23. Jahrgang | Nummer 17 | 17. August 2020

Cap de Creus

von Jürgen Brauerhoch

Wer Spanien hört, denkt zuallererst an die Kanaren und Balearen, allen voran Mallorca, wo die Touristenzahlen (und die Preise für Grundstücke und Häuser) in den Himmel wachsen. Daran hat auch eine mehrjährige Werbekampampagne für das „andere, das grüne Spanien“ wenig ändern können.

Doch auch dieses gibt es – gleich hinter Frankreich mit seinen berühmten „Malerorten“ wie Collioure und Banyules fängt es an, und noch in den 1970er Jahren war dieser einmalig schöne Landstrich nahe Gerona in Gefahr, genauso verbaut und überlaufen zu werden wie später die Costa del Sol mit ihren Bettenburgen. Wer die „costa brava“, die wilde Küste, kennt, vor allem ihren dramatischen Beginn ab der französischen Grenze bis kurz vor Roses, wo sich die Ferienhäuser wieder auftürmen, ist von ganzem Herzen dankbar dafür, dass sie nicht ganz so begehrt ist wie Andalusien oder die Inseln.

Die nördliche Costa Brava und ihr absoluter Höhepunkt – das Cap de Creus – gehören (wie übrigens auch Mallorca!) zu Katalonien, das seit 1979 – von Madrid weitgehend unabhängig – von der „Generalitat“ in Barcelona verwaltet wird und seine Eigenarten manchmal geradezu verbissen herausstreicht, allem voran in der Sprache. Hier wird Catalá und nicht Castellano (meint: spanisch!) gesprochen. Alles Amtliche bis zur Rechnung der (spanischen!) Telefónica wird zweisprachig dargestellt, bis hin zu den Orts- und Straßenschildern. So haben es die Katalanen (davon gibt es immerhin 6 Millionen, also etwa so viele wie die Schweizer), geschafft, dass es selbst in den Fahrplänen der Deutschen Bundesbahn nicht Figueras oder Gerona heißt, sondern auf catalá Figueres und Girona!

Kurz vor Perpignan schält sich der Riegel der Pyrenäen aus dem Dunst, und jedesmal muss ich an das köstliche Buch des portugiesischen Nobelpreisträgers José Saramago „Das steinerne Floß“ denken, der die iberische Halbinsel hier von Europa abtrennt und als richtige Insel um die eigene Achse rotieren lässt! Weniger gute Gedanken überfallen mich bei der Einfahrt in die spanische Grenzstation Port Bou. Wie muss es den Emigranten aus dem „Dritten Reich“ zumute gewesen sein, die in dieser riesigen, geradezu unmenschlichen Bahnhofshalle auf die Weiterfahrt gewartet haben, nachdem sie die strapaziöse Flucht durchs Gebirge aus dem deutsch kontrollierten Südfrankreich geschafft hatten. Der vor den Nazis flüchtende Schriftsteller Walter Benjamin setzte seinem, wie er meinte, aussichtslosen Leben hier ein Ende. Eine würdige Gedenkstätte direkt überm Meer erinnert daran.

Zum Glück lenkt die geradezu abenteuerliche Autofahrt entlang der hier wildesten Costa Brava über steile Gebirgspässe, immer wieder das tiefblaue Meer vor Augen, von dumpfen Gedanken ab, verlangt volle Aufmerksamkeit in ihren hunderten von Kurven und Kehren, bis man, vorbei an einigen wenigen Badestränden, das noch immer adrette Port de la Selva erreicht. Hier beginnt nach einem Café con lêche – frisch gemahlen und gebrüht – die Fahrt ins Innere, hinauf auf die Nordseite durch nach einem heißen, trockenen Sommer noch immer tiefgrüne Pinienhaine, durch kahlen Fels und wieder ans Meer hinunter nach Cadaques.

Dieser authentische Fischerort, durch Dali berühmt geworden, hat trotz saisonalem Rummel seinen anheimelnd-malerischen Charakter nicht verloren, vor allem wohl deshalb, weil die zur beherrschenden Kirche hinaufziehenden Gässchen zu eng für Autos und die Badestrände dünn gesät sind. Kurz vor der Einfahrt nach Cadaques taucht zum ersten Mal der Name „Cap de Creus“ auf einem Hinweisschild auf … und nun beginnt, oberhalb von Port Lligat, wo im Wohnhaus von Salvador Dali inzwischen ein Museum eingerichtet wurde, eine Fahrt wie über den Mond! Da kann man noch so oft gelesen haben, dass dieser östlichste Vorsprung Spaniens vulkanischen Ursprungs ist und sich hier die zerwühlten Ausläufer der Pyrenäen ins Mittelmeer stürzen … immer wieder erlebt man die gleiche Faszination: zwischen zerfurchtem Schiefer- und Granitgestein plötzlich hochgetürmte, gleißend-weiße Felsbrocken, wie von Zyklopen verstreut, dazwischen sanfte Mulden mit all den duftenden Kräutern, die auch wir inzwischen für die „mediterrane Küche“ entdeckt haben. Dazu atemberaubende Ausblicke auf das oft wild schäumende Meer bis zur Rundung des von der Seefahrt seit jeher gefürchteten „Golf de Lion“ – vor allem, wenn die hier herrschende „tramuntana“ bläst.

Diese zu Recht weiblich betitelte Furie, eine verwegene Schwester des frechen „mistral“ wütet meist mehrere Tage, jagt die Stühle über die Terrassen und schaukelt die Wellen auf mehrere Meter hoch. Und da das Meer an diesem östlichsten Punkt der iberischen Halbinsel selbst im Hochsommer kaum über 22°C kommt, der Sturm aber von den Pyrenäen herunter aufs Meer peitscht, ist echtes „südländisches“ Badewetter hier eher selten, es sei denn, man entdeckt eine der steil eingeschnittenen Sand- und Kiesbuchten im Windschatten.

Zum Aufwärmen oder Aufatmen nach dem Sturmgebraus steht neben dem Leuchtturm ein Gasthaus, das mit seinen wettergegerbten Mauern an einen verlassenen mexikanischen Bahnhof erinnert. Auf dessen windstiller Seite sitzt man genüsslich in der Sonne und schaut übers glitzernde Meer auf die Buchten, in denen Dalis Frau Gala gern junge Fischer verführte, während auf der Sturm-Seite „die Fetzen fliegen“.

Pächter ist, was an diesem rauen Platz kaum verwundert, ein irischer Globetrotter, der sich hier gleich wie zuhause fühlte. Auf silberner Schale präsentiert er Fangfrisches mit geröteten Kiemen, aber auch ein hervorragendes Steak „fin del mundo“. Hier, am Ende Europas, Afrika gegenüber, schmeckt das zu einem der sauberen Blanco oder Negro aus dem Ampuria – dem Hinterland der Costa Brava – besonders gut.