24. Jahrgang | Nummer 3 | 1. Februar 2021

Vom Bürgergehorsam und anderen Arresten

von Dieter Naumann

In der historischen Rügenliteratur gibt es nur wenige Beiträge über rügensche Gefängnisse – wenn, dann nicht selten mit amüsant erscheinenden Beschreibungen, freilich aus heutiger Sicht und nicht der damaliger Insassen.

Von Carl Friedrich Michael Droysen (1790–?), Theologe und Pädagoge, wissen wir durch seine Chronik der Stadt Bergen auf Rügen (1839), welche Gerichtsräume beziehungsweise -gebäude 1800 in Rügens „Hauptstadt“ existierten: Da war zunächst das alte Rathaus, ursprünglich der Krug von Bergen, „bestimmt zum städtischen Gebrauche und zur Wohnung des Ratskellerwirtes“. Es enthielt außer der Ratsstube, einem Zimmer für das städtische Archiv und der Altermannsstube „einen Bürgergehorsam und ein Gefangenenzimmer“. Der so genannte „Bürgergehorsam“ – auch „Bürgerstube“, „Bollenstall“ oder „Schließerey“ genannt – war ein städtisches Gefängnis für Bürger, welches zur Verbüßung von Disziplinar- und Polizeistrafen diente. Ein weiteres Gebäude, das Gefangenenhaus, befand sich gegenüber dem Küsterhaus und war „zu seinem Gebrauche ungenügend und ungeeignet, enthielt 1800 nur zwei kleine, dumpfige Zellen, aus denen häufig Ausbrüche vorkamen“. Der Volkskundler Wolfgang Rudolph zitierte 1953 in seinem rügenschen Heimatbuch aus einem zeitgenössischen Bericht, wonach das Gebäude nicht eben fest gebaut gewesen sei, „so daß sich Fälle ereigneten, daß gute Körperkraft besitzende Verhaftete diesem Sicherungsorte bald entwischten“. Im Gefangenenhaus wohnte auch der Schließer oder Gefangenenwärter. Drittes Gebäude war der 1726 ursprünglich nur für Lebensmittel-Verkaufsstände errichtete Scharren, ein einstöckiges Fachwerk-Gebäude. In ihm befand sich später die nächtliche Behausung der Nachtwache (zwei Stadtsoldaten), hier waren die Spritzen und anderen städtischen Feuergeräte untergebracht. Außerdem war der 1863 auf Abriss verkaufte Scharren 1800 „mit mehreren Gemächern, gebräuchlich teils als leichtes Gefängnis“ für die erste Ingewahrsamnahme versehen.

Zu unterschiedlichen Zeiten kamen weitere Gefängnisse hinzu und ersetzten die alten Arresträume. Dazu gehörten unter anderem das alte Landvogteigebäude und das ehemalige „Königliches Kreisgericht“ mit seinem Gefängnisanbau, zwei noch heute existierende Baulichkeiten.

Die alte Landvogtei war gänzlich untermauert, wobei sich im westlich gelegenen zweistöckigen Keller mit kolossalen Strebepfeilern die Verliese für die Gefangenen befanden. In diesen, Jahrzehnte später rekonstruierten und als Gasträume dienenden Gewölbekellern sollen auch Gefangene enthauptet worden sein. Eine damals vorhandene Blutrinne wurde bei der Rekonstruktion wegen der Stolpergefahr für die Besucher entfernt.

Das ehemalige „Königliche Kreisgericht“, späteres Amtsgericht von Bergen, beherbergte laut einem „Gebäudeinventarium“ von 1862 unter anderem im ersten Stock zwei Stuben für den Gefangenenwärter und sechs Gefängniszellen für 20 bis 24 Gefangene, unter dem Dach einen Arbeitssaal für Gefangene, die aber auch im Ökonomiehof des Gerichts zum Zerkleinern von Holz herangezogen wurden. Nach einem Bericht im Rügenschen Kreis- und Anzeigenblatt vom 27. September 1901 sollte „das hiesige Gerichts- und Gefängnisgebäude umgebaut und vergrößert“ werden. Das war auch dringend notwendig, denn nach einem Zeitungsbericht im Dezember 1892 konnte die äußerliche Attraktivität des Gerichtsgebäudes seine inneren Unzulänglichkeiten nicht verdecken. So würden sich an den Sitzungstagen sämtliche Personen, Richter, Sekretäre, Gerichtsboten, Parteien, Zeugen und Angeklagte auf dem nur etwa 1,50 Meter breiten Flur drängen und dabei Gefahr laufen, von jeder sich öffnenden Tür in die Rippen gestoßen zu werden, weil es keinen Warteraum gab. „Collisionen“ seien nur mit größter Vorsicht zu vermeiden, zumal selbst der Transport der Gefangenen über diesen Gang erfolgte.

Viel blamabler war jedoch, dass man beim Bau des Gebäudes eins vergessen hatte – eine Toilette! Carl Adolph von Eckenbrecher, Kreisgerichtsdirektor von 1822 bis 1865, von dem das oben erwähnte „Inventarium“ stammte, musste sich auch darum kümmern, „teils um in der Nähe des Gerichts vorhandene Ecken und Winkel reinzuhalten, aber auch um den in der Nähe wohnenden Personen schamverletzende Auftritte zu ersparen“. Pikant ist, dass die Baupläne des Gerichtsgebäudes schon lange vorher bei der Baudeputation in Berlin gelegen haben sollen. Landesbaudirektor war damals Karl Friedrich Schinkel, der bei einer Dienstreise auf Rügen am 3. August 1835 auch den Bauplatz für das Gerichtsgebäude besichtigte.

Abschließend ein Blick in den Südosten Rügens, nach Mönchgut. Hier legte 1608 bis 1610 der herzogliche Amtmann Joachim von Scheele (1565–1629) für seinen Freund und Gönner Herzog Philipp Julius II. von Pommern-Wolgast (1584–1625) fünfzehn Bauern und Kossaten des ehemals zum Besitz des Klosters Eldena gehörenden Dorfes Grotenhagen und machte aus ihren Höfen zunächst das „Fürstliche Ackerwerk Mönchgut“, aus dem nach 1815 das Domanialgut Philippshagen wurde. Aus einem handgezeichneten Plan des Heimatforschers Willy Karl David Dumrath (1888–1969) bestand das Gut Philippshagen unter anderem aus dem noch heute existierenden Gutshaus, einem Wagenschauer, dem Back- und Brauhaus, einem Käsehaus, mehreren Ställen und Scheunen und – hinter der Gerstenscheune – dem Gefängnis von Mönchgut. Dieses wurde 1673 als „ein rundgemauertes Gefängnis […] fertig von Steinen aus der Erde aufgemauert“ geschildert, „und hat ein rundes Loch von Brettern, wovon die Hälfte offen steht“. 1707 soll davon nur noch das bloße Mauerwerk vorhanden gewesen sein. Wenige Jahre später, 1726, soll der Pächter geklagt haben, das Gefängnis sei nun gänzlich verfallen und er habe nunmehr keine Zwangsmittel mehr, da Ermahnungen nichts helfen würden.