24. Jahrgang | Nummer 4 | 15. Februar 2021

Antworten

Heribert Prantl, Edelfeder der Süddeutschen Zeitung – Zur Coronapolitik der Regierenden merken Sie an: „Die Maßnahmen jetzt werden die Existenzen von hunderttausenden Menschen zerstören.“ Und konstatieren: „Wir haben plötzlich Gremien, die es im Grundgesetz nicht gibt. Diese entscheiden über die Grundrechte. Es gibt in der deutschen Rechtsordnung kein ‚Konzil‘ der Ministerpräsidenten und der Bundeskanzlerin. Es kann nicht sein, dass Merkel, Laschet und Söder hinter verschlossenen Türen entscheiden und dann sagen: Hier geht es jetzt lang. Das ist nicht die Demokratie, wie sie im Grundgesetz vorgesehen ist.“ Hinzu käme: „Vor dem Lockdown des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens hat es den politischen Selbstlockdown der Parlamente gegeben. Es war eine Selbst-Kastration.“ Und die „Medien […] sind […] zu einem Dauerwarnsystem geworden“ statt „die Maßnahmen und die Alternativen [zu] diskutieren“.
Doch Sie bleiben Optimist: „Ich hoffe, dass die Gesellschaft aufwacht.“ Da sind wir ganz an Ihrer Seite. Und glauben vorsichthalber zugleich fest daran, dass „keine Regel ohne Ausnahme“ auch für diese gilt: Die Hoffnung stirbt zuletzt!

Anatol Stefanowitsch, Gründer und Juryvorsitzender der Initiative „Anglizismus des Jahres“ – Ihre Initiative würdigt seit 2010 jährlich „den positiven Beitrag des Englischen zur Entwicklung des deutschen Wortschatzes“. Der Sprachkritiker Karl Hugo Pruys zählte „positiv“ vormals zu den politischen Plastikwörtern schlechthin. Wer etwas „positiv“ nenne, habe sich die Sache nicht genau genug angesehen. Der Mann ist gegen Windmühlenflügel angelaufen, denn längst wird der „positive Einfluss“ landauf, landab fälschlich als „Bereicherung“ verstanden. 2011 kürte Ihre Jury den Shitstorm zum Anglizismus des Jahres, ein Wort, das englischsprachige Journalisten als obszön empfanden, als es unsere Bundeskanzlerin benutzte. 2016 waren es die Fake News, die das alte deutsche Wort „Lüge“ ersetzten. Statt Bereicherung der Sprache also Verschleierung des Sachverhalts. Für 2020 haben Sie sich für Lockdown entschieden. Jakob Augstein nannte das Wort im Freitag entsprechend der Herkunft aus dem Strafvollzug beim Namen „Einschluss“. Zugegeben, so weit ist es glücklicherweise für die meisten von uns noch nicht gekommen, aber bereichert sehen sich wahrscheinlich die wenigsten durch den Lockdown – weder sprachlich noch gar durch die so bezeichnete Praxis.

Katharina Witt, „schönstes Gesicht des Sozialismus“ – Angesichts der Salami-Taktik der von Kanzlerin und Ministerpräsidenten in Sachen Lockdown (immer wieder „bloß noch ein paar Tage länger“) sehen auch Sie Ihr unternehmerisches Lebenswerk gefährdet. Ihre Firma für Entertainment, Ihre Stiftung und Ihr Sportstudio – seit Monaten geschlossen. Doch Sie haben einen Vorschlag: „Wie wäre es […] mit folgender Solidarität? Politiker und Entscheidungsträger verzichten komplett auf ihr Einkommen und ihre Diäten.“ Und zahlten im Übrigen sämtliche Nebenkosten selbst – so wie viele Unternehmer und Künstler.
Ihre Hoffnung: „Beim Blick auf das schrumpfende Bankkonto würden Entscheidungen flotter und unbürokratischer getroffen werden.“ Also – einen Versuch wäre es wert …

Heinrich Niemann, langjähriger Berliner Gesundheitspolitiker und Blättchen-Autor – Im neuen deutschland kritisierten Sie dieser Tage die politische Praxis der Corona-Bekämpfung: „Selten erfährt der Bürger, aus welchen epidemiologischen, hygienischen, pädiatrischen oder virologischen Gründen Maßnahmen beschlossen wurden und welche wissenschaftlichen Studien ihnen zugrunde liegen.“ Nachhaltig plädieren Sie für eine entschieden bessere Ausstattung der Gesundheitsämter und die Einbeziehung von Epidemiologen bei anstehenden Entscheidungsfindungen. Wir stimmen Ihnen zu, dass „bloße Verschärfung, ein allgemeines Stillstehen und landesweites Abschalten […], verbunden mit einem Angst befördernden moralischen Druck“ mitnichten zielführend ist. „Angst essen Seele auf“, lässt Rainer Werner Fassbinder seinen Helden Ali im gleichnamigen Film aus dem Jahr 1974 feststellen. Das gilt noch immer. Werden Menschen von der Gesellschaft mit ihren Ängsten allein gelassen, sitzen sie Wunderheilern in Politik und Medizin auf.
Ihr Befund gehört ernst genommen!

Paul J. Crutzen, Spätstarter, von 1980 bis 2000 Direktor am Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz – 1933 in Amsterdam geboren, lernten Sie was Bodenständiges und begannen Ihre berufliche Laufbahn als Tiefbauingenieur beim Brückenbauamt Ihrer Heimatstadt. Doch dann schlug Ihr Lebensweg etwas aus der Art. Beim Wandern in der Schweiz lernten Sie eine Finnin kennen, mit der Sie sich verehelichten und nach Schweden verzogen. Da man auch dort von etwas leben muss, bewarben Sie sich in Stockholm auf eine Stellenanzeige als Programmierer beim meteorologischen Institut, obwohl Sie weder Ahnung von Computern noch gar von der Wetterwissenschaft hatten. Doch diese ulkigen Schweden ließen Sie – learning by doing – gewähren, und plötzlich interessierten Sie sich für deren Forschungsgegenstand, studierten Meteorologie und machten Ihren Doktor mit 40. Ihr restliches Berufsleben reichte aus, um das Ozonloch über der Antarktis zu entdecken (später Nobelpreis 1995), Anfang der 1980er Jahre im Auftrag der Königlich schwedischen Akademie der Wissenschaften die Auswirkungen eines Atomkrieges auf die Atmosphäre zu untersuchen und damit USA-Wissenschaftlern um Carl Sagan wichtige Grundlagen für deren Theorie vom Nuklearen Winter zu liefern. Per Zwischenruf haben Sie bei einer Konferenz im mexikanischen Cuernavaca um die Jahrtausendwende die wissenschaftliche Epochebezeichnung für die Erdneuzeit – Holozän – auf Anthropozän upgedatet, womit Sie die Schicksalsgemeinschaft von Zivilisation und Ökosphäre auf den Begriff brachten.
Eine spezielle Art von Kopfzerbrechen bereitete Ihnen dabei nur die Idee vom Atomkriegswinter: „Diese Hypothese kann […] nicht überprüft werden, ohne das ‚Experiment‘ durchzuführen, das sie verhindern soll.“
Jetzt sind Sie 86-jährig verstorben. Wir ziehen den Hut vor Ihrer außergewöhnlichen Lebensleistung.

Lisa Enroth, Krankenschwester und Weltmeisterin im Kinogucken – Sie waren die Gewinnerin, und für uns sind Sie die Siegerin. Die Veranstalter des gerade abgelaufenen Göteborg Filmfestivals wollten mit aller Macht in diesem Jahr auf unkonventionelle Weise soziale Distanz halten. Wegen Corona. Also entschied man sich für ein „Isolated Cinema“ für eine Person. Damit keine ungebetenen Zaungäste kommen, fand man in dieser unwirtlichen Zeit eine der unwirtlichsten Inseln der schwedischen Schären als Spielort: den Leuchtturmfelsen Pater Noster genau auf der Grenze zwischen Kattegat und Skagerrak. Aus einer 12.000 Bewerber umfassenden Liste wurden Sie ausgewählt. Glückwunsch! Noch mehr gratulieren wir Ihnen aber zu der Leistung, in sieben Tagen 60 Filme durchgehalten zu haben – und darüber noch ein Videotagebuch zu führen. Das ist wahre Leidenschaft! An der Preisvergabe waren Sie leider nicht beteiligt.
Den „Dragon Award“ für den besten nordischen Film 2021 holte sich übrigens „Tiger“ von Ronnie Sandahl. „Tiger“ räumte gleich noch einen weiteren Preis ab. Erik Enge, Darsteller des Martin, erhielt ihn für die beste schauspielerische Leistung. Wir finden, für „Lisa’s Video Diary“ gebührt Ihnen ein Sonderpreis.

Annegret Kramp-Karrenbauer, Hoffnungsträgerin a. D. – Ihnen als verabschiedeter CDU-Chefin und vormaliger Kanzleramtsaspirantin ein „als Tigerin gesprungen und als Bettvorlegerin gelandet“ nachzurufen wäre höchst uncharmant. Aber ein Karl Valentin muss schon gestattet sein: „Mögen hätt ich schon wollen, aber dürfen hab ich mich nicht getraut!“

Benedikt Lux, Hühnchen des Herzens, sonst Grünen-MdA in Berlin – Sie begrüßen das neue Berliner Demonstrationsrecht. Besonders gut finden Sie, dass man jetzt auf Demos zur Agrarpolitik als Hühnchen verkleidet erscheinen darf. Nur zu! Wenn Sie dann noch dafür sorgen, dass beispielsweise das Kriminaltechnische Institut der Berliner Polizei deutlich besser ausgestattet wird – die Bearbeitung von Fingerabdrücken dauert derzeit bis zu drei Monate! –, werden wir künftig jedem Hühnchen größer als 1,60 Meter, das uns auf Berliner Straßen begegnet, applaudieren. Es könnten ja Sie sein.