24. Jahrgang | Nummer 8 | 12. April 2021

Altberliner Rundfunk

von Erhard Weinholz

Moderator (M.): „Guten Abend, meine … sehr geehrten Damen und Herren und … herzlich willkommen beim Altberliner Rundfunk Hundertsiebzehnkommadrei, bei der siebenundachtzigsten Folge unserer beliebten Sendereihe ‚Berliner, die /klirrr/ aus dem Rahmen fallen‘. Mein Name ist Emmo Bodenthal, und ich werde Sie die kommende Viertelstunde durch den Abend begleiten. Tja, meine … sehr geehrten Damen und Herren, es ist doch immer wieder erstaunlich, zu welchen Leistungen Mitmenschen in unserer schönen Haupt- und Weltstadt so alles fähig sind. Heute stellen wir Ihnen vor: Berlinerinnen und Berliner mit ungewöhnlichen Ernährungsgewohnheiten – womit wir nicht etwa Leute meinen, die anderen alles wegfressen. Als Erstes habe ich hier im Studio die Familie Briese, Frau Briese, Herrn Briese, dazu Brendo, acht, und Pinia, fünf Jahre alt, alle vier aus Berlin-Buch. Guten Abend, liebe Brieses, Sie sind, wie Sie mir geschrieben haben, Selbstversorger, kaufen also nichts, Selbstversorger und Allesesser. Essen Sie wirklich alles?“

Herr B.: „Nahmd erstmal. Nee, alles natürlich nich, Tiere, die Allesfresser sind, fressen ja ooch nich alles, sagenwamal keene Reißzwecken.“

M.: „Das leuchtet ein. Am besten, Sie erzählen uns mal, was bei Ihnen vorzugsweise auf dem Küchenzettel steht.“

Frau B: „Na, ersma so Sachen, die jeder isst, Pilze, Beeren und so, denn ne Menge Kräuter, hängt natürlich imma vonna Jahreszeit ab, Schnecken, Frösche …“

M.: „Aha, auch Weinbergschnecken?“

Brendo B.: „Weinbergschnecken stehn unta Naturschutz!“

Frau B.: „Gern n paar Vögel, oda ooch n Huhn …“

M.: „Hühner? Halten Sie die in der Wohnung?“

Herr B.: „Jaa, willma saren, direkt halten tun wa se nich.“

M.: „Aber wo kommen die Hühner denn her?“

Frau B.: „Na, wo sollnse herkomm? Ausm Ei vamutlich!“

M.: „Das ist schon klar. Ich wollte damit sagen: Hühner haben doch einen Besitzer!“

Brendo B.: „Aba villeicht, villeicht jips ooch Hühna, die keen Besitza haam?“

M.: „Ähm, ja danke, Familie Briese, und als nächstes heiße ich Frau und Herrn … Tschirpke bei uns im Studio willkommen, Familie Tschirpke aus Britz, beide schon im besten Rentenalter. Im Unterschied zu Familie Briese hat Herr Tschirpke sich spezialisiert: Er ernährt sich von Kindesbeinen an vor allem von … Meisenknödeln. Wie hat sich das eigentlich ergeben?“

Herr T.: „Unsere Familie war ehm sehr tierlieb. Und da wurden im Winta imma Meisenknödel rausjehängt. Ick hab mir da manchma was rausjepolkt, dis wurde mir natürlich verboten, und denn habicks erst recht jemacht. Ja, und späta binnick dabei jebliehm.“

M.: „Ist das nicht ein bisschen eintönig?“

Herr T.: „Nöö, da jips vaschiedene Sorten, mit Sonnenblumenkernen, mit Erdnüssen, oder ick lege mal n Salatblatt drum … Im Sommer isses alladings n bißchen schwieriger, da kricht man die bloß in Zoohandlungen. Und janz schwierig wird’s bei Auslandsreisen.“

Frau T.: „Wir hatten vorletztis Jahr innem Preisauschreiben drei Wochen Costa Rica jewonnen, was denkense, was mein Mann für Kopfstände machen musste, um rauszukriejen, obs in Costa Rica Meisenknödel jipt.“

Herr T.: „Man konnta ja nich sagen, dass man die selba braucht. Na ja, zuletzt hamwa vom Auswärtijen Amt ne Information bekommen, dass Vogelnahrung in Costa Rica nich im Anjebot ist. Und denn, schon am dritten Tach, hamwa in San Jose, also inna Hauptstadt, n deutschen Laden jefunden, und der hatte allit. Sogar Meisenknödel. War die janze Schlepperei umsonst.“

M: „Ja, da gäb’s sicherlich noch mehr zu sagen, aber die Zeit drängt, danke, liebe Familie … Tschirpke, grüßen Sie mir das schöne Britz, und als … Letzter heute Abend Herr … Schmitzeck aus Waldesruh, ebenfalls ein Spezialist, er lebt, sie werden staunen, von Wodka und … Schuhcreme!“

Herr S.: „Ja, Nahmdchin. Wat jipsn da zu staunen? Die Russen leben übahaupt nur von Wodka!“

M.: „Versteht sich. Das Erstaunliche ist die Kombination: Wodka und Schuhcreme, darauf muss man erstmal kommen!“

Herr S.: „Dit war mehr so jezwungnamaßen. Inna DDR, inna ehemaljen DDR jenaua jesacht, jabs ja nüscht zu koofen. Bloß Wodka, der wurde nie alle, Marke ‚Alta Jenosse‘, vorn war son alta Jenosse zu sehn …“

M.: „Wie sah er denn aus, der … alte Genosse?“

Herr S.: „Mein Jott, wie saha aus? Kampfaprobt, würdick saren. Und hinten war imma son Spruch: Der Frieden wird erhalten bleiben, wenn alle für den Frieden kämpfen! Jott Wee Schtalin. Oda sowat in der Art. Und Schuhcreme, die war ooch nie ausvakooft. Marke Eg Gü.“

M.: „Tja, das waren die Segnungen der Planwirtschaft!“

Herr S.: „Tschuljung, war allit nurn Scherz. Ick hab die Schuhcreme einfach mal am Wejesrand jefunden.“

M: „Äh … äh … ja natürlich, ist doch klar, ein bisschen Spaß, höhöhö, ein bisschen Spaß muss sein.“

Herr S.: „Jenau! Also n Fund, und ick hatte soon Knast, bloß keen Jeld, und denn hattick ooch schon n leichtit Ding einjepfiffen, so ne halbe Pulle etwa, naja, denn habick eben mal n Happen Schuhcreme zu mir jenommn. Dunkelbraune, um dit noch zu saren. Die schmeckt son bißchen wie Lebawurscht … naja, nich janz, aba so in die Richtung. Schwarze is mir irjendwie zu streng, und die weiße is ooch nich mein Jeschmack.“

M.: „Herr Schmitzeck, Sie kennen ja nun den Osten und den Westen – gibt es denn einen Unterschied zwischen Ost- und Westschuhcreme?“

Herr S.: „Also ick würde ma saren, die Westschuhcreme is cremiger. Aba ansonsten nimmtit sich nüscht. Dis Schlimme is bloß: Hier im Westen hamse neuerdings die Macke, dasse allit parfümieren müssen. Normale parfümfreie Schuhcreme jibs janich mehr. Aba wat sollick Ihn saren, ick bin uff Bio umjestiejen, n bißchen teurer, jeht aba noch. Und iss ja ooch irjendwie jesünda.“

M.: „Dankeschön, Herr … Schmitzeck, und damit sind wir schon am Schluss unserer Sendung angelangt. In vierzehn Tagen wird sie meine Kollegin Antje Schuster am Mikrofon begrüßen, da geht es um Berlinerinnen und Berliner, die sich auf besondere Weise durch die Gegend bewegen, ‚Vorwärts immer, rückwärts nimmer‘ soll Honecker ja mal gesagt haben … tja, Pustekuchen! Bis zum nächsten Mal alles Gute, Ihr Emmo Bodenthal.“