25. Jahrgang | Nummer 1 | 3. Januar 2022

Geffkens China

von Wolfram Adolphi

Rolf Geffkens China – im Buch „Mein China“ zu entdecken – ist lebendig, spannungsreich, überraschend und widerspruchsvoll. Seit 2003 ist der Autor im Land unterwegs: als Anwalt mit dem Spezialgebiet Arbeitsrecht. Da ist es ihm nicht um den touristischen Blick, sondern um die deutsch-chinesische Zusammenarbeit zu tun, und was er bei gemeinsamen Projekten erfährt und erlebt, ist mit großem Gewinn zu lesen. Er spreche – so der Autor in seiner Selbstauskunft – aus, „was ist und was war, ohne Umschweife, aber stets mit größter Sympathie für dieses Land und seine Menschen“, und in der Tat ist diese Sympathie die tragende Säule seines Schreibens und Tuns.

Geffkens Bilanz im bilateralen Engagement ist beeindruckend: 2004 organisierte er in Guangzhou (Kanton) die erste deutsch-chinesische Konferenz zum Arbeitsrecht und 2008 in Tianjin (Tientsin) die ebenfalls erste deutsch-chinesische Anwaltskonferenz. Es folgten zahlreiche weitere Konferenzen und Seminare, auch Managerschulungen für in China tätige große deutsche Unternehmen wie Daimler, Airbus und Continental, und eine stattliche Zahl von Publikationen zum Arbeitsrecht, zur Seefahrt, zu gewerkschaftlichen Kämpfen und eben auch zu China zeugt von einem gerüttelt Maß an Enthusiasmus, Hartnäckigkeit und Erfahrung bei der Mitteilung seiner An- und Einsichten auf diesen unterschiedlichen, aber nur scheinbar weit voneinander entfernten Arbeitsgebieten.

Und so lässt es sich gut mitgehen, wenn er schildert, wie er mit wem und unter welchen Schwierigkeiten auf deutscher wie auch auf chinesischer Seite seine Konferenzen organisiert hat oder welche Zähigkeit es gebraucht hat, bei der Auswahl chinesischer Partnerinnen und Partner bei den Beratungen zum Arbeitsrecht auch „Barfuß-Anwälte“ – also Interessenvertreterinnen und -vertreter ohne eine klassische Anwaltskarriere – einzubeziehen.

Höchst informativ sind die Passagen über die Entwicklung der chinesischen Arbeitsvertragsgesetzgebung 2007/2008, in denen er beschreibt, wie „die Europäische und die US-amerikanische Handelskammer auf den Fluren des Nationalen Volkskongresses erfolgreich Lobbyarbeit“ leisteten – „also bei einem Parlament, dem sonst so gern im Westen die demokratische Legitimation abgesprochen“ wird – und damit tatsächlich erreichten, dass „die Mindesthöhe von Abfindungen bei der Entlassung von Arbeitnehmern gekürzt“ wurde (wobei im Vergleich dazu das „deutsche Arbeitsrecht bis heute gar keine Mindestabfindung kennt“). Leicht zu teilen ist seine Genugtuung darüber, dass vom neuen Gesetz „nun auch die Arbeitsmigranten erfasst“ wurden und „das unbefristete Arbeitsverhältnis zum Regelarbeitsverhältnis“ werden sollte. Nachvollziehbar sein Erstaunen, als er sich die großen Plakatwände in der Nähe seines Hotels in Beijing übersetzen ließ, auf denen die Regierung „die Bevölkerung dazu aufrief, das Arbeitsvertragsgesetz zu nutzen, da man jetzt mehr Rechte habe, aber Rechte immer nur dann etwas wert seien, wenn sie auch genutzt würden“. Das, so schreibt er, sei ein „in Deutschland völlig undenkbarer Sachverhalt“: „Die Regierung ruft die Arbeitnehmer auf, endlich ihre Rechte im Arbeitsrecht zu nutzen … Die Unternehmer würden Sturm laufen.“

Das alles und noch viel mehr ist informativ erzählt und öffnet Einblicke in die chinesische Gesellschaft, wie sie hierzulande nur selten zu haben sind.

Dem Ganzen nicht besonders gut tut jedoch, dass sich der Autor in der Rolle eines Einer-gegen-Alle-Kämpfers eingerichtet hat. Nicht nur Mein China hat er sich zum Thema gemacht, sondern in einem pauschalen Rundumschlag auch alle, die sich außer ihm zu China äußern.

So attackiert er in einem Atemzug zunächst ganz allgemein nicht nur die, die sich im allfälligen China-Bashing ergehen, sondern auch die, die in zustimmende Euphorie verfallen. Er zieht her über die, die da meinen, nach einem China-Besuch „gleich jeden Unsinn“ über das Land „schreiben und dann auch noch lesen lassen“ zu müssen, wie auch über die, die ihn – den Autor – geringschätzen, weil er als Anwalt „nicht die Weihen eines allwissenden Professors für Politik oder Ökonomie oder gar Sinologie“ erhalten hat. Ihnen allen und unterschiedslos hält er „Mein China“ als „authentisches Buch“ entgegen, präsentiert er sein Chinabild als eines, das im Gegensatz zu allen anderen „geschaut“ ist „durch eine biografisch determinierte Brille, nicht ‚objektiv‘, sondern im besten Sinne ‚eindeutig‘, aber stets der Wahrheit und nicht bloßen Schablonen verpflichtet.“ Indem er „vor allem die soziale Seite der chinesischen Gesellschaft und die Arbeit der Menschen“ in den Blick nehme, widme er sich dem „entscheidenden Kriterium für die Zukunftsfähigkeit eines Landes und für die Frage, ob dieses Land wirklich auf dem Weg zum Sozialismus ist“, und genau das sei es, was ihn „von den meisten anderen Autoren unterscheidet“.

Dieser Duktus verstellt dem Autor die Sicht auf den Reichtum all jener Veröffentlichungen, deren Autorinnen und Autoren sich genau wie er selbst kritisch mit der Feindbild-Produktion des Mainstreams auseinandersetzen. Als er sich dann einzelne Autoren vornimmt, verführt ihn seine Abneigung gegenüber den Sinologinnen und Sinologen zu einer oberflächlichen, willkürlichen und lückenhaften Aneinanderreihung von namentlichen Beschimpfungen. Zwei als marxistisch herausgestellte Autoren – Theo Bergmann und Helmut Peters – finden ein wenig Beifall, aber auch der ist nur punktuell und nicht systematisch begründet.

Hohes Lob indes erfährt unter der Überschrift „Die Sicht eines Staatsmannes: Helmut Schmidt und China“ ein ehemaliger Bundeskanzler. „Manchmal“, schreibt Geffken, sei es „besser, einen lang gedienten Staatsmann nach seiner Einschätzung zu fragen, anstatt andere Quellen heranzuziehen. Zumal dann, wenn dieser Staatsmann Leute wie Mao Tse Tung und Deng Xiao Ping nicht nur persönlich gekannt hat, sondern mit einem von beiden auch befreundet war, nämlich mit Deng.“ Das klingt sympathisch, und unbedingt ist Geffken zuzustimmen, dass Schmidts 2005 im Gespräch mit Frank Sieren geäußerten Ansichten zu China bis heute „in der Flut der plumpen Vorurteile gegenüber China […] ein Labsal“ geblieben sind – aber wann nun genau es besser sein soll, Schmidt zu fragen „anstatt anderer Quellen“, bleibt ebenso im Dunkeln wie die Frage, welche „anderen Quellen“ denn gemeint sein könnten, und sowieso die, warum dann nicht auch der Staatsmann Egon Krenz mit seinem auf lange persönliche Kontakte gestützten Chinabuch zu Wort kommen sollte.

Trotzdem gibt es keinen Zweifel: Geffken ist eine wichtige und auch einzigartige Stimme im Chor derer, die sich dem neuen „Gelbe-Gefahr“-Geschrei entgegenstellen, „Mein China“ daher unbedingt empfehlenswerte Lektüre.

Rolf Geffken: Mein China – China sehen ist anders. Licht & Schatten im Reich der Mitte, VAR-Verlag, Cadenberge 2021, 190 Seiten, 19,90 Euro.