24. Jahrgang | Nummer 23 | 8. November 2021

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Christian Lindner (FDP), schielt auf das Finanzministerium – Sie sind der komische Vogel, der allen Ernstes weismachen will, dass in den nächsten Jahren 50 Milliarden Euro zusätzliche Investitionen per anno zu stemmen seien, ohne den Reichen im Lande auch nur einen Cent an Steuern mehr abzuknöpfen und ohne an der grundgesetzlichen Schuldenbremse zu rütteln.

Womöglich glauben Sie sich selbst. Das wäre dann schon mal ein gewichtiger Grund, Ihrem Streben nach dem Sessel des Bundesfinanzministers einen Riegel vorzuschieben. Denn gegen das, was Sie vertreten, wäre die Quadratur des Kreises eine Aufwärmübung für Erstklässler.

Der Schaden, den Sie an der Spitze des Finanzministeriums anrichten könnten, muss im Übrigen Ausmaße wie die Chinesische Mauer haben, denn er ist mit bloßem Auge selbst in den USA zu erkennen. Jedenfalls haben sich dieser Tage Joseph E. Stiglitz, Wirtschaftsnobelpreisträger und früherer Chefökonom der Weltbank, und sein Kollege Adam Tooze, Professor an der Columbia University in New York, Ihrer Ansichten und Ambitionen angenommen und den Daumen gesenkt: „Das Problem besteht nicht nur darin, dass Lindners Wirtschaftspolitik – sei es bei der Schuldenbremse oder den Haushaltsregeln für Europa – eine Anhäufung konservativer Klischees ist. Viel wichtiger ist, dass es sich um Klischees einer vergangenen Ära handelt, nämlich um die der Neunzigerjahre. […] Sie sind obsolet geworden nach drei Jahrzehnten der Krise auf den Finanzmärkten, in der Geopolitik, im Umweltbereich.“

Sollte sich aus dieser Gesamtkonstellation wieder eine Zwickmühle für Sie ergeben, dann bleibt Ihnen aber immer noch Ihr probates Mittel von 2017: „Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren.“

Peter Altmeier, noch geschäftsführender Bundeswirtschaftsminister und bis eben Wachstumsorakel – Im September 2020 sahen Sie einen Aufschwung am Horizont wetterleuchten. Um 4,4 Prozent sollte die deutsche Wirtschaft 2021 wachsen. Schon Im Januar jedoch überraschten Sie uns mit der Mitteilung: „Wir erwarten für das laufende Jahr 2021 ein Wachstum von insgesamt drei Prozent.“ Da waren mal eben 53 Milliarden Euro Wohlstand wieder verlustig gegangen. Doch im April ein optimistischer Aufwind: „Die deutsche Wirtschaft wird in diesem Jahr um 3,5 Prozent wachsen. Unsere Wirtschaft ist stark, robust und startklar für den Neustart.“ Am 28. Oktober schließlich, Sie waren gerade zwei Tage zuvor vom Bundespräsidenten als Minister offiziell entlassen worden, Ihr (finales?) Wort in der Sache: Nur noch um 2,6 Prozent würde das Bruttoinlandsprodukt 2021 steigen. Doch immerhin – einen trostreichen Blick nach vorn gaben Sie uns noch mit auf den Weg: „2022 kommt es zu deutlichen Aufholeffekten.“

Diese volatilen Altmeier-Amplituden werden uns schmerzlich fehlen!

Doch auch wir wollen Sie nicht ohne Trost vom Acker schleichen lassen und rufen Ihnen – egal es ob nun von Mark Twain, Winston Churchill oder Kurt Tucholsky stammt, allen dreien ist das Bonmot schon zugeschrieben worden – dieses hinterher: „Prognosen sind äußerst schwierig, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen.“

Boris Johnson, britischer Klimaaktivist im Premiersamt – Mit dramatischen Worten haben Sie beim Weltklimagipfel in Glasgow für wirksamen Klimaschutz geworben. Es sei „eine Minute vor Mitternacht auf der Weltuntergangs-Uhr“, noch aber bestehe die Chance, die „tickende Weltuntergangs-Maschine“ zu stoppen. Kaum hatten Sie’s gesagt, bestiegen Sie einen CO2-speienden Privatjet zum Rückflug ins heimische London (Luftlinie 550 Kilometer), um einem Gala-Dinner in einem exklusiven Herrenclub beizuwohnen. Sie hätten auch den Zug nehmen können, meinten Kritiker. „Das ist eine atemberaubende beraubende Heuchelei vom Premierminister“, klagte Labour-Politikerin Anneliese Dodds. Besser kann man’s kaum ausdrücken.

Armin Laschet (CDU), auf dem Weg zur Bundestagshinterbank – Wehmütig denken Sie an Ihr „wirklich schönes Amt“ zurück. Sie sprachen bei maischberger.die woche (ARD) über den Posten des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten. Aber nicht etwa nur der Machtverlust lässt Sie nostalgisch werden, sondern auch die Rolle als Grüßonkel: Man habe „viele festliche Ereignisse, wo der Ministerpräsident gefragt ist”, sagten Sie. Nur darf man eben einen Besuch im Hochwassergebiet nicht mit der Karnevalssitzung verwechseln.

Bettina Gaus, streitlustige und debattierfreudige Journalistin – Als Afrika-Korrespondentin waren Sie einst dabei, als die Diktaturen in Somalia und Äthiopien stürzten, als Eritrea unabhängig wurde und als in Ruanda der Völkermord grassierte. Jahrzehntelang waren Sie danach in Gesprächsrunden bei Fernsehen und Rundfunk die scharf analysierende, meinungsstarke Repräsentantin der tageszeitung (taz), eine selbstbewusste linke Verfechterin gesunden Menschenverstands. Erst in diesem Jahr wechselten Sie als Kolumnistin zum Spiegel. Homeoffice, so liest man jetzt, betrieben Sie lange bevor es pandemiebedingt verordnet wurde – die Redaktionsräume der Zeitung mieden Sie, wohl auch wegen der strenger werdenden Rauchverbote. 64-jährig sind Sie nun nach kurzer schwerer Krankheit verstorben. Ihre Stimme wird fehlen.