25. Jahrgang | Nummer 3 | 31. Januar 2022

„Olle Flunner“

von Dieter Naumann

Bereits bei seiner ersten urkundlichen Erwähnung im Jahre 1240 – 1891 zitiert in einer „Denkschrift über den Umfang und die Begründung der Fährgerechtigkeit der Fährleute von Altefähr gegenüber Stralsund“ – wurde Altefähr als „bei der ollen Fähre“ beschrieben.

Die Altefährer Fährleute hatten sich von 1030 bis 1929 (!) das alleinige Fährrecht zur Insel Rügen gesichert, ein Privileg, dass vererbt und verkauft werden konnte.

In den Anfängen des Fährverkehrs wurden Personen, aber auch Zug- und andere Tiere sowie jegliche Art von Waren mit Ruderbooten (bis 1856), später mit Segelbooten und -schiffen übergesetzt. Johann Friedrich Zöllner – Mitglied der Berliner Akademie der Wissenschaften und Stichwortgeber Immanuel Kants für dessen „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?“ – der im August 1795 von Stralsund nach Rügen aufbrach, schilderte, dass er das rügensche Ufer mit dem Fährboot in dreiundvierzig Minuten erreicht habe.

Eine Gebührenordnung vom 17. Juni 1825 zeigt in detaillierter Auflistung, wie viel zu jener Zeit für die Fährfahrt über den Strelasund zu bezahlen war. Die höchste Taxe lag bei 22 Groschen und acht Pfennigen, die niedrigste bei vier Pfennigen. Zu zahlen waren diese Beträge zum einen für „ein großes Boot, so jemand bestellet“. Dafür waren eigentlich nur acht Groschen und fünf Pfennige zu zahlen, „im Sturme aber, wenn mehrere Leute erfordert werden“, wurde die höhere Gebühr berechnet. Für die angegebenen vier Pfennige transportierten die Fährleute zum Beispiel ein Lamm oder ein mageres Schwein. Die Gebühren für Personen richteten sich neben der Größe des Bootes danach, ob es sich um „einen Menschen über“ oder „unter 12 Jahre“ handelte, wobei „die Bündel, so einer unterm Arm hat, …(frei) passiren“.

Die erste Dampffähre „Altefähre“, die 1856 durch die Genossenschaft der Fährleute in Betrieb genommen wurde, war ein auf der Rostocker Werft Albrecht Tischbein erbauter Schaufelraddampfer, 27 Meter lang, mit stolzen 34 PS Antriebsleistung. Sechs Mann Besatzung waren für den Betrieb notwendig. Ein Modell in der Kirche von Altefähr zeigt den Dampfer mit einem Schornstein, in der Mitte mit dem Maschinenhaus und den beidseitig angebrachten Schaufelrädern sowie mit zwei links und rechts am Heck angebrachten Rettungsbooten. Der Steuermann war in seinem Ruderstand in der Mitte des Schiffs Wind und Wetter ausgesetzt.

Dem damals durchaus technisch fortschrittlichen Schiff hafteten dennoch zahlreiche Mängel an – so blieben die Schaufeln und mit ihnen der Dampfer häufig mitten auf dem Strelasund stehen. Dem Bericht eines Stralsunder Assecurandeurs (Fachmann für Schiffsversicherungen) zufolge soll der Dampfer hin und wieder sogar eines seiner Schaufelräder verloren und sich dann mitten auf dem Sund hilflos im Kreis gedreht haben, ehe ihn hilfreiche Segelschiffe in Schlepp nahmen. Es war folglich nicht nur die in der Mitte breite und insgesamt flache Form, die dem Schiff bald den Spottnamen „Olle Flunner“ oder „de Ollfährsche Flunner“ und unter anderem folgende Spottverse einbrachte:

Von’t oll Ding, seggt he,
is grot G’schrei, seggt he,
all Og’nblick, seggt he,
is’t intwei, seggt he.

Un de Käpt’n, seggt he,
Dunnerkiel, seggt he,
De makt allens, seggt he,
mit de Weil, seggt he.

Wenn he stürt, seggt he,
kommandiert, seggt he,
räsonniert, seggt he,
un kassiert.

Regina Schaarschuh, die sich unter anderem auf Ulrich Bentzien, den früheren Leiter des Wossidlo-Archivs in Rostock beruft, klärt über die Verfasser des Spottliedes auf. Die Melodie stammt vom Schauspieler, Sänger, Regisseur und Theaterleiter Carl Blum (1786–1844), der zeitweilig Hofkomponist der Königlichen Hofoper in Berlin war. Der Text stammt vermutlich vom Stralsunder Lehrer Oswald Palleske (1830–1913), dessen zahlreiche plattdeutsche Gedichte selbst von Fritz Reuter lobend erwähnt wurden. Die „eigentliche“ Geschichte des sogar in Volksliedersammlungen aufgeführten „Gassenhauers“ geht jedoch auf Karl von Holtei (1798–1880, Erfinder des Berliners „Nante“) zurück. Er führte eine französische Form des Singspiels („Vaudeville“) in Deutschland ein, verbunden mit mehrstrophischen couplethaften humorvollen Liedern, die beim Publikum seinerzeit sehr beliebt waren. Eines dieser Lieder, das zehn Verse umfassende Couplet der Luise in Holteis „Die Wiener in Berlin“ (Musik Carl Blum), beinhaltete mehrfach die Worte „sagt’ er“. Hier, umgewandelt in plattdeutsch, liegt der Ursprung des sich in jeder Zeile wiederholenden „seggt he“ im Gassenhauer über die „Flunner“.

Immerhin brachte es die „Altefähre“ alias „olle Flunner“ auf 37 Jahre qualmenden Fährverkehr zwischen Stralsund und Altefähr. 1894 wurde das Schiff für 500 Mark zum Abwracken verkauft, bereits 1893 durfte es nur noch im Schleppverkehr eingesetzt werden.

Als die Eisenbahn-Verwaltung mit dem Trajekt-Dampfer „Prinz Heinrich“ begann, Eisenbahnwaggons überzusetzten, sahen dies die Fährleute als Geschäftsschädigung an. Zwar konnte das 37 Meter lange Schiff nur jeweils drei Waggons und maximal 250 Fahrgäste übersetzen – aber, was soll’s, die Fährleute verlangten Schadenersatz. Als dies sowohl die Königliche Regierung als auch die Königlich Preußische Eisenbahn-Verwaltung ablehnten, klagten die Fährleute gegen den preußischen Staat und erstritten 1888 per Gerichtsbeschluss eine einmalige Entschädigungssumme von 80.000 Mark. Diese Summe erlaubte es ihnen, 1894 bei den Stettiner Oderwerken für einen Teil des Geldes (die Angaben differieren zwischen 63.000 und 69.000 Mark) einen Schraubendampfer mit 160 PS Leistung zu kaufen. Der in Altefähr fast legendäre „Oll Käpp’n Jimmy“, eigentlich Kapitän Wilhelm Seebach, holte den Dampfer 1894 in Stettin ab und steuerte ihn bis 1929. Von ihm wird erzählt, dass er sich nach jeder Überfahrt im Vereinslokal der Fährleute in „Gütschows Hotel“ seinen „Köhm“ genehmigte – und das mehrfach am Tage!

Obwohl der neue Dampfer völlig anders aussah als sein Vorgänger, wurde er ebenfalls – und sogar im offiziellen Schriftverkehr von Stralsund – „Flunder“ genannt.

1921 verkauften die Fährleute ihr Fährrecht und den damit zusammenhängenden Besitz für insgesamt 400.000 Papiermark, das waren 24.200 Goldmark, an einen Sassnitzer Geschäftsmann, der mit drei Teilhabern die „Fährgesellschaft Altefähr m. b. H.“ gründete.

Die neue Gesellschaft kaufte 1925 für 120.000 Mark ein auf der Kieler Howaldwerft gebautes 31,37 Meter langes Zwei-Schraubenschiff mit Ölfeuerung, hauptsächlich zur Beförderung von Autos, die auf dem Hauptdeck transportiert wurden. Der wachsende Autoverkehr war damit allerdings nicht zu bewältigen, deshalb ließ man zeitweise einen Fährpram mitschleppen, verlängerte (um sechs Meter) und verbreiterte (um 1,5 Meter) das Schiff 1935 sogar, damit die PKWs und LKWs auf ihm quer zur Fahrtrichtung transportiert werden konnten. Das Schiff hieß im Volksmund ebenfalls nur „Flunder“ beziehungsweise „Motorflunder“.