26. Jahrgang | Nummer 1 | 2. Januar 2023

Nekrologe 2022

von F.-B. Habel

Für das alte Jahr konnte man den Eindruck gewinnen, dass uns besonders viele Menschen verließen, die zumindest eine Zeitlang in der Öffentlichkeit standen und die uns durch ihre Arbeit begleitet haben. Einige wurden im Blättchen bereits gewürdigt – wie Marion van de Kamp, Wolfgang Kohlhaase und Ralf Schenk. Wenn Künstler oder Autoren besonders in den „neuen“ Bundesländern bekannt waren, schaffte es ihre Todesnachricht selten in die Tagesschau, und noch seltener wurde für sie das TV-Programm geändert. Einiger von denen, deren Tod eher im Kleingedruckten oder auf nicht allen geläufigen Web-Seiten zu finden war, soll hier gedacht werden. Nicht chronologisch, nicht alphabetisch.

Und doch steht Josef Abrhám weit vorn im Alphabet. Er starb mit 82 Jahren im Mai in seiner tschechischen Heimat. Auch wenn er Hauptrollen in vielbeachteten Kinofilmen wie „Der Schrei“ von Jaromil Jireš (1964) und „Schüsse in Marienbad“ (eine Co-Produktion mit der DEFA von 1973) gespielt hat, wurde er besonders mit einer Fernsehserie weithin bekannt. In „Das Krankenhaus am Rande der Stadt“ (1979-81 und nochmals 2003) bewunderten ihn in Ost wie West Scharen von Zuschauern als späteren Chefarzt Dr. Blazej. Obwohl seine Frau Libuše Šafránková (das Aschenbrödel mit den drei Haselnüssen) mehr als ein Dutzend Jahre jünger war als er, verlor er sie ein knappes Jahr vor seinem Tod.

Šafránkovás Schwester Miroslava spielte eine Hauptrolle in „Wie die Welt um ihre Dichter kommt“ (1982) aus der erfolgreichen „Poeten“-Reihe von Dušan Klein, der im Januar ebenfalls 82-jährig verstarb. Sein Vorname war eigentlich Julius, und weil er Jude war, wurden er und sein Vater von den Nazis ins KZ Theresienstadt verschleppt. Für seinen Vater war es das Todesurteil, aber das Kind überlebte.

Zu den osteuropäischen Stars, die auch in der DDR (und später in der vergrößerten Bundesrepublik) arbeiteten, zählt der Litauer Regimantas Adomaitis, der im Sommer in Vilnius mit 85 Jahren starb. Bis in jüngste Zeit hat er noch in litauischen und ukrainischen TV-Serien mitgewirkt. Nach seinem Welterfolg mit dem sowjetischen Chile-Film „Das süße Wort Freiheit“ (1973) gastierte er in der DDR, so bei Kurt Maetzig 1976 in dessen Anti-Kriegs-Film „Mann gegen Mann“ neben Karin Schröder und in Günter Reischs „Die Verlobte“ (1980) als der Mann, der zu der von Jutta Wachowiak gespielten Antifaschistin gehört. Dafür erhielt Adomaitis 1981 den Nationalpreis der DDR, und kurz darauf wurde er als Volkskünstler der UdSSR ausgezeichnet. Etwa zu jener Zeit unterstützte er bereits Bestrebungen zur Unabhängigkeit Litauens. Als dieses Ziel erreicht war, konnte er in skandinavischen Filmen und auch in einer „Tatort“-Folge spielen – neben Manfred Krug, der ihm wohl nicht mehr nachtrug, dass er zwei Jahrzehnte zuvor gegen Adomaitis den Kürzeren gezogen hatte, als es um die Besetzung des Revolutionärs Max Hoelz ging. Krug wollte die Rolle, aber Regisseur Günter Reisch zog 1974 den unbekannteren Adomaitis für „Wolz – Leben und Verklärung eines deutschen Anarchisten“ vor. Es wurde die beste Rolle des Schauspielers in einem deutschen Film.

Einer der bekanntesten Schauspieler seines Heimatlandes war Franciszek Pieczka, der sich im September in Warschau mit immerhin 94 Jahren aus dem Leben verabschiedete. Er spielte Hauptrollen bei Könnern wie Jerzy Kawalerowicz und Andrzej Wajda, bevor ihn Rainer Simon 1974 zur DEFA holte. In Christa und Gerhard Wolfs Adaption des Volksbuches „Till Eulenspiegel“ war Pieczka der Ritter Kunz. Simon besetzte ihn ein zweites Mal – in dem gesellschaftskritischen Gegenwartsfilm „Jadup und Boel“, der 1981 fertig war und dann sieben Jahre auf seine Uraufführung warten musste. Als Roland Gräf Pieczka die Hauptrolle in seinem Film „Fariaho“ anvertraute, gewann er dafür beim Nationalen Spielfilmfestival in Karl-Marx-Stadt 1983 den Preis als bester Schauspieler. Schließlich zeigte er sich auch bei Iris Gusner und Herwig Kipping in eindrucksvollen Rollen und hat bis in die letzten Jahre in Polen vor der Kamera gestanden.

Schon seit 1967 hatte Pieczka Popularität als Gustlik in der antifaschistischen TV-Serie „Vier Panzersoldaten und ein Hund“ erlangt. Hier spielte auch Barbara Krafftowna mit, die im Januar kurz nach ihrem 91. Geburtstag starb. Ihre in der DDR bekanntesten Filme waren Wajdas Meisterwerk „Asche und Diamant“ (1958) und „Die Kunst, geliebt zu werden“ (1963), beide an der Seite des jung verunglückten Zbigniew Cybulski.

Ihr Landsmann Jan Nowicki hat einmal bei der DEFA gedreht und hatte in der DDR viele Anhänger – besonders unter dem weiblichen Publikum. Nowicki war jugendlicher Liebhaber in Filmen von Wajda, Jerzy Skolimowski und Krzysztof Zanussi. Als er die ungarische Regisseurin Márta Mészáros kennenlernte, entstand eine jahrzehntelange Liaison, und Nowicki spielte in Ungarn in mehreren Filmen seiner Lebensgefährtin, darunter „Neun Monate“ (1976) und „Erbinnen“ (1980). Als er neben Cornelia Schmaus die Hauptrolle in Iris Gusners Beziehungskomödie „Ich liebe dich – April, April“ (1988) spielte, konnte man auch die Mészáros für Augenblicke entdecken. Nowicki, der Dezember mit 83 Jahren starb, hatte noch in diesem Jahr eine neue Rolle für Zanussi abgedreht.

Als 1956/57 in Babelsberg als Co-Produktion Frankreich-DDR der Film „Die Hexen von Salem“ nach einer Vorlage von Arthur Miller und Jean-Paul Sartre entstand, kam es zur Kuriosität, dass die große Karriere eines französischen Stars bei der DEFA startete. Mylène Demongeot spielte die Ehebrecherin Abigail und setzte ihre Laufbahn als Sex-Symbol in Filmen wie „Bonjour Tristesse“ (mit David Niven, 1958) „Fantomas“ (mit Jean Marais,1964-1967), „12 + 1“ (1969) und mit der TV-Reihe „Jack Clementi“ (1988/89) fort. Sie hat noch bis vor wenigen Jahren gefilmt und ist Anfang Dezember mit 87 Jahren in Paris gestorben.

Oft ist in den Blättchen-Nekrologen von Regisseuren die Rede, und wir mussten uns auch im alten Jahr von einigen verabschieden. Der erfolgreichste von ihnen war wohl Roland Oehme, der bei der DEFA (aber auch im Fernsehfunk) die Fahne für Komödie und Lustspiel hochhielt. Dabei stieß er oft auf das Gebiet der „von oben“ ungern gesehenen Satire vor. Emanzipation gegen Hauspaschas in „Der Mann, der nach der Oma kam“ (1972), Parteiarbeit gegen Religion in „Ein irrer Duft von frischem Heu“ (1976), Arbeiterklasse gegen Privilegien in „Einfach Blumen aufs Dach“ (1979) und schließlich die Ehe zu dritt in „Meine Frau Inge und meine Frau Schmidt“ (1985) lockten Hunderttausende in die Kinos. Als es für Leute aus der DDR bei Film und Fernsehen schwieriger wurde, verlegte sich Oehme aufs Theater und schuf ab 1993 die Neuauflage der Störtebeker-Festspiele in Ralswiek, bevor er ab 2006 die jährliche „Müritz-Saga“ in Waren/Müritz ins Leben rief. Er wurde 87 Jahre alt.

Ein Freilichtbühnenspektakel im Norden schuf auch Wolfgang Bordel (gemeinsam mit seiner Autorin Martina Krüger) mit den Vineta-Festspielen in Zinnowitz und der von ihm gegründeten Barther Boddenbühne. Dabei war er eigentlich Intendant des Theaters in Anklam, und das als der dienstälteste seiner „Innung“. Als er sein Haus 2019 in die Hände von Nachfolgern gab, hatte er es sage und schreibe 36 Jahre lang geleitet. Nachdem zuvor die Stammzuschauer durch die Inszenierungen des damals jungen Wilden Frank Castorf vertrieben worden waren, holte Bordel sie mit heiteren Stücken zurück und setzte auch beliebte Serien wie „Die Olsenbande“ und „Ein Herz und eine Seele“ auf der Anklamer Bühne um. Gelegentlich gönnte er sich als Kontrastprogramm Inszenierungen von Brecht-Stücken („Die Gewehre der Frau Carrar“, ein Publikumserfolg) oder stellte Friedrich Wolf in Neustrelitz auf die Bühne („Die Matrosen von Cattaro“). Im Oktober starb er mit 71 Jahren, nachdem es zunächst schien, dass er die Folgen eines Unfalls überwunden hätte.

Der vielleicht unbekannteste der großen DEFA-Regisseure war Ulrich Weiß, der im Mai vier Wochen nach seinem 80. Geburtstag starb. Er schuf nur wenige Meisterwerke, weil es ihm die Kulturpolitik schwermachte. Trotz seiner überdurchschnittlichen Begabung seien „sein Weltbild und sein gesellschaftlicher Standort stark individualistisch gefärbt und diffus“ wurde staatlicherseits eingeschätzt. Der vom Dokumentarfilm kommende Regisseur brachte eine eigene Handschrift und große Sensibilität mit. Er verstieß gegen künstlerische Konventionen, was ihm besonders bei der antifaschistischen Bredel-Verfilmung „Dein unbekannter Bruder“ (1982) übelgenommen wurde. Als Foto- und Filmamateur war er zur DEFA gekommen, studierte in Babelsberg Regie und errang mit Dokumentarfilmen wie „Paragraph 14“ (1968) über das Leben im Jugendwerkhof und „Potemkin frei“ (1974) über eine Zensuraffäre in der Weimarer Republik Ansehen. Als er 1976 zum Spielfilm wechselte, fand er wegen seiner eigenwilligen Filmsprache weniger Beifall bei Funktionären. Weil er so ganz anders war, ist Weiß Literaturadaption „Blauvogel“ (1979) einer der besten DEFA-Indianerfilme. Hier erwuchs die Spannung ausschließlich aus der Psychologie der Charaktere und hatte auch einen brisanten Gegenwartsbezug, da er das Zerrissensein eines Kindes zwischen zwei Gesellschaftssystemen, zwei Philosophien und Kulturen zum Inhalt hatte, ein Zwiespalt, in dem Jugendliche in der DDR aufwuchsen.

Die Lebensauffassungen von Jugendlichen zählte zu den vielen Themen, mit denen sich der Dokumentarfilmregisseur Kurt Tetzlaff in seinen Streifen beschäftigte. Besonders aufschlussreich die Filme „Im Durchgang“ (1989/90) und „Im Übergang“ (1991), in denen ein Potsdamer Pfarrerssohn porträtiert wird, der in seiner Haltung von Euphorie angesichts der Wende wechselt zur Resignation nach dem Anschluss der DDR. Tetzlaff, der auch Filme über Künstler wie Brecht drehte, erhielt Goldene und Silberne Tauben in Leipzig, Preise auf Festivals in Wien, Helsinki, Phnom Penh, Moskau, Florenz und Nyon (um nur einige zu nennen) für Filme über unseren Alltag, über Krisenregionen, für Porträts und nicht zuletzt für Kinder-Filme. Kurt Tetzlaff, der im Sommer 89-jährig starb, war einer der profiliertesten Regisseure im DEFA-Dokumentarfilm. So mancher seiner Filme, etwa zum Umweltschutz, hat seine Aktualität leider nicht verloren.

 

Wird fortgesetzt.