Er hört das Klirren der Spaten und glaubt,
die Arbeit gelte einem Graben.
In Wahrheit gilt sie seinem eigenen Grab.
Fausts irreversibler Irrtum
Die Einsicht in die Notwendigkeit, sich des Klimas und der Natur dringendst annehmen zu müssen, ist – gemessen am Problem – noch immer gering verbreitet: „So wetteifern … im öffentlichen Diskurs die Sehnsüchte nach ökologischem Fortschritt mit den Befürchtungen, der Fortschritt könnte ein Rückschritt sein. Fragen von sehr grundsätzlicher Bedeutung sind aufgeworfen: Wer soll die angekündigte Dekarbonisierung der deutschen Volkswirtschaft eigentlich bezahlen? Und wird hier nur mit Geld bezahlt oder auch mit Wohlstandsverlusten von Chemiearbeitern, Pendlern, Landwirten, Flugzeugbesatzungen und Automobilherstellern?“ So eine Stimme zur Wirtschaft. Die medial-philosophische Seite lässt sich so ein: „Das 21. Jahrhundert hat mit einem Greenwashing des Weltbewusstseins begonnen. Die ökologische Bewegung ist so erfolgreich, weil sie keine politischen Ideale, sondern die Zeremonien einer Zwangsneurose anbietet, mit denen sich jeder brave Bürger seine Privatreligion zusammenbasteln kann.“ Und die Politik sagt: „In einer Demokratie muss ich auch immer Mehrheiten für etwas bekommen.“ Ich verbürge mich – alles Worte intelligenter Zeitgenossen; aber woher diese Ignoranz? Ja die teils dümmlich-überhebliche Attitüde?
„Politik beginnt mit dem Betrachten der Realität“ wurde zum geflügelten Wort. Und nicht nur Politik; auch die Wirtschaft, die Wissenschaften sowie der öffentliche Diskurs bis hin zur Philosophie als „Liebe zur Weisheit“ sollten grundsätzlich mit dem Begreifen von Realitäten beginnen. Beides, Betrachtung und Begreifen unterliegen jedoch seit geraumer Zeit einer massiven kollektiven Fehlwahrnehmung – ich riskiere den Superlativ: Der größten seit es „Politik“, bah – die Menschheit als solche überhaupt gibt! Nicht das Klima als „mit meteorologischen Methoden ermittelter Durchschnitt der dynamischen Prozesse in der Erdatmosphäre, bezogen auf definierte Örtlichkeiten“ (nach Wikipedia) ist in einer Krise – die Menschen auf diesem Planeten haben sich in eine ihr Dasein bedrohende Krise manövriert!
Das Klima hat sich über Jahrmillionen immer wieder gewandelt; durch die natürliche Interaktion mit der Geo- und Biosphäre, und in einem klitzekleinen Moment der Erdgeschichte auch durch menschliches Agieren. „Klitzeklein“ bezieht sich lediglich auf den Zeitraum dieser menschlichen Einflussnahme, denn deren Ausmaß steht mit Sicherheit für die größte und tiefgreifendste Umformung der Erde überhaupt – gemessen an ebendiesem planetaren Wimpernschlag. Spätestens seit der Industriellen Revolution ist der Mensch zum bestimmenden Faktor für das globale Ökosystem geworden. Er schuf (sich) eine zusätzliche Technosphäre; deren Phänomene die Urbanisierung mit ihren vielfältigen Infrastrukturen, die Ressourcenknappheit, das Artensterben, die Verschmutzung der Luft, die Überdüngung des Wassers, der Böden sowie deren Erosion und auch der Treibhauseffekt sind. Diese Wirkungen betreffen den ganzen Planeten und sind mit allen sich abspielende Geoprozessen verwoben. Deshalb ist dafür der Begriff Anthropozän in die Debatte eingeführt worden – als Name einer neuen geochronologischen Epoche: Nämlich des Zeitalters, in dem der Mensch zum wichtigsten Einflussfaktor auf die biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse auf der Erde geworden ist. Die menschliche Eingriffstiefe hat zu einem Zustand geführt, dass gut gemeinte Maßnahmen in Sachen Umweltschutz oft die Lage noch verschlimmbessern…
Der Mensch als Spezies wurde noch zu Zeiten rauer klimatischer Bedingungen „geboren“; seine Hochkultur(en) jedoch vermochte er erst zu schaffen, als sich das Klima vor rund 12.000 Jahren in einem gewissen stabilen und „schmalen“ Temperaturkorridor bewegte. Droht das Klima jetzt diesen Korridor zu verlassen, indem es vor allem durch den anthropogenen Treibhauseffekt zu „heiß“ wird – wohlgemerkt nicht an sich, sondern für den Menschen –, ist ebendieser Mensch letztlich in seiner jetzigen Existenz bedroht. Es ist daher müßig darüber zu debattieren, wie hoch wohl der Anteil des Menschen an der Erderwärmung sei; der Erde und dem Klima ist das egal, für den Menschen ist – wenn schon – die „Summe“ der Erwärmung bedrohlich. Mehr noch – ließe sich ein relevanter Teil der oft auch hierzulande sich häufenden tropischen Hitzewellen natürlichen Faktoren zuschreiben, wären die menschlichen Anstrengungen zur Begrenzung der Erwärmung nur um so dringlicher.
Die Folgen der Erderwärmung für die Geo- und Biosphäre sind gravierend: Gletscher schmelzen ab, der Wasserspiegel der Weltmeere steigt, Dürren und Sturzregen nehmen zu, desgleichen Wirbelstürme und Waldbrände ….; diese Aufzählung ließe sich ad infinitum fortsetzen. Ausgerechnet die Versicherungswirtschaft schlägt Alarm; so schreibt die Munich Re, deren Schwerpunkt traditionell in der Absicherung von Spitzenrisiken aus Naturkatastrophen liegt: „Klimawandel – eine der größten Herausforderungen der Menschheit …“
Nach dem Konzept des Anthropozäns als Zeitalter des Menschen handelt dieser immer im planetaren Maßstab, respektive sind die Folgen seines Handels oder Unterlassens an diesem zu messen. Er mündet in so genannte Kippschalter, die sich bei Überschreitung gewisser Schwellenwerte umlegen. Es wurden circa 15 derartige Schalter identifiziert, von denen wiederum neun schon bedenkliche Werte aufweisen, zum Beispiel das Auftauen der Permafrostböden im nördlichen Sibirien, wodurch es zu vermehrter Methan-Emission kommt – für das Klima wesentlich schädlicher als CO². Drei weitere sind quasi schon „umgelegt – darunter jeweils einer in der Arktis respektive Antarktis durch das Abschmelzen von Eis.
Der Dreh- und Angelpunkt der vielfältigen globalen oder planetaren Krisen sind also nicht die Sphären, Medien und Räume, sondern der Mensch! Deshalb ist es irreführend, ja kontraproduktiv von Klima- oder Umweltkrise zu sprechen, sondern richtigerweise – wie schon gesagt – von einer Menschheitskrise. Es geht dabei nicht um eine schlichte Begriffsumkehr, sondern eher schon um ein anderes framing, das heißt eine neuartige Einbettung von Ereignissen und Themen in andere Deutungsmuster. Vor allem aber denke ich, ist – wenn menschliches Handeln vom „Betrachten der Realität“ ausgeht – ebendiese Realität erst damit richtig erfasst: Sie nähme dann das Subjekt in ihren Fokus, um das es wirklich geht – den Menschen. Bis dato nimmt sich namentlich die Politik der Klima- und Umweltthemen immer noch so an, als hätten diese nichts mit uns zu tun; das Gegenteil ist richtig: „Wir sind in einer lebensbedrohlichen Situation! Warum schreiben wir das nicht genauso auf?“ Nicht das Klima oder die Umwelt sind primär rettungsbedürftig – wir Menschen sind es; und zwar über die Rettung von Klima und Umwelt. Klima- und Umweltschutz sind Mittel zum Zweck; nicht der Zweck selbst! Jahrzehntelang kam die Bundesregierung dabei kaum vom Fleck, jonglierte mit Bedenken und Lobbyeinwänden, verhakte sich in Details.
Will die Politik Mehrheiten gewinnen, dann müssen Klima- und Umweltthemen von der abstrakten Ebene der Atmosphärenchemie, des Treibhauseffektes, vom Streit um Grenzwerte, von Meeresspiegeln und Artensterben heruntergebrochen werden auf die menschlich-individuelle; Klimaschutz muss als „Menschenschutz“ in seiner unmittelbaren Auswirkung auf jeden und alle von uns gefasst werden. Zur Illustration dessen, auch oben beschriebener Fehlwahrnehmung: Im August 2003 stiegen die Temperaturen in Europa auf bis zu 47,5 Grad. Der darob in den Medien gefeierte Jahrhundertsommer war jedoch faktisch eine der größten Naturkatastrophen in der Geschichte Europas: Wälder brannten, Flüsse trockneten aus – und vermutlich etwa 70.000 Menschen fanden in Westeuropa den Tod, darunter 7.000 Deutsche.
Es sollte dazu kommen, dass – wie es schon geschieht – Menschen, die sich darüber im Klaren sind, dass es beim Klima- und Umweltschutz um uns Menschen geht, die Politik vor sich her treiben: Damit diese schnell alles Menschenmöglich-Vernünftige veranlasst, um die weitere Erwärmung der Erde zu stoppen. Dafür braucht es den globalen Schulterschluss. Ob der gelingt, weiß ich nicht. Ob wir bei 1,5 Grad Celsius bei der Begrenzung des globalen Temperaturanstiegs landen, keine Ahnung. Es ist jedenfalls jede Anstrengung wert, um dann vielleicht „nur“ 1,75 Grad zu erreichen; immer noch besser als zwei Grad!
Schlagwörter: Anthropozän, Bundesregierung, die Politik, Erderwärmung, Stephan Wohanka, Umweltschutz