24. Jahrgang | Nummer 18 | 30. August 2021

Das Telefunken-Haus auf Rügen

von Dieter Naumann

In den Zickerschen Bergen auf Rügen, auf dem Bakenberg oberhalb des so genannten Denkmalhügels war ab 1943 ein äußerlich der Landschaft angepasstes, rohrgedecktes Holzhaus zu sehen, dessen Bedeutung nur den wenigsten Rüganern bekannt gewesen sein dürfte. Hier, wo in 65 Metern Höhe einst eine Feuerbake feindliche Anlandungen von Russen und Dänen signalisieren sollte, hatte die Telefunken-Gesellschaft für drahtlose Telegraphie mbH von der Pfarre ein Stück Land auf drei Jahre gepachtet, durch Luftwaffenpersonal abgesperrt und für ca. 30.000 RM dieses Haus errichtet, nachdem eine einfache Holzbaracke nicht genehmigt worden war, weil sie das Landschaftsbild „verschandelt“ hätte. Die Gesellschaft sollte für die Luftwaffe ein Funkmessgerät zur Erfassung und Vermessung bodennaher Ziele (Schiffe, Tiefflieger, Kraftfahrzeuge) mit einer höchstmöglichen Reichweite entwickeln. Der Gemeinde kam das Anliegen sehr entgegen, erhoffte man sich doch einige Einnahmen unter anderem aus der Verpachtung und anfallenden Stromkosten. Fortan diente das bald nur noch „Telefunken-Haus“ genannte Gebäude als Versuchsstation für Ultra-Kurzwellen.

Der Hamburger Hans Georg Prager beschrieb im Rügen-Jahrbuch „Rugia“, Jahrgang 2017, Entwicklung und einige Parameter der Anlage: Während des Krieges wurden durch die Fahrstuhlfabrik Haushahn aus München-Berg am Laim zwei parallele Sendetürme von ca. 36 m Höhe errichtet, die zusammen auf einem Schienenkranz gedreht werden konnten. An den Türmen wurden 16 Richtfunkantennen angebracht. Das Gerät erhielt den Namen „Würzmann“, einer Kombination aus dem Namen vom Radar „Würzburg“ und der Antenne vom Radar „Wassermann“, einer Entwicklung der Gesellschaft für elektroakustische und mechanische Apparate mbH (GEMA). Mit der aktiven Antennenfläche von 45 m² und − für die Fachleute unter den Lesern − einer Sender-Impulsleitung von 120 kW auf einer Frequenz von 564 MHz („Würzburg-Frequenz“) konnten Fernortungen von Schiffen mittlerer Größe etwa bis zum Horizont (ca. 50 km), Flugzeugen in 1000 m Höhe bis etwa 100 km, darunter bis 250 km Entfernung, erfolgen. Bei günstigen Wetterlagen erfasste die Station Ziele im Danziger Hafen und in der Finnischen Bucht, nach Antennendrehung in Richtung Süden konnten Luftangriffe über Berlin messtechnisch verfolgt werden. Mit dem neben der Anlage installierten Flakzielgerät „Kurpfalz“ der Firma Lorenz war die Nahbereichsortung möglich.

Für eventuelle Angriffe auf die Anlage (die jedoch nie erfolgten) waren auf dem Zickerschen Höft und auf dem Schafsberg bei Mariendorf bewegliche Nebelanlagen installiert.

Die Leistungsfähigkeit der in der Literatur vereinzelt mit Göhren in Verbindung gebrachten „Würzmann“-Anlage erlaubte es im September 1943 erstmals, die Entfernung Erde-Mond relativ genau zu messen. Der bei Telefunken mit der Entwicklung der Funkmesstechnik befasste Ingenieur Wilhelm Stepp schilderte 1974 in der nautischen Fachzeitschrift für die deutsche Seeschifffahrt Der Seewart die damalige Situation: Der Techniker Willi Thiel hatte im Januar des Jahres 1944 seltsame Impulsfolgen empfangen, die er erst für Funkstörung gehalten hatte. Dieser Effekt verschwand aber ohne Zutun des Technikers nach kurzer Zeit wieder. Durch Versuche stellten beide fest, dass sie offenbar den aufgehenden Mond hinter den Wolken erfasst hatten. Sobald sich der Mond über den Horizont erhob und damit aus dem Sendestrahl der Anlage verschwand, hörten auch die vermeintlichen Störungen auf. Dieser Mondechoeffekt wurde am nächsten Tag nochmals getestet und konnte positiv bestätigt werden.

Erde-Mond-Erde oder auch EME, so die Bezeichnung für eine Funkverbindung zwischen zwei Punkten auf der Erde mit Hilfe des Mondes, wird bis heute noch von Funkamateuren genutzt, um über den Mond weite Strecken überbrücken zu können. Durch Messung der Signaldauer Erde-Mond und zurück ließ sich die Entfernung zum Mond mit 384.000 km berechnen.

So beachtlich die ingenieurtechnischen Leistungen auch waren: Sie wurden vom Telefunken-Konzern vollständig in den Dienst des Krieges gestellt und sollten diesen verlängern helfen. Nach dem Krieg wurde die Station als militärisches Objekt am 21. März 1946 durch sowjetische Soldaten unter dem Einsatz deutscher Kriegsgefangener gesprengt.