23. Jahrgang | Nummer 20 | 28. September 2020

Strasbourg – Musée des Beaux-Arts

von Clemens Fischer, zz. Strasbourg

Wer mit touristischem Vorsatz der Elsass-Metropole Strasbourg einen Besuch abstattet, der wird natürlich das weltberühmte eintürmige Münster an der Place de la Cathédral aufsuchen, eines der herausragenden Bauwerke der Gotik in Europa. Am besten um 12.30 Uhr, wenn sich das Figurenspiel der aus der Renaissance stammenden Astronomischen Uhr im Inneren des Gotteshauses, die zu den Hauptattraktionen dieser Kathedrale zählt, in Bewegung setzt. (Achtung: an Sonn- und Feiertagen keine Vorführung!) Danach erwartet den Besucher sofort die nächste Attraktion – direkt vis-à-vis der Kathedrale: das Haus Kammerzell, dessen steinernes Erdgeschoss noch aus dem Jahre 1467 stammt. Darüber hat der Käsehändler Martin Braun, der das Gebäude 1571 erwarb, ab 1585 jene drei auskragenden Fachwerketagen sowie drei hölzerne Dachgeschosse errichten lassen, die das Ensemble zum heute schönsten Haus der Stadt machten. Von da aus ist es nur ein Katzensprung bis zur pittoresken Altstadt von Strasbourg, dem Viertel „Petite France“ („Kleinfrankreich“), wo früher Fischer, Müller und Gerber ihre Werkstätten und Domizile hatten – eine Ansammlung herrlicher Fachwerkhäuser mit steilen Dächern, einst zum Teil mit offenen Dachböden. Zum Trocknen von Leder.

Doch wer von der Place de la Cathédral bis „Petite France“ gelangt ist, der hat – zumal als Liebhaber europäischer Malerei vom Spätmittelalter bis ins 19. Jahrhundert – einen Sammlungsort schon verpasst, den zwar selbst die Tourismusinformationen Strasbourgs im Internet unverständlicherweise unterschlagen, der aber höchst Sehenswertes in seinen Mauern birgt: das direkt neben dem Münster gelegene Palais Rohan. Dieses bedeutendste architektonische Zeugnis des regionalen Barocks beherbergt neben dem archäologischen und dem Kunstgewerbemuseum der Stadt auch jenes der Schönen Künste (Musée des Beaux-Arts), dessen Sammlung 500 Jahre europäischer Malerei umfasst.

Zwar hängen in den Räumen dieses Palais von Raffael keine Sixtinische Madonna, von Tizian keine Schlummernde Venus, von Goya keine Nackte Maya und auch von Courbet keine Steinklopfer, doch sind alle diese Großmeister in Strasbourg vertreten. Mit weniger bekannten Werken, die zu entdecken seinen eigenen Reiz hat. Zumal die Sammlung darüber hinaus die flämischen Barock-Genies Rubens und van Dyck aufzuweisen hat, spanische Meister wie Zurbarán und El Greco, italienische Kollegen Raffaels und Tizians wie Tintoretto und Veronese … Einen besonderen Schwerpunkt der Sammlung bilden niederländische Stillleben mit einem großartigen „Johannisbeerkuchen“ von Willem Claez Heda als Höhepunkt.

Das Prunkstück im Musée des Beaux-Arts von Strasbourg allerdings ist ein aus drei beidseitig bemalten Miniaturtafeln – jeweils lediglich 20 mal 13 Zentimeter messend – bestehendes Polyptichon der irdischen Eitelkeit und der himmlischen Erlösung von Hans Memling, der, wenngleich deutscher Herkunft, Ende des 15. Jahrhunderts in Brügge gewirkt hat. Den Autor am stärksten beeindruckt hat schließlich das Porträt eines Humanisten des Flamen Quentin Metsys, der neben Hans Holbein dem Jüngeren, Tizian und anderen zur ersten Garnitur meisterlicher Renaissance-Porträtisten zu zählen sein dürfte. Obwohl er heutigem Publikum wohl eher durch seine Hässliche Herzogin oder ähnliche Sujets mit grotesken Zügen bekannt ist.

Bemerkenswert im Musée des Beaux-Arts ist nicht zuletzt die unaufdringliche, aber höchst informative, teils ausgesprochen originelle museumspädagogische Begleitung der Dauerausstellung. Da wird unter anderem mitgeteilt, dass die heutige museale Präsentation von Gemälden diese völlig von ihrer ursprünglichen Zweckbestimmung und aus ihrem historischen Entstehungs- und Darbietungskontext löse, wozu das Publikum Informationen, soweit sie denn vorliegen, in der Regel auch nicht erhalte. Welche „Verfremdung“ dadurch eintritt, ohne dass sie überhaupt realisiert werden könnte, macht die Ausstellung anhand des Werkes eines unbekannten Renaissance-Künstlers deutlich, das einst zum Deckendekor einer Apotheke gehörte und heute normalerweise in museumsüblicher Wandhängung gezeigt würde. Im Musée des Beaux-Arts ist das Gemälde an der Decke angebracht – mit stilisierten Apotheken-Accessoires an den Wänden darunter …

Dass im Übrigen die zugehörigen kunsthistorischen Begleittexte in diesem Museum außer in Französisch und Englisch in Deutsch zu lesen sind, erhöht das Museumserlebnis für weniger polyglotte Besucher wie den Autor zusätzlich.

Palais Rohan, Musée des Beaux-Arts, 2, Place du Château, Strasbourg; täglich außer dienstags, 10.00 bis 18.00 Uhr.