24. Jahrgang | Nummer 8 | 12. April 2021

Schönheit und der Blick nach oben

von Joachim Lange

Die Kunsthalle Rostock hat sich in den letzten Jahren immer wieder als ein Ort für Kunst profiliert, die in der DDR entstanden ist. Mit klangvollen, altbewährten Namen, aber auch mit aktuellen Protagonisten, die dort ihre Wurzeln haben. Eine Insel, auf der in der stürmischen See des Kunstmarktes Asyl gewährt wird. Zurzeit wird der einstige Museumsneubau der DDR grundüberholt. In Rostock trotzt man den widrigen Umständen gleichwohl eine neue Ausstellung ab und nutzt dafür das Schaudepot. Mit nicht weniger als der Frage „Cur Deus“ – „Warum Gott?“. Einfach so – mehr nicht. Es ist Michael Triegel, der sich mit erstaunlicher malerischer Beredsamkeit an einer Antwort versucht. Oder besser gesagt: an Variationen dazu. Es ist eine Schau mit über 60 Bildern und Grafiken, die Anfang Dezember 2020 online eröffnet wurde und ab 16. März 2021 auch am Ort zu besuchen ist.

Triegel hat sich längst als Ausnahme unter den Malern seiner Generation etabliert, bewusst abseits eines Mainstreams aller Schattierungen der Moderne oder in deren demonstrativer Nachfolge. Er beharrt auf einer Altmeisterlichkeit, die in ihrer Konsequenz verblüfft. Da kann beim Betrachter schon mal ein fragender Abwehrreflex mit der puren Verführung von Schönheit kollidieren. Einerseits strahlen Triegels Bilder durchweg kontemplative Ruhe aus und betören geradezu mit ihrer Vollendung im Detail. Andererseits spürt man durchweg die Absicht, letzte Dinge ins Bild zu setzen. Sein Blick ist dabei keineswegs nur rückwärts in die Vergangenheit seines Genres gerichtet, sondern immer auch nach oben, himmelwärts. Nicht nur bildlich gesprochen.

Welcher Maler des Geburtsjahrgangs 1968 kann schon für sich in Anspruch nehmen, dass ihn der Papst in Rom persönlich zu einem griffigen Label verholfen hätte. Er sei sein Raffael, soll der Papst aus Bayern, Benedikt XVI., zu ihm gesagt haben, als es zu einer Begegnung zwischen dem deutschen Kirchenfürsten Josef Ratzinger und dem in Erfurt geborenen deutschen Maler kam, der 2010 das Privileg hatte, ihn zu porträtieren. Die Kirche hatte da schon einen Stammplatz unter seinen Auftraggebern. Dafür war das Papstporträt natürlich Gütesiegel und Verstärker!

In der Rostocker Ausstellung unter dem Titel „Cur Deus“ ist zwar keine der Versionen des mittlerweile recht bekannten Papstbildnisses vertreten. Aber dass sich Triegel in seiner Malerei dem Motive-Vorrat des christlichen Glaubens, der Kirche und der Geschichte ihrer Widerspiegelung in der Kunst gleichsam mit Haut und Haaren verschrieben hat, ist unübersehbar. Triegel setzt sich dafür sogar gerne und oft selbst, recht ansehnlich, ins sakrale Bild. Auch bei den in der Ausstellung gezeigten großformatigen Entwürfen zu den Kirchenfenstern für die Pfarrkirche St. Marien in Köthen trägt der Heiland die Züge des Malers. Ob als blutverschmierter „Tenebrae“ (2018) oder als „Hiob“ (2016). Im jüngsten „Selbstporträt“ aus dem Jahre 2020, bei dem er sich bewusst nicht jünger macht, scheint ihn das selbst zu erschrecken.

Überhaupt sind seine Porträts wie „Römischer Bettler“ (2018), „Neapolitaner“ (2019) oder „Alter Mann in Jerusalem“ (2020) gelebtes Menschenleben pur. Dass er bei seinen Frauenbildnissen von „Flora“ (2007) bis „Maria“ (2020) immer eine verklärende Selbstgewissheit durchscheinen lässt, rechtfertigt das Augustinus-Wort „Gottes Sehnsucht ist der Mensch“ als Motto über diesem Teil der Ausstellung. In der Abteilung den faszinierenden Stillleben („Vom Sichtbaren zum Unsichtbaren“) spielt er – wie mit den „Betenden Händen“ (2016) – fröhlich selbstbewusst sogar mit der Erinnerung an Dürer. Vieles in den fein gebauten Arbeiten braucht für die Entschlüsselung der christlichen Symbolik eine Zusatzanstrengung beim Betrachter. Die pure Schönheit des Details oder der Bilder der Menschen, die auf ein Menschenbild weisen, die erschließt sich voraussetzungslos. Wie die „Auferstehungs“-Versionen aus den Jahren 1996, 2006, 2017 und 2020.

Studiert hat Triegel in Leipzig bei Arno Rink, er war dann Meisterschüler bei Ulrich Hachulla und ist immerhin so mit der sogenannten Leipziger Schule direkt verbunden. Ästhetisch ist wohl eher die Verbindung mit Werner Tübke offensichtlich. Der hatte eigensinnig gegen alle Moden seinen Manierismus behauptet und ihn zumindest im Osten Deutschlands bis hin zum gewaltigen Bauernkriegspanorama-Solitär in Bad Frankenhausen salonfähig gemacht. Wer regelmäßig die Rostocker Kunsthalle besucht, hat dort von allen genannten Künstlern bereits Wesentliches gesehen und vermag so, Triegels Malerei selbst einzuordnen.

Die Kunsthalle bittet um kurze telefonische Anmeldung eines Besuchs. Unter 0381 381 7008 gibt es innerhalb der Öffnungszeiten (Di–So, 11–18 Uhr) die Möglichkeit, einen Besuchstermin zu vereinbaren. Der Katalog für 15 Euro ist von der Edition Galerie Schwind herausgegeben worden und beschränkt sich auf die Wiedergabe der gezeigten Werke.