25. Jahrgang | Nummer 1 | 3. Januar 2022

Der Malergarten

von Renate Hoffmann

Welche Pracht, welche Farbenfreudigkeit. Die Gartenbilder von Max Liebermann. Führender Maler der Moderne in Deutschland; gemeinsam mit Max Slevogt und Lovis Corinth als „Dreigestirn“ des deutschen Impressionismus bezeichnet; Präsident der Preußischen Akademie der Künste, Mitbegründer der Berliner Secession – und echter Berliner (als er nach seinem Urteil über ein Pastell von Edgar Degas, den er besonders schätzte, gefragt wurde, antwortete er: „Natürlich, wenn der in den Schnee pi … , dann is et immer noch jut!“).

Der Maler und sein Garten. Hatte er viele Jahre hindurch den Sommer an der holländischen Nordseeküste mir ihrer Motivfülle aufgesucht, so verlangte ihn, um dem Wirbel der Großstadt für eine geraume Zeit auszuweichen, nach einem eigenen Stück Natur. Er fand es im Jahr 1909 zwischen Berlin und Potsdam am Großen Wannsee. Liebermann erwarb das Seegrundstück für einen Kaufpreis von 145 000 Reichsmark.

Hausbau mitsamt der Gartengestaltung werden mit Eifer betrieben. Und schon im Juli des darauffolgenden Jahres schreibt er mit Genugtuung: „Seit 5 Tagen leben wir nun hier u. ich empfinde zum ersten Male in meinem Leben das Gefühl, auf der eigenen Scholle zu sitzen, […] es frägt sich nun blos, ob ich hier werde arbeiten können. Allerdings der Lokalanzeiger u. die Berliner Zeitung am Mittag prophezeien Havellandschaften, doch ich glaube nicht an diese Prophezeiung.“

Er behält Recht. Fast regelmäßig findet das Familienleben sommers am Wannsee, winters in der Berliner Stadtwohnung am Pariser Platz statt. Und der Garten wird zur unerschöpflichen Quelle der Inspiration in Liebermanns Spätwerk. – Es entstanden allein mehr als 200 Ölgemälde mit dieser Motivwahl, aber auch Pastelle, Zeichnungen und Druckgrafik. Ein Band der Insel-Bücherei hat nun 45 Gartenbildwerke (zumeist als Ölgemälde) versammelt, sodass man anhand ihrer genussvoll im Garten des Künstlers wandeln kann.

Die Anlage ist mit Bedacht in Bereiche unterteilt, denen die Gemälde folgen. Straßenseitig liegen der Blumen- und der Nutzgarten; an der Seeseite findet man Zierbeete, die Heckengärten und den Birkenhain. Liebermann malt die einzelnen Partien aus verschiedenen Sichten. – Auf dem Pastell „Vordergarten nach Osten“ lässt er eine Woge in Blau den Weg begleiten. Sind es Lupinen, ist es Rittersporn oder Eisenhut? M. L.: „Blau im Garten ist das malerisch Interessanteste und nirgends ist die Hintergrund- und Nachbarschaftsfrage so bedeutsam.“ Das Ölgemälde „Der Nutzgarten in Wannsee, auf dem Weg eine Gärtnerin“. Es spricht für Liebermanns Ordnungssinn, von der Komposition des Bildes abgesehen, dass er dem Überfluss an Blumen und nahrhaftem Grünzeug einen akkurat gepflegten Sandweg zugesellt, den die Gärtnerin emsig harkt. – Rudolf Danke im Juli 1928: „Draußen in Wannsee, vor der Villa Max Liebermanns, sind die Wege geharkt, die Beete, deren hochsommerliches Blütenfeuer später auf die Leinwand hinüberlodern soll, kultiviert, das Parkett seines Ateliers spiegelblank.“

„Die Blumenterrasse im Wannseegarten nach Nordosten“. Auf dem Ölbild quellen die Farben über. In den Pflanzkübeln am Weg blüht es üppig und die ausgebreiteten Zierbeete wirken wie ein bunter orientalischer Teppich. – Albert Lamm, nach einem Besuch bei Max Liebermann 1929: (Er) „malte wieder den ganzen Sommer, und immer nur in seinem Garten.“

Alfred Lichtwerk, Direktor der Hamburger Kunsthalle und Freund des Hauses, schreibt 1910 an Käthe Liebermann: „Und nun denken Sie sich von dem kleinen Laubplatz aus über der Treppe den Blick durch die Heckengärten. Jeder wird stehen bleiben und genießen …“ – „Die Heckengärten in Wannsee nach Osten“. In den Bäumen wechseln Licht und Schatten, die Rosen sind voll erblüht, und durch das sommerliche Grün schimmert der See. Natürlich bleibt man vor diesem Ölbild stehen, natürlich genießt man …

Zum Seeufer hin zieht der Birkenweg. Er verläuft auf ungewohnte Art. – Der Maler (nach Gotthard Jedicka) 1933; „Sie sehen, daß die geraden Wege ohne Rücksicht auf die Bäume gezogen sind. Ich habe es so gewollt. […] Ich liebe es, daß man sieht, wie ein Stamm aus dem Boden kommt. Seine Form erhält dadurch eine ganz andere Eindringlichkeit.“ – Auf dem Ölgemälde „Die Birkenallee im Wannseegarten nach Osten“ respektieren sie sich, die Birkenstämme und der Spazierweg. Keiner weicht dem anderen. Lichtreflexe und Schattenwurf zeichnen die angrenzende große Rasenfläche. Ein Pflanzkübel mit Schmucklilien mildert etwas die Strenge der eigensinnig wachsenden Birken, und tanzende Lichter in ihrem Laub verwirren ein wenig den Blick.

Max Liebermanns Credo: „Der geborene Maler will nicht nur, er muß malen, was er sieht, denn er malt nicht die Wirklichkeit, sondern die Vorstellung von der Wirklichkeit: Er malt die subjektive Natur.“

Im Nachwort schildern die Herausgeber ausführlich die Gartenentwicklung und berichten von Eindrücken und Meinungen vormaliger Besucher des Künstlers. Die wechselvolle Geschichte von Garten und Haus der Liebermanns bis in die Gegenwart wird dargestellt, und auch an die Schrecken des Nationalsozialismus erinnert, welche die Familie in aller Härte trafen.

Der betrachtens- und lesenswerte Insel-Band erfreut und weckt Neugier auf den Garten, der Max Liebermann zu den wunderbaren Bildwerken anregte. Er ist in seiner gepflegten Schönheit zu besichtigen: Villa–Liebermann am Wannsee, Colomier Straße 3, 14109 Berlin (Ortsteil Wannsee).

Gloria Köpnick, Rainer Stamm: Liebermanns Garten, Insel Verlag (Insel-Bücherei Nr. 1498), Berlin 2021, 99 Seiten, 14,00 Euro.