24. Jahrgang | Nummer 1 | 4. Januar 2021

Nekrologe 2020*

von F.-B. Habel

In unserer kurzlebigen Zeit verliert man Menschen der Öffentlichkeit leicht aus den Augen, wenn sie ein paar Jahre zurückgezogener leben und sich plötzlich verabschieden. Gerade Persönlichkeiten, die in der DDR bekannt waren, werden dabei von den Medien nicht immer – oder oft nur mit einem Nebensatz – bedacht, wenn sie nicht mehr unter uns sind.

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In Westberlin an der Schauspielschule begonnen und ab 1961 in der DDR gearbeitet hat Katharina Rothärmel. Sie spielte manchmal größere Rollen, etwa 1975 im DFF neben Horst Drinda und Heinz Behrens in Alfonso Sastres Spanien-Drama „Im Netz“, meist aber Nebenrollen. In der Anfangssequenz des DEFA-Films „Sabine Wulff“ war sie eine sensible und kompetente Fürsorgerin. Man war dann sehr enttäuscht, dass sie im weiteren Filmverlauf keine Rolle mehr spielte. Sie war eine gesuchte Sprecherin und schrieb selbst Hörspiele sowie einige Erzählungen. Im August starb sie mit 81 Jahren.

Das seltene Beispiel einer englischen Schauspielerin, die fast nur aus dem Fernsehen der DDR bekannt war, ist die in Coventry aufgewachsene Valerie Lester. Ab 1966 war sie mehr als ein Dutzend Jahre lang regelmäßiger Gast auf den Bildschirmen. Sie war die Peggy in der von Diana Loeser moderierten Sendereihe des Bildungsfernsehens „English for you“. Als Muttersprachlerin stellte sie in Sketchen mit ihrem Partner Tom (Alan Clarke) Alltagsepisoden, auch soziale und gewerkschaftliche Probleme vor. Als Schauspielschulabsolventin war sie in die DDR gereist, weil sie das Leben hinter dem „Eisernen Vorhang“ kennenlernen wollte, und kam mit Fernsehleuten in Kontakt. Noch in den sechziger Jahren ging sie zurück, heiratete einen Parteisekretär der britischen Communist Party und bekam einen Sohn. Nach schweren Schicksalsschlägen änderte sie 1995, mit 50 Jahren, ihr Leben und zog nach Buenos Aires, wo sie bis zur Rente als Englischlehrerin arbeitete, womit sich quasi ein Kreis schloss. Im August holte sie mit 75 Jahren der Krebs.

Relativ selten nur im Fernsehen, aber als Kabarett-Star auf der Bühne war Ursula Schmitter überwältigend. Seit 1955 galt die Leipziger Pfeffermühle als ihr Stammhaus. Auch mit Soloprogrammen, die sie durch die gesamte DDR führten, hatte sie großen Erfolg. Sie trug die Klassiker von Friedrich Hollaender und Rudolf Nelson vor und hatte zugleich ein großes modernes Repertoire mit Texten von Hildegard Maria Rauchfuß und der Musik ihres Mannes Gerd Holger. Auf Schallplatten und im Rundfunk hörte man sie ebenfalls. Zu Gast war die Schmitter bis in die letzten Jahre immer mal wieder bei den Pfeffermüllern und starb Ende September mit 96 Jahren in einem Bornaer Krankenhaus.

Im Radio begegnete Ursula Schmitter Juergen Schulz, der im DDR-Fernsehen durch seine boulevardeske Reihe „Auf eine runde halbe Stunde“ bekannt war und überdies viele andere Sendungen als Redakteur und Moderator betreute. Der gebürtige Ostpreuße hatte in Neubrandenburg als Radiomoderator gelebt (und war dort mit Brigitte Reimann befreundet), bevor er 1974 zum Sender Halle wechselte und dort auch der Fernsehfunk auf ihn aufmerksam wurde. Im MDR-Hörfunk (gleichfalls im Fernsehen) moderierte er mit seiner sonoren Stimme bis in die letzten Jahre beliebte Programme. Im 77. Lebensjahr hat er sich im Juni für immer verabschiedet.

Die Schar der DDR-Unterhalter, die Juergen Schulz vor Mikrofon und Kamera präsentierte, ist Legion. Auch Peter Wieland, der mit bürgerlichem Namen Ralf Sauer hieß, war dabei. Der Sänger wollte eigentlich im Sommer mit vielen Star-Gästen seinen 90. Geburtstag auf der Bühne des Friedrichstadtpalasts feiern. Das wurde nicht nur durch die grassierende Pandemie vereitelt, sondern vor allem durch seinen Tod im März. Der Bariton, der mit Mitte 20 bei einem Gesangswettbewerb in Leipzig entdeckt wurde, sang zunächst Oper, später Operette und vor allem Musical. Er trat im Fernsehen auf, hatte eine eigene Radio-Show und wirkte als Pädagoge. Seine Schülerin Dagmar Frederic wurde nicht nur seine Duett-Partnerin, sondern bis 1983 zugleich seine Ehefrau. Auch nach der Trennung blieben sie freundschaftlich verbunden.

Bei Wielands späten Auftritten, etwa als Kaiser Franz Josef „Im Weißen Rössl“ bei den Elblandfestspielen in Wittenberge, sang er unter Stabführung von GMD Manfred Rosenberg. Dieser hatte seine Theaterlaufbahn als Kapellmeister in Schwerin begonnen. Überregionale Bedeutung erlangte er, als er 1972 die Leitung des DEFA-Sinfonieorchesters übernahm. Ihn reizte die Vielseitigkeit, die ihn als Dirigenten und Arrangeur forderte, denn nicht nur sinfonische Musik war hier gefragt. Schon sein erster Film – „Die Legende von Paul und Paula“ – lebte von der Rockmusik. Rosenberg begleitete Indianerfilme der siebziger Jahre, entwickelte 1982/83 gemeinsam mit dem Komponisten Peter Rabenalt das Musical „Zille und ick“, und auch der Kultfilm nach Friedrich Wolf „Die Weihnachtsgans Auguste“ (1988) entstand unter seiner musikalischen Leitung. Im Juni starb er nach längerer Krankheit.

Die Musik von Gunther Erdmann, der häufig für und mit Kindern arbeitete, dirigierte Rosenberg in dem Kinderfilm „Die Schüsse der Arche Noah“, der deutsche Geschichte durch Annäherung von Symbolen der Arbeiterbewegung und des Christentums für Kinder verständlich und zugleich phantasievoll darstellte. Dass der Film von Egon Schlegel und Peter Abraham so eingängig, verständlich und zugleich poetisch war, ist auch der Dramaturgin Erika Richter zu verdanken, die im Sommer mit 82 Jahren starb. Sie hatte erst in Babelsberg und danach in Moskau studiert, und lebte mit ihrem Mann, dem 1992 verstorbenen Filmwissenschaftler Rolf Richter, zwei Jahre lang in Kairo. Bücher und Aufsätze über den arabischen und afrikanischen Film waren das Ergebnis. Als Publizistin wirkte sie auch ab 1991, als sie die DDR-Zeitschrift Film und Fernsehen übernahm und zur Aufarbeitung der Kulturgeschichte der DDR einen großen Beitrag leistete. Bleiben werden aber vor allem ihre Filme, um deren Zustandekommen sie an der Seite von Autoren und Regisseuren oft kämpfen musste – etwa bei Rainer Simons „Jadup und Boel“ von 1981, der erst 1988 aufgeführt werden durfte, bei Evelyn Schmidts „Das Fahrrad“, der im eigenen Lande erst Anerkennung fand, nachdem das ZDF ihn sendete, oder bei Heiner Carows „Coming out“, in dem erstmals in der DDR ein homosexuelles Paar im Mittelpunkt stand.

Ein bedeutender Theaterdramaturg starb bereits im Januar kurz vor Vollendung des 89. Lebensjahrs. Maik Hamburger wuchs als Sohn von Ruth Werner (und Neffe von Jürgen Kuczynski) unteranderem in China und Großbritannien auf. Er wirkte jahrzehntelang am Deutschen Theater Berlin als Dramaturg, gelegentlich auch Regisseur, und übersetzte 15 Shakespeare-Stücke neu, aber auch Arthur Miller, Tennessee Williams und Sean O’Casey. Langjährig wirkte er als Vizepräsident der deutschen Shakespeare-Gesellschaft.

Nicht aller Verstorbenen kann hier gleichermaßen gedacht werden. Einige wurden ja breit in den Medien gewürdigt – erinnert sei an Ernst-Georg Schwill, Otto Mellies, Renate Krößner, Jürgen Holtz, Michael Gwisdek und Günter de Bruyn.

Nicht vergessen werden sollte aber auch Jochen Mückenberger, der 94 Jahre alt wurde. Er war fünf Jahre lang Generaldirektor der DEFA, bevor er 1966 in Ungnade fiel. Später wirkte er als Chef der Staatlichen Schlösser und Gärten in Potsdam-Sanssouci und beförderte nicht zuletzt die Errichtung des Potsdamer Filmmuseums. – Erinnert sei an den Blues-Bassisten „Speiche“, der viele Jahre lang das Profil der Band „Monokel“ prägte, eigentlich Jörg Schütze hieß und mit 73 starb. – Ein zu wenig gewürdigter Beruf, der doch viel künstlerisches Einfühlungsvermögen erfordert, ist der des Toningenieurs. Als solcher war Christfried Sobczyk, der im 85. Lebensjahr starb, an mehr als 75 Filmen beteiligt, wobei er sich besonders als Mischtonmeister mit Filmen und Serien wie „Das unsichtbare Visier“, „Die Frau und der Fremde“, „Sachsens Glanz und Preußens Gloria“ und nicht zuletzt mit der „Weihnachtsgans Auguste“ besondere Meriten erwarb. – Schon in jungen Jahren wurde die Kostümbildnerin Christine Stromberg Direktorin der Zentralen Kostümwerkstätten der Berliner Staatstheater, arbeitete mit Regiegrößen wie Erich Engel, Adolf Dresen, Manfred Wekwerth und Friedo Solter im In- und Ausland, gab Schauspielern wie Wolf Kaiser, Anthony Hopkins (1986 als Lear am Olivier Theatre in London) oder Ulrich Mühe die passenden Kostüme in großen Inszenierungen, auch beim Musiktheater. Sie wurde 92 Jahre alt. – Eine seiner schönsten Rollen war die des Milchmanns Tewje in „Anatevka“. Hans Recknagel war ein gestandener Sänger und Komödiant, der dem Berliner Metropol-Theater treu blieb, solange es existierte. Gelegentlich sah man ihn auch im Fernsehen, beispielsweise im Schwank von den „Drei reizenden Schwestern“. Er starb jetzt mit 89 Jahren. – Ein großer Bühnenmusiker am Berliner Ensemble und an der Volksbühne, der auch viel fürs Fernsehen schrieb, war der Komponist Henry Krtschil, der im 88. Lebensjahr starb. Er war eine Zeitlang Klavierbegleiter von Gisela May, für die er Texte von Kästner, Brecht und Tucholsky vertonte. – Einer war die Mitte der Puhdys, nämlich Harry Jeske, der dem Bandnamen das „h“ gab. Der E-Bassist gehörte von Beginn an dazu und blieb bis 1997 dabei, als er sich zugunsten seiner Gesundheit in den Ruhestand verabschiedete. Er wurde 82 Jahre alt. – Bekannt als Musikjournalist und Moderator (so bei Louis Armstrongs DDR-Tournee), aber auch als Jazz-Schlagzeuger war Karlheinz Drechsel, der zu den Mitbegründern des Dresdner Dixielandfestivals zählte. Mehr als drei Jahrzehnte lang moderierte er höchst wissensreich das Jazz Panorama im Deutschlandsender. In seiner Wahlheimat Berlin starb der Dresdner kurz vorm 90. Geburtstag an einer COVID-19-Infektion. – Mit Werner Klemke und Arno Mohr hatte der Student Volker Pfüller in Berlin-Weißensee die besten Lehrer, die man sich wünschen konnte. Er wurde einer der wichtigen deutschen Grafiker und Bühnenbildner, der ebenfalls Bücher illustrierte und vielfach ausgezeichnete Plakate schuf. Er wurde 81 Jahre alt. – Die Schriftstellerin und Hochschullehrerin Brigitte Thurm wurde 88. Wer sich in der DDR seit den sechziger Jahren für Theater und Literatur interessierte, hatte mindestens drei Bücher von ihr im Regal, denn sie war (gemeinsam mit Karl-Heinz Berger) Herausgeberin und Autorin des dreibändigen Schauspielführers aus dem Henschelverlag. Neben theaterwissenschaftlichen Schriften hat sie auch Prosa und Lyrik geschrieben.

Zum Schluss noch eine Erinnerung an zwei Theater- und Filmkünstler aus Osteuropa, die in der DDR vielen bekannt waren. Als „Limonaden-Joe“ glänzte Karel Fiala Mitte der sechziger Jahre in einer tschechoslowakischen Western-Parodie. Knapp zehn Jahre später übernahm er neben Chris Doerk und Frank Schöbel eine Hauptrolle als von Frauen umschwärmter Bürgermeister in dem DEFA-Musical „Nicht schummeln, Liebling“ . Er starb im Oktober in Prag mit 95 Jahren.

Den hervorragenden Charakterschauspieler Nikolai Gubenko kannte das Publikum aus Filmen wie der Turgenjew-Adaption „Ein Adelsnest“ oder als Partner von Inna Tschurikowa in „Ich bitte ums Wort“. In „Ein Soldat kehrt von der Front zurück“ führte er erstmals in einem Film Regie. Als Regisseur arbeitete er am Neuen Theater an der Taganka in Moskau, das er als Intendant leitete. Seinen ersten großen Bühnenauftritt verschaffte ihm vor über 50 Jahren sein deutscher Kommilitone Siegfried Kühn mit der Titelrolle in Brechts „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“. Gubenko, der unter Gorbatschow auch zwei Jahre lang Kulturminister der Sowjetunion war, holte Kühn (der mit Filmen wie „Die Schauspielerin“ mit Corinna Harfouch ein erfolgreicher DEFA-Regisseur geworden war) an sein Haus, um den „Ui“ mit jungen Leuten zu inszenieren. Nach Ausbruch der Pandemie wurde die Arbeit schwierig. Kühn inszenierte in Absprache mit Gubenko auf digitalem Wege. Dass das Stück im Herbst tatsächlich Premiere hatte, hat der Intendant nicht mehr erlebt. Nikolai Gubenko starb im Sommer am Tag vor seinem 79. Geburtstag. Seine großen Filme werden bleiben.

* – Teil I dieses Beitrages ist in Nr. 26/2020 erschienen.