25. Jahrgang | Nummer 2 | 17. Januar 2022

Nekrologe 2021 (II)*

von F.-B. Habel

Hier soll an Künstler und andere Menschen der Öffentlichkeit erinnert werden, die uns 2021 verlassen haben und die besonders in der DDR bekannt waren. Viele von ihnen werden allzu leicht vergessen, was mit der noch immer nicht auf allen Gebieten überwundenen Teilung zusammenhängt. Tatsächlich wurde Herbert Köfer – in der DDR „Genosse Köfer“ – zu seinem 100. Geburtstag im Februar im Osten groß gefeiert. Auch die ARD nahm ihn mit neuen Produktionen ins Programm. Nicht so das ZDF. In der knapp einstündigen Sendung „Adieu – Menschen, die wir nicht vergessen“ zum Gedenken an rund 50 verstorbene Prominente wurde an niemanden erinnert, der hauptsächlich in der DDR gewirkt hatte, nicht an den berühmten Maler und Grafiker Ronald Paris, der im Sommer 88-jährig von uns ging, nicht an Siegfried Matthus, der im Sommer mit 87 Jahren starb und der vielleicht wichtigste zeitgenössische deutsche Komponist war. Auch als Gründungsintendant der Kammeroper Schloss Rheinsberg genoss er internationalen Ruf. Aber er erhielt zweimal den Nationalpreis der DDR, dazu den Vaterländischen Verdienstorden. Diese Schmach macht für manche wohl auch das Große Bundesverdienstkreuz nicht wett, das er 2015 entgegennehmen konnte. Um auf Köfer zurückzukommen – der mit dem Titel „ältester aktiver Schauspieler der Welt“ geschmückte Künstler, der ein halbes Jahr nach dem 100. Geburtstag abtrat, wurde in besagter Sendung nicht mal erwähnt, obwohl er doch auch Gaststar in ZDF-Serien wie „SOKO Wismar“ und „SOKO Leipzig“ gewesen war.

Wenigstens erwähnt wurde Katharina Matz, deren Name sowohl mit dem Deutschen Theater Berlin wie auch dem Thalia Theater Hamburg, dem sie fünf Jahrzehnte lang angehörte, verbunden ist. Bekannt wurde sie, als Wolfgang Langhoff sie 1954 ans DT holte und sie bei der DEFA zu filmen begann. Damals heiratete sie ihren Kollegen Eckart Friedrichson, der bald darauf als „Meister Nadelöhr“ zur Legende werden sollte. Doch man trennte sich, als Ida Ehre die Matz 1959 nach Hamburg holte, wo sie zur Charakterdarstellerin reifte. Mit achtzig Jahren kehrte sie ans DT zurück und erlebte ein weiteres Jahrzehnt erfüllter Arbeit. Sie steckte in neuen Plänen, als sie im Frühjahr im 91. Lebensjahr starb.

Seinen 80. Geburtstag im Dezember erlebte Hanns-Jörn Weber nicht mehr. Dessen künstlerische Heimat war ab 1970 für rund vier Jahrzehnte das Staatsschauspiel Dresden. Dort begann er als Tempelherr in „Nathan, der Weise“ und war zuletzt als Pastor Spitta in Hauptmanns „Die Weber“ (2013) zu sehen. Auch das Fernsehen holte ihn immer mal wieder. Bemerkenswert die Hauptrolle in „Das Herz der Dinge“ 1977, in dem die Landschaftszerstörung durch Tagebaue thematisiert wurde. Zuletzt konnte er 2003–2007 neben Peter Sodann und Bernd Michael Lade in drei sächsischen „Tatort“-Filmen als Polizeipräsident schöne Akzente setzen.

80 war Heinz Klevenow 2020 geworden. Der Sohn der Schauspielerin Marga Legal stand bis zuletzt in Senftenberg als Thoas in „Iphigenie auf Tauris“ auf der Bühne und ging im März von uns. Dem breiten Publikum war er durch einige Film- und Fernsehrollen bekannt, etwa 1965 in dem Sozialdrama „Entlassung auf Bewährung“ neben Angelica Domröse und als Indianer Pfeilspitze in „Chingachgook, die große Schlange“ (1967), später auch in der Krimi-Serie „Wolffs Revier“. Neben der Arbeit als Schauspieler profilierte er sich als Regisseur, war Oberspielleiter in Rudolstadt und Rostock und langjähriger Intendant in Senftenberg, wo er das Theater der Bergarbeiter mit neuem Konzept erfolgreich über die Wende führte.

Kurz vor Klevenow hatte eine andere (nicht nur) Senftenberger Theaterlegende die Bühne des Lebens verlassen. Hansdieter Neumann wurde 87 Jahre alt. Nach Stationen in Görlitz und Cottbus kam der Sachse 1981 ans Volkstheater Rostock, wo er eng mit Klevenow arbeitete, der ihn 1990 nach Senftenberg holte. Hier brillierte er als Nathan und „Hauptmann von Köpenick“. Schon 1959 war er der erste Ferdinand in „Kabale und Liebe“ im Adlershofer Fernsehfunk. Später trat er in den Serien „Bereitschaft Dr. Federau“ (1988) und „Luv und Lee“ (1991) auf.

Walter Niklaus wurde 96 Jahre alt und war bis fast zum Schluss aktiv! Der aus Köln stammende Schauspieler, der seit 1955 auch filmte und beispielsweise in 13 Folgen der Reihe „Das unsichtbare Visier“ mitspielte, war vor allem als Sprecher erfolgreich – etwa als Erzähler in den großen Literaturadaptionen von Hans-Joachim Kasprzik. Er hat synchronisiert – legendär seine Stimme für Basil Rathbone als Sherlock Holmes – und zahllose Hörspiele inszeniert und gesprochen.

Niklaus gründete bei seinem Erstengagement in Cottbus 1953 mit Ellen Tiedtke und Erhard Köster das Kabarett „Die fünf Stichlinge“. Auch die Kabarettszene der DDR hat 2021 prägende Persönlichkeiten verloren. Zu ihnen zählt Peter Tepper. Er spielte seit den sechziger Jahren am Berliner Ensemble. Mitte der Siebziger suchte das Studentenkabarett der Hochschule für Ökonomie in Berlin-Karlshorst einen künstlerischen Leiter und fragte beim BE an. Tepper formte aus den jungen Leuten die „Ökognome“ und führte die Truppe zu republikweit beachteten Leistungen. Am Ende der DDR inszenierte er erstmals am Berufskabarett – der Berliner „Distel“. Zu Beginn der neunziger Jahre gründete er zunächst das Kabarett „Kartoon“ mit vielen der alten Mitstreiter in einem ehemaligen Jugendclub in der Französischen Straße. Nach mehreren Zwischenlösungen formierten sie sich ab 2007 in der Karl-Marx-Allee als „Charly M.“ neu. Daneben half Tepper auch dem Kabarett in anderen Regionen auf die Sprünge, so der „Leipziger Funzel“ und in Anklam nebst angeschlossenen Spielstätten dem „Frechen Küsten-Kabarett“, abgekürzt FKK. Er wurde 78 Jahre alt.

Der Leipziger Hanskarl Hoernig starb im Oktober und wäre im Dezember 90 geworden. Er kam in den fünfziger Jahren während seines Schauspielstudiums zum Kabarett und blieb ab 1958 für vier Jahrzehnte als Autor und Darsteller eine feste Größe bei der „Leipziger Pfeffermühle“, schrieb aber auch für Funk und Fernsehen.

Im November ging Manfred Schubert 94-jährig von uns, der nach Otto Starks Weggang die Dresdner „Herkuleskeule“ 1961 neu gründete. Bis 1986 leitete er das führende Kabarett der Stadt, blieb dem Haus aber auch danach noch als Autor und Darsteller treu. Unvergesslich waren seine Dialoge mit der Komödiantin Gisela Grube als die „Herkulesgäule“. Der Publikumsliebling vom Jahrgang 1925 war bereits zu Beginn des Jahres gestorben.

Zu den spitzzüngigen Satirikern des Landes zählte auch Matthias Biskupek. Seine Wahlheimat war Rudolstadt, wo er im April mit 70 Jahren starb. Der Systemanalytiker begann seine Autorenlaufbahn 1979 am Geraer Kabarett „Fettnäpfchen“. Seine Satiren veröffentlichte er nicht nur in Zeitschriften, wie dem Eulenspiegel, dem er bis zuletzt Texte lieferte, sondern auch in zahlreichen Büchern, von denen einige auch im Blättchen anerkennend besprochen wurden. Er war in der DDR Weltbühnen-Autor und ging 1998 zu Ossietzky. Sein Witz und sein Spott werden noch lange nachwirken.

Neben Walter Kaufmann, der im Blättchen einen Nachruf bekam, und Eberhard Panitz, dessen Tod hier würdigend vermerkt wurde, ist im Sommer ein erfolgreicher DDR-Autor, der sich schon lange aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hatte, weitgehend unbemerkt kurz vor seinem 98. Geburtstag gestorben: Hans-Albert Pederzani. Nach einer kurzen Laufbahn als Schauspieler etablierte sich Pederzani mit Krimis, von denen seit den späten fünfziger Jahren viele auf Leinwand und Bildschirm kamen. Oft bearbeitete er literarische Vorlagen, etwa von Max Zimmering, Dinah Nelken, Erdmann Graeser, Alex Wedding oder Ludwig Turek.

Auch mit Otto Gotsche arbeitete Pederzani mehrfach zusammen, darunter für Kurt Maetzigs Film „Die Fahne von Kriwoi Rog“ mit Erwin Geschonneck und Marga Legal in den Hauptrollen. Das war auch der Beginn der Arbeit eines Kameramanns, der zu den besten seiner Generation gehörte. Dabei hatte Roland Dressel einen unglücklichen Start. Als er sich mit der Satire „Das zweite Leben des Friedrich Wilhelm Georg Platow“ 1972/73 unter Siegfried Kühns Regie künstlerisch freischwamm, wurde er von der DEFA-Leitung dafür gemaßregelt. Dressel hatte mutig allzu Neues ausprobiert, unter anderem im Kontrast von Schwarzweiß- und Farbsequenzen. Nach einigen Fernsehfilmen, in denen er eine eigene Handschrift verriet, konnte er erst ab 1979 wieder fürs Kino drehen, wobei ihm die Regisseure Rainer Simon, Roland Gräf und Herwig Kipping wichtige Partner waren. Dressel starb im Dezember im 90. Lebensjahr.

Nur 66 Jahre alt wurde Peter Ziesche, der schon während seines Studiums an der Babelsberger Filmhochschule zu Beginn der achtziger Jahre mit durchdachter Bildgestaltung auf sich aufmerksam machte. Solange es die DEFA gab (bis 1992/93), war Ziesche als Kameramann Partner einiger der besten Regisseure: Petra Tschörtner, Siegfried Kühn, Lothar Warneke, Frank Beyer, Roland Gräf. Danach blieb ihm nur, in Fernsehfilmen erstklassiges Handwerk zu bieten und leidenschaftlich zu fotografieren. Er starb im November an einer heimtückischen Krankheit, die ihm auch das Sehvermögen geraubt hatte.

Sicherlich könnten hier noch viel mehr Verstorbene gewürdigt werden, die als Künstler bekannt waren, oder sich um die Gesellschaft verdient gemacht haben. Man denke an den Schauspieler Arved Birnbaum (59) aus Forst/Lausitz, der in der DDR ein ausgezeichneter Elektriker mit vielen Auslandseinsätzen war und danach als Schauspieler vor allem zwiespältige Figuren spielte, an den Filmhistoriker Rudolf Freund (83), dem es im Archivfilmtheater „Camera“ gelang, anspruchsvolle Filme in die DDR zu holen, für die es sonst keinen Platz gab, oder an Erich Günther (97), den Tricktüftler, dem viele verblüffende Aufnahmen in Märchen- und anderen Filmen der DEFA zu verdanken sind. Kurz nach seinem 87. Geburtstag starb in seiner Heimatstadt Moskau Wassili Lanowoi, der 1957 als Pawel Kortschagin in „Wie der Stahl gehärtet wurde“ berühmt wurde, und auch Wladimir Naumow (93), einer der beiden Regisseure dieses Films, starb im November. Die bulgarische Schauspielerin Tatjana Lolowa (87), die wir am besten aus Konrad Wolfs Film „Goya“ als blasierte Königin Maria Luise, aber auch aus Komödien in Erinnerung haben, starb an einer Covid-Erkrankung. Ein ganzes Buch würde die Erinnerung an den bis zuletzt aktiven Prof. Moritz Mebel (98) füllen, der als deutscher Jude in die Sowjetunion emigrierte und Konrad Wolfs Freund wurde, als Arzt in die DDR zurückkehrte und ein Pionier der Nierentransplantation wurde. Ebenfalls als Kind aus Deutschland fliehen musste Pierre Radványi (95), der in Frankreich als Physiker eine neue Heimat fand, aber immer wieder zurückkehrte, um sich in Deutschland für das Andenken an seine Mutter Anna Seghers zu engagieren.

Vielleicht tröstet über den Verlust vieler Dahingegangener ein Satz von Salvador Dalí hinweg: „Jeder Abschied ist die Geburt einer Erinnerung.“

* – Teil 1 dieses Beitrages ist in Nr. 26/2021 erschienen.