25. Jahrgang | Nummer 4 | 14. Februar 2022

Rudolstädter Köpfe

von Wolfgang Brauer

Sie sind aus rotem Ziegelton gebrannt und fallen dadurch in der winterlichen Trübnis besonders auf: zwölf überlebensgroße Porträtköpfe auf blankpolierten Sockeln entlang der Marktstraße im historischen Zentrum von Rudolstadt. Es sieht recht willkürlich aus, fast wie hingewürfelt, wie die Herrschaften, den Betrachter zumeist recht freundlich anblickend, in der Gegend herumstehen.

Das ist falsch. Dahinter steckt ein Konzept. Zu Beginn des Jahrtausends wurde die Marktstraße, der Rudolstädter Boulevard, umgestaltet und die Leute vom dortigen Kunstwerkstatt e.V. meinten, es wäre doch nicht schlecht, neben dem Kommerz auch Kunst zu installieren und gleichzeitig an „kulturprägende Persönlichkeiten aus der Residenzzeit“ zu erinnern. Woanders ist so etwas Thema der hohen Lokalpolitik und führt zumeist zu heftigen Auseinandersetzungen der Parteien und Bürgerinitiativen in den Kommunalparlamenten.

In Rudolstadt war das anders. Johanna Fischer – die studierte Kunsterzieherin gründete den Verein 1998 – erzählte mir, dass man in der Kunstwerkstatt, die de facto eine Jugendkunstschule ist, eine Liste von insgesamt 25 Persönlichkeiten erstellt habe. Diese wurden in der Stadt öffentlich präsentiert – und die Bürgerinnen und Bürger konnten ihre Favoriten benennen. Eben jene zwölf blieben übrig. Goethe ist nicht dabei.

Unter Anleitung des Bildhauers Thomas Knoth entstanden bis 2005 die ersten Arbeiten, ausgeführt von jungen Leuten nach historischen Bildvorlagen. Knoth wechselte 2006 nach Schneeberg im Erzgebirge. Er übernahm dort eine Professur an der Fakultät für Angewandte Kunst der Westsächsischen Hochschule Zwickau. Seine Nachfolge in Rudolstadt trat die Bildhauerin Sylvia Bohlen aus Weischwitz bei Saalfeld an. In ihrem Atelier wurden die Köpfe auch gebrannt. Zweimal unter hohen Temperaturen, was ihrer Oberfläche einen besonderen Reiz und Widerstandsfähigkeit gegen die Herausforderungen der Umwelt im Rudolstädter Saaletal verschafft. Nur „gegen Baseballschläger ist auch dieses Material wehrlos“, sagt die Bildhauerin und bedauert, dass die inzwischen als Ersatz hergestellten Köpfe der beschädigten „Schiller-Gruppe“ immer noch nicht aufgestellt wurden. Dafür waren sie 2016 als „Klassisches Intermezzo“ anlässlich der bayerischen Landesgartenschau auf der Bayreuther Wilhelminenaue zu bewundern. Rudolstadt ist Partnerstadt Bayreuths. Wo die drei Köpfe abgeblieben sind, weiß auch Sylvia Bohlen nicht zu sagen.

Von ihr selbst stammen vier Arbeiten: Friedrich Fröbel, Charlotte von Stein, Carl Christoph von Lengefeld – der Forstmeister und Vater der Schiller-Schwestern steht etwas abseits, in der Borngasse – und Carl Gerd von Ketelhodt. Alles andere sind Schülerarbeiten. Respekt!

Friedrich Fröbel (1782–1852) steht vor dem Amtsgericht. 1813 hatte er im Lützowschen Freikorps gekämpft, ab 1837 baute er im Schwarzburg-Rudolstädtischen die deutsche Kindergartenbewegung auf. Gegen viele Widerstände, in Preußen war das „sozialistische System Fröbels“ bis 1860 verboten. Fast in Fröbels Blickrichtung stehen die einzigen fürstlichen Häupter der „Rudolstädter Köpfe“: Ludwig Friedrich II. von Schwarzburg-Rudolstadt (1767–1807) neben Gattin Karoline Luise von Hessen-Homburg (1771–1854). Ludwig Friedrich war ein kunstliebender Mensch. Er gründete das Rudolstädter Theater, das sich unter dem jetzigen Intendanten Steffen Mensching immer noch tapfer gegen die „Großen“ im Freistaat Thüringen behauptet. 1796 sorgte Ludwig Friedrich dafür, dass die jüdische Gemeinde als vollberechtigte Religionsgemeinschaft anerkannt wurde. In Preußen sollte das noch etliche Jahre dauern. Karoline Luise – eine „Frau, wie man sie nur selten findet“, meinte Wilhelm von Humboldt – hatte sieben Jahre die Regentschaft für ihren minderjährigen Sohn inne und mischte auch nach dessen Thronübernahme heftig mit. Die Gründung der Fröbelschen Erziehungsanstalt in Keilhau und den „Ersten Allgemeinen Deutschen Kindergarten“ 1840 in (Bad) Blankenburg förderte sie nachdrücklich.

Sie steht etwas abseits, da hätten wir sie doch fast übersehen: Katharina, Gräfin von Schwarzburg (1509–1567). Die setzte 1547 im Schmalkaldischen Krieg den gefürchteten Herzog Alba und seine Gefolgschaft fest und drohte, sie aufspießen zu lassen („Fürstenblut für Ochsenblut“), wenn er seinen Truppen nicht das Plündern im Schwarzburgischen verbiete. Schiller hat das Geschehen 1788 in einer kleinen Erzählung verarbeitet: „Herzog Alba bei einem Frühstück auf dem Schlosse zu Rudolstadt. Im Jahr 1547“. „Die Heldenmütige“, so ihr Beiname, ist hier bis heute nicht vergessen.

Richtung Marktplatz steht Georg Heinrich Macheleid (1723–1801). Macheleid ist zu Unrecht nur noch eine lokale Berühmtheit. Er erfand das thüringische Porzellan – basierend auf den Arbeiten von Tschirnhaus und Böttger, aber eine sehr eigenständige Kreation – und gründete 1760 die Manufaktur Sitzendorf und zwei Jahre später die „Aelteste Volkstedter Manufaktur“. Volkstedt arbeitet noch heute nach seinen Rezepturen. Ausgerechnet an seiner Nase tobte sich offenbar der von Sylvia Boden erwähnte Baseballschläger aus. Arg gelitten hat auch der Kopf der Caroline von Beulwitz-Wolzogen, geborene von Lengefeld (1763–1847). Das ist die Schwägerin Schillers. Es geht das Gerücht, dass er die Caroline wohl … aber die musste 1784 den Herrn von Beulwitz heiraten. Eine damals übliche „Vernunftehe“, die wurde 1794 schließlich geschieden. Sie heiratete im selben Jahr Wilhelm von Wolzogen, einen Weimarer Amtskollegen Goethes.

Schwester Charlotte (1766–1826) griff sich den Schiller. Ihr Triumph ist hübsch dargestellt. Der Dichter selbst (1759–1805), das Objekt der schwesterlichen Begierden, steht etwas abseits und scheint wieder mal Höheres im Sinne zu haben. Vielleicht dichtet er gerade die „Würde der Frauen“, die die Schlegels im Jenenser Freundeskreis so trefflich verrissen hatten. Wer Charlotte nicht in den Kram passte, hatte wenig zu lachen. Sigrid Damm berichtet über die tiefen Demütigungen, die sie Goethens Christiane zufügte.

Friedrich-Wilhelm von Beulwitz (1755–1829), der erste Mann der Caroline, steht ganz in der Nähe. Beulwitz brachte es in Rudolstadt bis zum Kanzler. Sein Haus war ein Treffpunkt der Künstler und Autoren. Am 7. September 1798 begegneten sich hier Schiller und Goethe erstmals. Schillers Kommentar ist eigentlich nicht zitierfähig … Beulwitz und der in der Nähe zu besichtigende Carl Gerd von Ketelhodt (1738–1814) hatten einiges miteinander zu tun. Beulwitz wurde Ketelhodts Nachfolger, man war zudem miteinander verwandt. Ketelhodt sammelte Bücher und Bilder. Seine 16.000 Bände umfassende Bibliothek ist heute Bestandteil der „Historischen Bibliothek Rudolstadt“ im Alten Rathaus der Stadt. Ein wenig aus der „Klassiker-Reihe“ tanzt Albert Methfessel (1785–1869). Er war Sänger, Komponist und Dirigent. Die Gesangsausbildung ermöglichte ihm die schon erwähnte Fürstin Karoline. Methfessel genoss nicht zuletzt wegen seiner patriotischen Lieder eine deutschlandweite Reputation. Auch in Berlin gibt es eine Methfesselstraße, nicht zufällig am Kreuzberger Viktoria-Park mit Schinkels Kreuzberg-Denkmal gelegen …

Es fehlt jetzt nur noch Charlotte Albertine Ernestine Freifrau von Stein (1742–1827). Richtig, das ist Goethes Charlotte. Ich verstehe sehr, warum die Rudolstädter sie mögen. Auch wenn man bis nach Großkochberg, wo sie residierte und wichtige Menschen empfing – nicht nur Goethe! – von Rudolstadt über zwei Berge muss … Sie gehört da schon hin. Allerdings steht Brendels Porträt-Kopf am Ausgang der Marktstraße. Charlotte blickt nicht gerade fröhlichen, aber dennoch recht stolzen Gesichts auf das Shopping-Monstrum „Rudolstadt Center“. Am anderen Ende der Marktstraße befindet sich ein ähnliches Ding namens „Galeria Rudolstadt“. Wer immer noch nicht weiß, wie der Niedergang einer durchaus passablen Flaniermeile entsteht, sollte die Rudolstädter Marktstraße von einem Ende zum anderen ablaufen.

Und dabei immer wieder einmal an den „Rudolstädter Köpfen“ innehalten. Ich meine, man kann von diesen Porträtinstallationen eine Menge über das Seelenleben einer Stadt lernen. Johanna Fischer, Thomas Knoth, Sylvia Bohlen und ihre Schülerinnen und Schüler haben Bemerkenswertes geschaffen.