24. Jahrgang | Nummer 3 | 1. Februar 2021

Mit Wahnsinn und der lautesten Band nach Hammersmith

von Thomas Behlert

Wie kommt man als gelernter DDR-Bürger auf die Idee, sich mit Rezensionen, Geschichten und Romanteilen von Wolfgang Welt zu beschäftigen? Es begann gleich nach der Wende, als man selbst erste Schreibversuche an kleine Zeitungen des Ostens schickte. In jeder Kleinstadt wurden ehemalige Betriebszeitungen zu „Blättern der Revolution“ umfunktioniert und alle brauchten Material, um die Seiten zu füllen. Da der ostdeutsche Texter nun an die Tonträger aus der plötzlich weiten Welt kam, wurden ältere und neue Musikzeitungen studiert und sich erst einmal an deren Schreiberlingen orientiert.

Ich traf so auf Frank Schäfer, die Leute von Spex und eben Wolfgang Welt. Durch Letzteren erfuhr ich zum Beispiel, was hinter den Kulissen des WDR-Rockpalastes passierte. Unvoreingenommen hörten und sahen wir Ossis nämlich die Konzerte im Fernsehen und genossen die Zeit mit Blues, Rock und Punk bis in den nächsten Morgen. Doch endlich las ich, warum Moderator Alan Bangs, dessen Interviews mit betrunkenen oder sehr gut aufgelegten Musikern zu den Höhepunkten zählten, plötzlich nicht mehr bei der leider immer uninteressanter werdenden Veranstaltung vorkam. Dies ist jetzt wieder nachlesbar. Endlich gibt es ebenfalls die bösen Rezensionen über Heinz-Rudolf Kunze, Marius Müller-Westernhagen und Helen Schneider, von denen man bisher nur hinter vorgehaltener Hand hörte. Bei Frau Schneider stellte Welt während des Pressetermins eine kritische Frage und wurde gleich des Saales verwiesen. Das ist eine Geschichte, die ich so gerne erleben würde, doch die Musiker sind mittlerweile abgebrühter. Außerdem haben es die Journalisten aller Boulevardzeitungen nicht mehr so mit kritischen Fragen, weil sie wieder eingeladen werden möchten, die Zeitungen wegen der wegfallenden Anzeigen dies nicht abdrucken würden und keiner auf der schwarzen Liste stehen will.

Auch der DDR-Rockcombo City hat WW übrigens einige Worte auf den Weg zurück in den Osten mitgegeben. Er schrieb, dass deren Songs langweilige Schmachtfetzen seien und der Sänger nur wenig Begabung zeige.

Nun gibt es vom Autor Wolfgang Welt, der im Juni 2016 im Alter von 68 Jahren verstarb und zu Lebzeiten nie so gelobt und verehrt wurde wie nach seinem Tod, gleich zwei neue Sammelbände mit seinen Kritiken, spannenden Reportagen, Konzertberichten und Geschichten aus dem Leben. Unbedingt hervorgehoben werden muss der Text über seine Fahrt mit der lautesten Band der Welt, Motörhead, die an eine bürgerliche Kremserfahrt mit Alkoholgenuss erinnerte und den Autor ganz schön frustriert zurückließ. Alle Artikel über Musik sind im Band „Kein Schlaf bis Hammersmith“ vereinigt und stammen vorwiegend aus der Bochumer Stadtpostille Marabo, den Musikmagazinen Sounds und Musikexpress. Im Literaturband „Die Pannschüppe“ gibt es neben einigen Texten aus Zeitungen vor allem Geschichten und Erzählungen, die Wolfgang Welt bis zu seinem Tod geschrieben hat. So kann man sich am titelgebenden, leider nicht fertig gewordenen Roman erfreuen und ihn nach mehrmaligem Lesen sogar kapieren. Welt, der sich selbst als Star und „the next big thing“ bezeichnete, erkrankte im besten Alter psychisch und verdingte sich daher als Wachmann. Trotzdem schrieb er immer weiter. Über die Nachtsendungen der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten kam so die blanke Wahrheit ans Licht: dass die nämlich zu allen Zeiten stumpfsinnigen Pop spielen und das den Nachtarbeiter mit Niveau bis heute sich mit Grausen abwenden lässt.

Wolfgang Welts Texte enden nicht in der Kritik schlechter Musik, er lobte ausgiebig Klanggebilde und deren Macher, wenn Gutes und Hörenswertes entstand. Da er über unglaubliches Fachwissen verfügte, kauften ihm die Leser sofort die Wahrheit über die deutschen „Schlagermädchen“ ab, hatten keine Einwände über den Springsteen-Text und wussten genau, dass Welts Buddy-Holly-Stories absolut richtig und wegweisend sind. Genial ist die tiefsinnige Geschichte über ein Treffen mit Lou Reed, das gar nicht stattfand, aber dennoch einige Seiten füllte.

Wenn man zu Anfang seiner Karriere von ihm alles Wichtige und Unwichtige über die Musik erfuhr, konzentrierte er sich später auf das eigene Leben, berichtete ausführlich von den Tortouren durch die ewige Heimat Bochum mit den ehemaligen Bergarbeitersiedlungen („Wilhelmshöhe“) und den dunklen Kneipen.

Jungautoren, die wieder mal den ganzen Mist von oerdingforsterbentzkosingerzucker lobpreisen, sollten hier unbedingt verweilen und studieren, wie es auch anders und auf alle Fälle besser geht.

Wolfgang Welt: Kein Schlaf bis Hammersmith und andere Musiktexte. Herausgegeben von Martin Willems, Verlag Andreas Reiffer, Meine 2020, 368 Seiten, 20,00 Euro.

Wolfgang Welt: Die Pannschüppe und andere Geschichten und Literaturkritiken. Herausgegeben von Martin Willems, Verlag Andeas Reiffer, Meine 2020, 400 Seiten, 20,00 Euro.