riss bis zum Schluss nicht ab. Zu den einst im Osten Prominenten, deren Tod nur sporadisch gemeldet wurde, zählt auch Christiane Ufholz, die ganz am Ende des Jahres 2022 von uns ging. Die Rock- und Jazz-Sängerin aus Leipzig, die 1976 in den Westen wechselte, wurde am Neujahrstag 2023 in ihrer Wohnung tot aufgefunden, nachdem sie zum Jahreswechsel nicht ans Telefon gegangen war. Sie begann ihre Laufbahn bei Klaus Renfts Amateurband „Butlers“, arbeitete danach mit Musikern wie Franz Bartzsch, Stefan Trepte und Klaus Lenz zusammen und ist bis heute als kongeniale Partnerin von Manfred Krug auf Günther Fischers LP „Du bist heute wie neu“ in Erinnerung. Nach ihrem Protest gegen Wolf Biermanns Ausbürgerung übersiedelte sie in die Bundesrepublik, wo sie in ihren angestammten Beruf als Friseuse zurückkehrte. Musikalische Projekte blieben Eintagsfliegen, und erst nach dem Mauerfall konnte sie auf Tourneen im Osten mit alten Mitstreitern an frühere Erfolge anknüpfen. Sie wurde 75 Jahre alt.
Auch andere Protagonisten der DDR-Unterhaltungsmusikszene sind im Laufe des Jahres von uns gegangen. Gerd Michaelis, der Leiter des nach ihm benannten Chors, wurde 89 Jahre alt. Er hatte sich schon vor langer Zeit aus der Öffentlichkeit zurückgezogen, nachdem seine Lebenspartnerin gestorben war. Damals formierte sich der Gerd Michaelis Chor als Cantus-Chor neu. Bis heute gehören einige seiner bekanntesten Titel wie „Blau ist die Nacht“ und „Isabell“ (mit Muck) zum Repertoire der Rundfunksender im Osten.
Noch mit 80 stand Julia Axen (die eigentlich Christa Lubbe hieß) vor ihrem Publikum und sang ihre Erfolgstitel „Eine Welt ohne dich“ und „Papa, du bist so reizend“. Bevor sie ein Amiga-Star wurde, hatte sie ihre Laufbahn im Westen bei Polydor begonnen – in den fünfziger Jahren ging das noch. Sie starb im November mit 85 Jahren.
Berühmt auf ganz anderen Feldern, aber eben auch mit drei Singles bei Amiga vertreten, war Ellen Tiedtke. Sie starb im Februar kurz vor Vollendung des 92. Lebensjahrs. Die kabarettistischen Anfänge der gebürtigen Ostpreußin lagen 1954 bei den „Stichlingen“ in Cottbus, aber schon ab 1957 mischte sie die Programme der Berliner „Distel“ auf. Sie war der neue Prototyp der gewitzten Berlinerin. Viele Texte schrieb ihr ihr Mann Hans Rascher auf den Leib. Nach politischen Auseinandersetzungen schied sie aus dem Kabarettensemble 1964 aus. Als Schauspielerin war sie im Fernsehen 1964 die gute Seele des Hamburger Detektivs Weber (Werner Toelcke) im Krimi „Doppelt oder nichts“, trat seit den siebziger Jahren in den Kinderrevuen des Friedrichstadtpalasts auf und hatte 1983 ein Fernseh-Comeback, als die Autorin Inge Trisch fürs Kinderprogramm die „Ellentie“ erfand, eine alterslose Person, die viele Angewohnheiten der Kinder in sich vereint, vorwitzig und neugierig ist, aber auch immer auf den Boden der Wirklichkeit zurückfindet. Nicht nur die kleinen Zuschauer liebten Ellentie, sie wurde als Fernsehliebling ausgezeichnet und hat nach Auflösung des Fernsehfunks Geschichten für Kinder geschrieben.
Das Kinderfernsehen machte auch Hans-Edgar „Eddi“ Stecher populär. Er gehörte um 1960 als Mecki neben Helga Piur und Horst Torka zur Stammbesetzung der Reihe „Bahnhof Puppenstadt“. Doch die Laufbahn des seinerzeit sechzehnjährigen Maurers aus Lauchhammer begann schon 1948, als er sich auf eine Annonce für den Zirkusfilm „1-2-3 Corona“ bewarb und neben Eva-Ingeborg Scholz und Lutz Moik eine der Hauptrollen bekam. Er wurde am DEFA-Schauspielstudio ausgebildet, filmte weiterhin in oft kleinen Rollen, spielte Theater in Halle und Berlin. Am Deutschen Theater war Kati Szekely als Anne Frank seine Partnerin. Beide heirateten, moderierten eine TV-Reihe für junge Leute und bekamen einen kleinen Thomas, heute ein bekannter Dresdner Schauspieler. Eddi Stechers Laufbahn ging auch nach der Scheidung von Thomas´ Mutter erfolgreich weiter, bis er 1984 die DDR illegal verließ. In einem „Staatsanwalt“-Film, in dem er eine mittelgroße Rolle spielte, durfte bei der Erstsendung sein Name nicht mehr im Abspann auftauchen und eine „Polizeiruf“-Folge wanderte ungesendet in Katakomben, aus denen sie bis heute nicht mehr auftauchte. Stecher hat bis zur Rente im Westen gut zu tun gehabt und starb im Dezember in Baden-Baden kurz nach seinem 91. Geburtstag.
Auch zwei Schauspielerinnen, mit denen Stecher vor der Kamera stand, haben uns 2022 verlassen. In „Stürmischer Lebensabend“ spielte er 1955 neben Maria Kühne, die als Schauspielerin am Deutschen Nationaltheater Weimar vom Adlershofer Fernsehen abgeworben wurde. Seit 1953 wirkte sie hier als Schauspielerin, Ansagerin, später auch als Redakteurin im Ostseestudio Rostock. Als sie im November 95-jährig starb, hinterließ sie ihren Sohn Hellmuth Henneberg, der als Fernsehgärtner des RBB bekannt ist.
Die Titelrolle in Stechers erstem Film „1-2-3 Corona“ spielte Eva-Ingeborg Scholz, die nur am Beginn ihrer Karriere bei der DEFA arbeitete. Sie wirkte bis zu ihrem 90. Lebensjahr in weit über 100 Kino- und Fernsehfilmen mit (zuletzt in „Willkommen bei den Hartmanns“) und starb im März kurz nach dem 94. Geburtstag.
Eine Schauspielerin, deren Ruhm auch auf der frühen DEFA-Zeit fußt, ist Ingrid Rentsch. Im Monat der Gründung der DDR debütierte die 21-Jährige 1949 in der Gerhart-Hauptmann-Adaption „Der Biberpelz“ als älteste Tochter der von Fita Benkhoff gestalteten Mutter Wolffen. Neben der großen Diseuse Trude Hesterberg spielte Ingrid Rentsch 1951 die Titelrolle in „Corinna Schmidt“ nach Theodor Fontanes „Frau Jenny Treibel“. In dieser Fassung stand das mittellose Mädchen statt der Kommerzienrätin im Mittelpunkt. Eigentlich Westberlinerin, die dort gelegentlich vor der Kamera stand, war Ingrid Rentsch an der Volksbühne im Osten (wo sie ihren Mann Hans-Joachim Martens kennenlernte, der Stiefvater ihres Sohnes Florian Martens wurde), später auch am Theater der Freundschaft engagiert und übernahm bis 1991 vor allem markante Nebenrollen in Fernsehfilmen und -serien. Kurz nach Weihnachten starb sie mit 94 Jahren.
Als Florian Martens 1986 die Titelrolle in „Der junge Herr Siegmund“ nach einer Vorlage von Ludwig Tieck übernahm, war Jan Spitzer sein Gegenspieler. Damals lagen schon rund zwei Jahrzehnte als Schauspieler und seine bekanntesten Filme hinter ihm. Egon Günther hatte den Berliner Schauspielstudenten 1967 für die Hauptrolle in seinem Film „Abschied“ nach Johannes R. Bechers Roman entdeckt. Sofort wurde der blendend aussehende, jungenhafte Spitzer der Schwarm zahlloser Kinogängerinnen. Eher leichtgewichtig war „Jungfer, Sie gefällt mir“, als 1969 Kleists „Zerbrochener Krug“ von Günter Reisch und Jurek Becker mehr als frei bearbeitet wurde. Hatte Spitzer in „Abschied“ Heidemarie Wenzel zu lieben, waren es im nächsten Film Monika Gabriel und Ingeborg Nass und in der 1975 entstandenen Heinrich-Mann-Verfilmung „Im Schlaraffenland“ Marylou Poolman und Katharina Thalbach. Spitzer, der auch musikalisch talentiert war und Singles aufnahm, war damals schon in Halle engagiert und machte sich Hoffnungen auf die Titelrolle der Uraufführung in Plenzdorfs „Die Leiden des jungen W.“. Doch Regisseur Schönemann brauchte ihn als Komponist und Bühnenmusiker. Spitzer hat noch in vielen Fernsehfilmen gespielt, sei es die Titelrolle im Bechstein-Märchen „Der Hasenhüter“ (1977) oder Friedrich Engels in der Serie „Marx und Engels“ (1978-80). Ein immer wichtigeres Standbein wurde für ihn aber die Filmsynchronisation, und als Spitzer im November mit 75 Jahren von uns gehen musste, war die Zahl seiner Synchronarbeiten wahrlich unüberschaubar.
In nur einem DEFA-Film – das aber unvergesslich – ist Eberhard Kube aufgetreten. Er war 1964 der böse Zauberer Sassafraß in „Die Suche nach dem wunderbunten Vögelchen“ nach Franz Fühmanns Kinderbuch. Als junger Sportlehrer hatte er sich 1958 für die Pantomimen Marcel Marceau und Jean Soubeyran begeistert und erhielt von Brigitte Soubeyran eine Ausbildung, die ihn zum führenden Pantomimen der DDR werden ließ. Er gründete unter anderem in der Schönhauser Allee das Pantomimentheater vom Prenzlauer Berg und initiierte später die Internationale Woche des gestischen Theaters. Da hatte er schon in vielen Ländern der Welt gastiert. Kurz nachdem er 1987 den Kunstpreis der DDR erhalten hatte, blieb er im Westen, kam allerdings 1989 zurück, um mit seinen Kollegen auf dem Alexanderplatz zu demonstrieren. Nun starb er im Februar auf seinem Kunsthof in Mecklenburg mit 85 Jahren.
Brigitte Soubeyrans Sohn Manuel war Schauspieler, besonders in Brecht-Stoffen wie „Furcht und Elend des Dritten Reiches“ und „Die Bestie“, führte auch Regie. Ab 2000 war Manuel Soubeyran Schauspieldirektor in Chemnitz und Intendant in Esslingen und Senftenberg. Im Dezember starb er an den Spätfolgen einer Covid-Infektion mit nur 65 Jahren.
Da es unmöglich ist, alle Verstorbenen, die in der DDR gewirkt haben, ausführlich zu würdigen, sei auf einige nur kurz in alphabetischer Reihenfolge hingewiesen. Die Schauspielerin Gisela Bestehorn (95) kam 1966 nach Berlin und spielte große Rollen in dem Abenteuerfilm „Hauptmann Florian von der Mühle“ (1968) neben Manfred Krug und in der Operettenadaption „Orpheus in der Unterwelt“ (1974) neben Rolf Hoppe. – Trickfilme für Kinder, darunter aus den Reihen „Feuerwehr Felicitas“ und „Jan und Tini auf Reisen“ schuf der Animationsfilmregisseur Jörg d’Bomba (91). – Ein verlässlicher Ensemblespieler am Maxim Gorki Theater, im hohen Alter auch am Berliner Kriminaltheater, war Manfred Borges (93). Bei der DEFA spielte er gelegentlich Hauptrollen, wie in „Die Störenfriede“ (1952, übrigens der erste Film des vielfach geehrten Wolfgang Kohlhaase), „Drei Kapitel Glück“ (1961) und „Die Mutter und das Schweigen“ (1965). – Der Journalist Günter Herlt (89) arbeitete von 1966-89 für das DDR-Fernsehen und durfte gelegentlich Karl-Eduard v. Schnitzler im „Schwarzen Kanal“ vertreten, wo er sich stets bemühte, noch schärfer zu formulieren als der Chef. – Der Kameramann Günter Jaeuthe (82) hat viele Spielfilme mit Regisseur Herrmann Zschoche gedreht, wovon der „utopische“ Film „Eolomea“ im 70-mm-Format ein besonderes Meisterstück darstellte. – Der Filmkritiker Heinz Kersten (95, mit bürgerlichem Namen Herbert König) war Dresdner, der aber schon 1948 sein Studium in Westberlin begann. Als Kritiker schrieb er stets abgewogen über Kino und Theater in der DDR, obwohl er hier in der Ära Ulbricht Repressalien zu erdulden hatte. Filmhistoriker Ralf Schenk (dessen Tod im Blättchen bereits angezeigt wurde) schrieb als einziger einen bewegenden Nachruf auf Kersten. – In seiner letzten Filmrolle als General Winterfeldt in „Im Westen nichts Neues“ war Tobias Langhoff gerade auf deutschen Leinwänden zu sehen, als er am Morgen seines 60. Geburtstages tot in seiner Wohnung gefunden wurde. Der Enkel von Wolfgang und Sohn von Thomas Langhoff war vor allem ein Mann des Theaters, hatte aber am Beginn seiner Laufbahn Hauptrollen in Thomas Langhoffs Anna-Seghers-Verfilmung „Der Aufstand der Fischer von St. Barbara“ (1988) und in dem gegen Duckmäusertum und politische Selbstherrlichkeit gerichteten DEFA-Film „Ein brauchbarer Mann“ (1989) gespielt. – Eine Österreicherin in der DDR war Elfriede Links (81). Die Literaturwissenschaftlerin engagierte sich gemeinsam mit ihrem verstorbenen Mann Roland Links für das Werk Kurt Tucholskys und gab zwei Bände der Gesamtausgabe heraus. In ihrer Traueranzeige wurde Tucholsky zitiert: „Man denkt oft, die Liebe sei stärker als die Zeit. Aber immer ist die Zeit stärker als die Liebe.“ – Sowohl Schauspieler als auch Regisseur war Carl-Hermann „Charly“ Risse (80). Prägend waren 18 Jahre als Schauspieler an der Berliner Volksbühne und die Zeit als Oberspielleiter am Theater der Freundschaft ab 1984. Zwischen 1968 und 1999 konnte man ihn in über 50 Filmen und Serien erleben. – Den Internationalen Robert-Schumann-Wettbewerb gewann die Pianistin Annerose Schmidt (85) mit 20 Jahren. Konzertreisen führten sie in viele Länder der Welt, wo sie besonders als Mozart-Interpretin geschätzt war. In Berlin wirkte sie zudem als Hochschullehrerin. – Der Potsdamer Autor Bodo Schulenburg (88) hat vor allem für Kinder gearbeitet, Bücher, Hörspiele, Abendgrüße und Texte für den „Bummi“ stammen aus seiner Feder. Ein besonderes Buch über jüdische Kinder im Holocaust ist „Markus und der Golem“. – Vielleicht ist der Germanist Ilja Seifert (71) vor allem als Politiker für Die Linke ein Begriff. Er war seit einem Badeunfall, den er mit 16 Jahren erlitt, querschnittsgelähmt und engagierte sich im Bundestag für Behindertenpolitik. Aber auch als Lyriker wirkte er und hat als Literaturkritiker in der DDR für die Wochenpost geschrieben.
Sicherlich sind hier nicht alle gewürdigt, die es verdient hätten. Einige der besonders Bekannten haben wir aus Platzgründen unterschlagen, wenn sie in Rundfunk und Fernsehen schon ihre Würdigung – mitunter gar durch Programmänderungen – erfahren haben. Wir sind aber bei allen froh, dass sie unser Leben eine Zeitlang bereichert haben.
Teil I der Nekrologe 2022 ist in der Ausgabe 1/2023 erschienen.
Schlagwörter: F.-B. Habel, Nekrologe