Joseph Beuys hat es längst zum Kultstatus gebracht. Er ist zu einer Ikone der Nachkriegskunst geworden, so dass kein Feuilleton einen Bogen um den hundertsten Geburtstag des berühmten Hutträgers machen kann. Der 1986 Verstorbene gehört zur Geschichte der Kunst und der alten Bundesrepublik. Ein Grenzüberschreitender und Systemsprenger – nicht nur in seinem Metier. Dabei war er ein Meister der Selbstinszenierung. Reibungspunkt, vor allem aber Inspiration für viele andere – Jörg Immendorff, Sigmar Polke oder Anselm Kiefer etwa. Mit Ausstrahlung bis hinter die Mauer in die DDR.
Etwas weiß jeder von ihm. Fettflecke, die zur Kunst geadelt wurden. Eine Performance mit Kojoten in New York. Und vor allem der Satz, dass jeder Mensch ein Künstler ist. Vom Hochschulkatheder aus war das die Infragestellung des Bodens, auf dem er stand. Er wurde in den 60ern zum Kunstprofessor in Düsseldorf und dort spektakulär gefeuert. Er machte 1982 Furore mit den 7000 Eichen auf der documenta 7. Hut, Weste, Fellmantel haben einen hohen Wiedererkennungswert. Wie bei anderen prägenden deutschen Künstlern folgt aus seinem Geburtsjahr 1921 biografischer Erklärungsbedarf in Sachen Nähe zum NS-Regime. Beuys war bei der Luftwaffe, sein Überleben nach dem Abschuss über Russland gehört zu seiner selbst vermarkteten, verklärenden Biografie. Vor allem seine Ferne oder Nähe zu rechtem Gedankengut ist heutzutage Gegenstand einer kontroversen Debatte, nicht nur unter den Biografen und Spezialisten. Dazu gehört auch seine gesuchte Nähe zu den Grünen.
Auf der Bühne des Wiener Volkstheaters und von dort aus im Internet hat jetzt Jonathan Meese zur Geburtstagsparty geladen. Bei diesem Kindskopf der Szene musste es natürlich gleich „1000 Jahre Boys“ als Überschrift sein. Infantil übertreiben gehört zum Markenkern dieses Aktionisten. Was ganz gut in eine bestimmte Wiener Tradition passt. Als Mitstreiter war eigentlich noch Bernhard Schütz geplant. Der kam – aus welchen Gründen auch immer – nicht. So sprang die Frau Mama als alter Beuys im Fellmantel ein. Meese selbst übernahm das jüngere Alter Ego und natürlich sich selbst in der Rolle des Angreifers.
Formal ergab das ein großes Improvisieren und Austoben wie bei einem Kindergeburtstag, bei dem Mutti mitspielt, aber eben auch mal sagt, wann genug genug ist. Wäre die alte Dame nicht dabei gewesen, hätte Meese wahrscheinlich noch bis Mitternacht weitergetobt, alle seine Performance-Bauklötzer aus dem Regal geholt und auf der Bühne herumgeschmissen. Die 90-jährige Brigitte Renate Meese war jedenfalls eine echte Bereicherung. Mit Einwürfen, die den Sohnemann wieder auf die Spur seines Themas (das war neben der üblichen Dosis Selbstdarstellung diesmal eben auch Beuys) zurückführte, wenn der zu weit ins behauptete Gesamtkunstwerk seiner selbst abgekommen war.
Zum Einstieg dieser Imitation eines wilden Abends war auch ein Schimmel namens Fantastico (womöglich ein Wiener Lipizzaner?) mit auf der Bühne, ließ sich dann aber, als es lauter wurde, von einem Schaukelpferd vertreten. Der Einstieg mit einem unter einer Hundemaske versteckten, aber an der Trainingsjacke unschwer zu erkennenden, alpträumenden Meese-Beuys auf der Liege und Einspielern von Beuys’ O-Tönen wirkte noch halbwegs vorgedacht und -geplant. Bereit lagen außerdem Masken von Haifisch, Schwein und Einhorn bis Phantomas. Benutzbar nach der Laune des Augenblicks. Der unverdrossen im Beuys-Look am Pult sitzende Henning Nass hatte jedenfalls ein musikalisches Konzept. Irgendein Problem, sich mit der berühmten Pippi-Langstrumpf Melodie zu identifizieren, hatte Meese genauso wenig wie weiland Andrea Nahles im Bundestag. „Lili Marleen“ gab es natürlich auch noch und dazu jede Menge Sirtaki.
Bei dieser One-Man-Show mit Mama denkt man sich am besten seinen „Mondparsifal Alpha 1-8“ dazu, der als hassliebender Antiwagner als Theater vor vier Jahren ziemlich gut funktionierte. Besser man lässt den Vergleich. Eine mehr oder weniger frei gedachte, zumindest so wirkende Improvisation wie die in Wien jetzt braucht schon jede Menge Geduld und guten Willen im Zuschauerraum (man sah, dass der sogar pandemiegemäß besetzt war) und vor den Bildschirmen. Da noch mehr, da daheim das Live-Charisma des Chaos fehlte, das sich im selben Raum allemal entfaltet.
Auf jeden Fall bot der Abend eine volle Dosis Meese. Lässt man sich von dessen ein paar Mal herausgebrülltem Verweis auf die Figur des diabolischen Martin von Essenbeck (aus Luchino Viscontis Klassiker „Die Verdammten“ von 1969) dazu inspirieren, im Internet nach diesem Namen zu googeln, findet man schnell einen Verweis auf Meeses großformatig collagiertes Ölbild „Martin von Essenbeck ist Saalgott“ aus dem Jahre 2003, das gerade in einer Wiener Galerie feilgeboten wird. Assoziationsgeladene infantile Selbstentfaltung kriegt dieser Beuys-Nachfahre im Geiste nicht nur auf der Bühne hin, sondern auch auf der Leinwand.
Hinter dem Triumph der nur an den selbstbehaupteten ästhetischen Maßstäben zu messenden Form (oder eben Antiform) verbirgt sich aber auch ein Quantum Diskursdialektik. Meese bewirft eben nicht nur seinen Gegenstand mit dem eigenen Wortspielzeug, sondern macht auch einen Unterschied zwischen dem Künstler und dem Guru Beuys mit Anspruch auf Gefolgschaft und Lobhudelei seiner Jünger zum Hundertsten. Dem Künstlergenie hält Meese vehement dessen Verrat an der Kunst durch Politikehrgeiz vor. Dass er damit seine „Diktatur der Kunst“ propagiert, deren Absurditäten er natürlich durch Beuys legitimiert sieht, hat den Witz einer Pointe. Was er da macht ist also auch so eine Art Vatermord. Samt ausgestrecktem rechten Arm. Zum Sirtaki im kindlichen Hopseschritt. Doch irgendwann hat die Mama genug. Und der Vorhang im Volkstheater geht runter. Wie man am Bildschirm immer noch hören kann, scheint das bei Jonathan Meese nicht wirklich angekommen zu sein. „Bois adieuisiert sich ufohaft!“ ist da schon längst eingeblendet. Wirklich?
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