In unserer kurzlebigen Zeit verliert man Menschen der Öffentlichkeit leicht aus den Augen, wenn sie ein paar Jahre zurückgezogener leben und sich plötzlich verabschieden. Gerade Persönlichkeiten, die in der DDR bekannt waren, werden dabei von den Medien nicht immer – oder oft nur mit einem Nebensatz – bedacht, wenn sie nicht mehr unter uns sind.
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So hat auch die Blättchen-Redaktion mit Erschrecken feststellen müssen, dass sich Günther Drommer im September 79-jährig für immer verabschiedet hat. Bis vor zehn Jahren hat er dem Blättchen so manchen feinsinnigen, von großer Geschichtskenntnis getragenen Beitrag geliefert, auch zu Erwin Strittmatter, über dessen Verstrickungen in Kriegshandlungen er ein heiß diskutiertes Buch geschrieben hat. In der DDR war Drommer Lektor im Hinstorff- und Aufbau-Verlag („als der seinen Namen noch zu Recht trug“), betreute auch wenig linientreue Autoren wie Klaus Schlesinger und Martin Stade. Von der Staatssicherheit wurde ihm eine „schwankende politische Einstellung“ bescheinigt. Bleiben wird von ihm neben vielem anderen die mehrbändige, von ihm klug kommentierte Fotogeschichte vom Alltag des deutschen Volkes.
Im selben Monat starb kurz vor seinem 90. Geburtstag der Aphoristiker und Epigrammatiker Gerd W. Heyse, ein eingefleischter Erfurter. Er war ursprünglich Steuerberater, schickte seine Einfälle an verschiedene Zeitungen und Zeitschriften, abgedruckt in der Weltbühne (hier auch unter dem Pseudonym „Ernst Heiter“), im Eulenspiegel und dem Magazin. „Wenn es bei uns keine großen Kartoffeln mehr gibt, dann doch eindeutig nur, weil wir schon längst keine dummen Bauern mehr haben.“ Seine Aphorismen waren oft subtil. Jeder wusste, was gemeint war, aber man konnte dem Autor nicht am Zeuge flicken. Bisweilen hatte Heyse wohl auch sich selbst im Auge: „Der lachende Dritte ist oftmals nur aus Verzweiflung lustig.“
Eine heitere Schriftstellerin, aber mit pädagogischen Ambitionen war die Kinderbuchautorin Ursula Werner-Böhnke (in zweiter Ehe Böhnke-Kuckhoff), die im August mit 93 Jahren starb und bis ins hohe Alter noch als Bloggerin aktiv blieb. 1956/57 erfand sie die Kinderfigur „Bummi“, einen gelben Teddybär, der einer Zeitschrift ihren Namen gab. Beide – Teddy wie Zeitschrift – zählen heute zu den wenigen, die die DDR überlebt haben. Und Ursula Werner-Böhnke hat auch das vielgesungene Bummi-Lied geschrieben!
Zu den Zeichnern, die das Vorschulmagazin Bummi belieferten, zählte zeitweilig auch Horst Alisch, der allerdings ungleich mehr für Frösi (Fröhlich sein und singen) arbeitete. Für dieses Magazin, das für die Pioniere gedacht war, erfand er sowohl die populäre Elefantendame Emmy, die als Werbefigur für die Altstofferfassung gebraucht wurde, als auch Ali und Archibald, die als Hund und Herr in 273 Folgen einer Comicstrip-Serie agierten. Der Berliner zeichnete 30 Jahre lang für die Boulevardzeitung BZ am Abend, desgleichen für den Eulenspiegel, das Jugendmagazin Neues Leben und viele andere Presseorgane. Auch nach 1990 legte er sich nicht auf die faule Haut, gründete einen Verlag und zeichnete, allerdings mit immer mehr Mühe, bis ihm mit knapp 95 der Stift quasi aus der Hand fiel. Das war im Januar 2020.
Alisch hatte sich noch vor Kriegsende als Zeichner bei einer Werbefilmfirma beworben. Die Werbe-Laufbahn mag auch Erich Gusko vorgeschwebt haben, als er nach dem Krieg bei der Dresdner Kurzfilmfirma Boehner-Film begann, die bald schon für die DEFA arbeiten sollte. Hier startete er seine Laufbahn 1950 mit dem Film „Brandschutz ist Ernteschutz“, drehte im Spielfilmstudio von 1955 bis 1958 zwei Dutzend Kurzfilme der satirischen Serie „Das Stacheltier“ und arbeitete sich mit seiner hervorragenden Arbeit hoch zum Kameramann des damaligen DEFA-„Gottes“ Kurt Maetzig. Beider Film „Das Kaninchen bin ich“ über die Rechtspflege in der DDR wurde auf dem 11. SED-Plenum 1965/66 verboten. 1970 begann die zwei Jahrzehnte währende Partnerschaft mit Regisseur Egon Günther, in der Filme wie „Der Dritte“ und „Die Schlüssel“ entstanden. Daran gewohnt, auch improvisieren zu können, brachte ihn dann doch einmal eine Schauspielerin aus dem Konzept. In Günthers Thomas Mann-Adaption „Lotte in Weimar“ stand Lilli Palmer vor Guskos Kamera und bestimmte, wie das Licht zu setzen sei. Der Weltstar hatte genaue Vorstellungen davon, wie ihr Gesicht am besten zur Geltung käme. Gusko, der sich im Oktober mit 90 Jahren verabschiedete, hat uns ein großes Werk hinterlassen.
Verfilmungen halten auch das Werk von Horst Beseler lebendig. Der Berliner, der schon seit 1952 bei Güstrow lebte, schrieb den Jugendroman „Käuzchenkuhle“, der anhand von kindlichen Ferienabenteuern geschickt Momente der nationalsozialistischen Geschichte mit dem Alltag der damaligen Gegenwart verknüpfte. Der Roman wurde 1968 verfilmt. Viele andere Bücher schrieb Beseler gemeinsam mit seiner Frau, der Fotografin Edith Rimkus, die 2016 knapp 90-jährig starb. Beseler folgte ihr in diesem Oktober mit 95 Jahren.
Aus Beselers Buch „Tiefer blauer Schnee“ wurde 1981 ein Film fürs Fernsehen. Ihn inszenierte Fred Noczynski, der im Juni mit 80 Jahren gestorben ist. Er war ein Spezialist für Kinderstoffe, die er einfühlsam umsetzte. Sein letzter, 1991 erschienener DFF-Film war etwas ganz Besonderes: „Die Sprache der Vögel“ – ein sensibler, zu Herzen gehender Streifen über einen Jungen, der mit dem Tod des geliebten Großvaters umgehen muss. Den spielte eindrucksvoll Kurt Böwe. Ein Film über den Tod als Hohelied auf das Leben.
Tote im Fernsehen – „Sujet“ für einen Regisseur, der auch mit Serien wie „Neumanns Geschichten“ und „Luv und Lee“ Erfolg hatte. In erster Linie aber war Hans Joachim Hildebrandt Krimi-Spezialist. Schon vor der bundesdeutschen Edgar-Wallace-Serie avancierte er zum Altmeister im DDR-Fernsehen, drehte 15 Folgen „Blaulicht“ und 20 Folgen der Nachfolge-Reihe „Polizeiruf 110“. Als seinen wichtigsten Film sah er hier den Zweiteiler „Schwere Jahre“ an, in dem er Ereignisse der Nachkriegszeit, die er so ähnlich selbst erlebt hatte, mit der Gegenwart zusammenführte. Zu Beginn seiner beruflichen Vita volontierte er am Theater seiner Heimatstadt Magdeburg, war Reporter beim damaligen MDR-Hörfunk, wechselte zum Berliner Rundfunk und kam schnell zum gerade gegründeten Fernsehfunk. An seinem 91. Geburtstag gab die Familie im September bekannt, dass er nach kurzer Krankheit gestorben ist.
Ebenfalls kurz vorm 91. Geburtstag starb im September Regisseur Joachim Kunert, der der DEFA mit der aufwendigen Romanverfilmung „Die Abenteuer des Werner Holt“ 1965 einen Welterfolg verschaffte. Kunert war der letzte Zeitzeuge der DEFA-Gründungsjahre, kam er doch schon 1947 als Volontär zum Film. Nach dem „Werner Holt“-Erfolg wurde er Spezialist für Stoffe von Anna Seghers. „Die große Reise der Agathe Schweigert“ mit Helga Göring und „Das Schilfrohr“ mit Walfriede Schmitt entstanden, nachdem er zum Fernsehfunk gewechselt war, wo er unter anderem auch Filme über „Berühmte Ärzte der Charité“ drehte und im Siebenteiler „Die gläserne Fackel“ Geschichten um die Firma Carl Zeiss Jena erzählte. Ab 1990 lebte er zurückgezogen.
Als Quereinsteiger nach einem Ingenieursstudium kam zu Beginn der sechziger Jahre Günter Lippmann zum Filmemachen, erst im oft kritischen DFF-Magazin „Prisma“. Nach einem Zusatzstudium wurde er Dokumentarfilmregisseur bei der DEFA. Hier konnte er seit den achtziger Jahren einige kritisch-analytische Filme zu ökologischen Problemen drehen, die im Ausland Preise gewannen, aber im Inland von Partei und Regierung eher mit Hassliebe gesehen wurden. Auch nach Ende der DDR konnte er seinem ökologischen Ansatz mit mehreren Filmen treu bleiben. Er starb im März, 83-jährig.
Herbert Köfer, ältester aktiver Schauspieler der Welt, schrieb im Oktober auf seiner Facebook-Seite, dass er gehofft habe, im kommenden Jahr nicht nur seinen 100. Geburtstag, sondern auch den seines vielfachen Regisseurs Rudi Kurz zu feiern. Kurz hat es nicht mehr abgewartet und wurde 99. Der gebürtige Ludwigshafener fuhr 1938 viele Kilometer mit dem Fahrrad zum Nürburgring, um ein Rennen mit seinem Idol Manfred von Brauchitsch zu sehen. So war es ihm fast 30 Jahre später eine besondere Erfüllung, dass er Brauchitschs ungewöhnliches Leben in dem Fünfteiler „Ohne Kampf kein Sieg“ zeigen konnte, der ein „Straßenfeger“ wurde. Er hat vielgesehene Fernsehfilme über die Antifaschisten Hans Beimler, Artur Becker und Ernst Schneller gedreht.
In Rudi Kurz’ Serien „Archiv des Todes“ und „Front ohne Gnade“, wie auch in Hans Joachim Hildebrandts „Polizeiruf“-Film „Still wie die Nacht“ spielte Frank Schenk (der später seinen vollen Namen Frank-Otto Schenk verwendete). Mit Mitte 20 war er ein Publikumsliebling, etwa als Sohn des Helden in dem Gegenwartsfilm „Zeit zu leben“ oder als Neffe der von Friedel Nowack gespielten Witwe Bärenburg in der Serie „Die lieben Mitmenschen“. Mehrfach spielte er in Heiner Carows Filmen, so als der undurchsichtige Kollege Schmidt im Kultfilm „Die Legende von Paul und Paula“. Später wirkte er vorrangig im Synchronstudio und nahm 2019 mit einer Gastrolle der Serie „SOKO Wismar“ Abschied vom Bildschirm. Im März starb er mit 76 Jahren.
Mit nur 71 ereilte ebenfalls im März die Schauspielerin Anne-Kathrein Kretzschmar der Herztod. Sie hatte eine frühe, aber kurze Karriere hinter sich. Schon mit 17 Jahren debütierte sie neben Peter Reusse in der weiblichen Hauptrolle von „Denk bloß nicht, ich heule“, der zu den Filmen gehörte, die nach dem verhängnisvollen 11. Plenum der SED ab 1966 für 23 Jahre „auf Eis“ gelegt wurden. Auch ihr etwa gleichzeitig entstandener Film „Karla“ war davon betroffen. In mehr als einem Dutzend Filmen und Serien wirkte sie bis Ende der siebziger Jahre mit, ehe sie sich nach Heirat mit Kammersänger Gunther Emmerlich weitgehend aus dem Beruf zurückzog. Nur 1992 kehrte sie noch einmal als zweite Frau May in der biografischen ZDF-Serie „Karl May“ neben Henry Hübchen auf den Bildschirm zurück.
Die Düsseldorferin Eva Kotthaus hatte in München Schauspiel studiert und arbeitete Mitte der fünfziger Jahre an Theatern im Osten Berlins. Bei der DEFA spielte sie Hauptrollen neben Rudolf H. Krieg, den sie heiratete, so in der Fritz Reuter-Verfilmung „Kein Hüsung“, und neben Hans-Peter Minetti in dem Märchenfilm „Der Teufel vom Mühlenberg“. Helmut Käutner holte sie im Westen vor die Kamera und stellte sie in „Himmel ohne Sterne“ heraus, einer Familientragödie an der deutsch-deutschen Grenze. Als sie drei Jahre später in „Jahrgang21“, einer Koproduktion DDR/ČSSR, eine Hauptrolle übernahm, geriet sie politisch in die Kritik. Als Sprachrohr der Partei fragte der damalige Filmkritiker Karl-Eduard von Schnitzler im Filmspiegel, „ob von der DEFA ausgerechnet für einen Film, der der Völkerverständigung dienen soll, eine Schauspielerin empfohlen werden mußte, die für ihre Mitwirkung in einem westdeutschen Film, der unsere Republik verzerrt darstellte und der Verständigung äußerst abträglich war, aus den Händen von Innenminister Schröder den ‚Bundesfilmpreis‘ erhalten hat.“ Fortan spielte Eva Kotthaus nur noch im Westen, auch im Fernsehen in so populären Serien wie „Derrick“ und „Der Alte“. Sie starb im April mit 88 Jahren.
Dass er sich „zu ausschließlich auf sein schönes Profil und seine sorgfältig ausgeleuchteten blonden Haare verläßt“, monierte Schnitzler 1957, als Horst Schön sein Filmdebüt bei der DEFA in „Polonia-Express“ gab, einer spannenden Geschichte aus der deutschen Arbeiterbewegung. In der Folgezeit spielte der an der Volksbühne engagierte Schauspieler mehrfach Kriminalisten oder trat in Indianerfilmen auf. Krimirollen blieben ihm auch, als er nach dramatischer Flucht 1975 in den Westen wechselte, wo er beispielsweise Heinz Draches Vorgesetzten im Berliner „Tatort“ spielte und ansonsten viele Synchronarbeiten übernahm. Im November verließ er uns im 94. Lebensjahr.
Wird fortgesetzt.
Schlagwörter: F.-B. Habel, Nekrologe 2020