23. Jahrgang | Nummer 17 | 17. August 2020

Glanz statt Hetze

von Wolfgang Hochwald

In der vergangenen Woche fand in Köln die Aktion „Glanz statt Hetze“ statt, bei der die Bürgerinnen und Bürger aufgerufen waren, Stolpersteine zu reinigen. Die Stolpersteine – ein Projekt des Künstlers Gunter Demnig – erinnern auf dem Bürgersteig vor dem letzten frei gewählten Wohnort an die Verfolgten der Nationalsozialisten, die vertrieben, in Konzentrationslager deportiert und dort ermordet oder in den Suizid getrieben wurden. Sie erinnern an deportierte und ermordete Juden, an Sinti und Roma, politisch Verfolgte, Homosexuelle, Zwangsarbeiter, Zeugen Jehovas und Opfer der „Euthanasie“. Europaweit gibt es inzwischen mehr als 75.000 Stolpersteine.

Die Idee, Stolpersteine zu reinigen, geht zurück auf Rafi Rothenberg, den Vorsitzenden der Jüdisch Liberalen Gemeinde Gescher La Massoret e. V. in Köln. Nach dem rechtsextremen Anschlag in Halle im Oktober 2019 hatte die Gemeinde – noch unter dem Namen „Glanz gegen Rechts“ – zu einer Putzaktion anlässlich des Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust am 27. Januar 2020 aufgerufen, an der auch die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker teilnahm. Nun ist daraus, initiiert von der Oberbürgermeisterin, eine stadtweite Aktion geworden, die von einem breiten Bündnis getragen wird. Neben der Jüdisch Liberalen Gemeinde sind dies das NS- Dokumentationszentrum, der EL-DE- Haus e. V., der Kölner Lesben- und Schwulentag e. V., die Kölnische Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit e. V., Maro Drom e. V., Rom e. V. sowie die Synagogen-Gemeinde Köln.

Die Stolpersteine erinnern ganz konkret. Sie sprechen nicht abstrakt vom Holocaust, sondern sehr anschaulich von echten Menschen und deren Lebensgeschichte. Für Rafi Rothenberg ist es wichtig zu zeigen, dass die Kölner keine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad wollten, wie sie sich Björn Höcke vorstellt. Stolpersteine zu Putzen sei nicht nur ein Akt des Gedenkens, sondern eine politische Aktion. „Es ist ein Zeichen gegen die sich verstärkenden rechten Tendenzen in unserer Gesellschaft. Gerade nach Halle und Hanau und vielen anderen rechtsextremen Übergriffen ist es wichtig, dass wir alle aktiv werden. Immer glänzende Stolpersteine sollen ein deutlich sichtbares Zeichen gegen Hetze, Hass, Rassismus, Diskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus sein und durch ihren Glanz allen zeigen, dass braunes Gedankengut in der direkten Nachbarschaft und anderswo keinen Platz hat. Die Stolpersteine sollen von passiven Gedenk- zu aktiven Bekenntnis-Steinen werden.“

Die meisten Stolpersteine sind tatsächlich über die Jahre matt und schmutzig geworden. Sie zu reinigen ist ein bewegendes Erlebnis im wahrsten Sinne des Wortes: Vor den Steinen auf die Knie zu gehen, sich über die Gedenksteine zu beugen und die blass gewordenen Steine wieder zum Glänzen zu bringen, ist ein praktischer und symbolischer Akt. Im Idealfall entstehen auch Kontakte zu den Menschen in der Nachbarschaft rund um den Stolperstein. Die Teilnehmer befassen sich mit der Person, für die der Gedenkstein angebracht wurde und die Jahreszahlen werden lebendig. So stellt man mit Erschrecken fest, dass derjenige, dessen Stein man reinigt, erst 19 war, als er wegen Verweigerung des Eides auf Adolf Hitler erschossen wurde. Walter Eumann vom Runden Tisch Riehl, einer Initiative, die sich seit sechs Jahren um Geflüchtete im Kölner Stadtteil Riehl kümmert, schildert, was er bei der Reinigung der Stolpersteine empfunden hat: „Meine Frau Christa und ich haben in Köln Nippes Stolpersteine gereinigt. Da fanden wir den Stein eines Kindes, das nur vier Jahre alt geworden ist, so alt wie unser Enkelkind ist. Und den Stein eines Mannes mit dem Geburtsjahr 1910, dem Jahr, in dem mein Vater geboren wurde. Wenn mein Vater im Konzentrationslager umgekommen wäre, dann gäbe es jetzt dieses Enkelkind nicht.“

Für die Kölner soll es nun nicht mehr bei einer einmaligen Aktion bleiben. Viele Initiativen und Einzelpersonen haben Patenschaften für Stolpersteine übernommen, denn es bedarf einer regelmäßigen Pflege der Steine. Aber Rafi Rothenbergs Vision geht weiter: „In Köln hat Gunter Demnig im Jahr 1992 den ersten Stolperstein verlegt und inzwischen gibt es die Gedenksteine europaweit. Wie schön wäre es, wenn auch ‚Glanz statt Hetze‘ sich von Köln aus europaweit verbreitet.“

Die Stadt Köln und die Kölner rühmen sich gern ihrer Toleranz, sicherlich nicht immer zu Recht. Aber parallel zu „Glanz statt Hetze“ startet schon die nächste Kölner Aktion gegen Rechts. Zur Kommunalwahl im September sollen stadtweit 11.000 Fahnen mit dem Slogan „Kein Veedel für Rassismus“ an Wohnungen und Häusern hängen (für den Nicht-Kölner: als Veedel werden die 86 Kölner Stadtviertel bezeichnet). Ein weiteres deutliches Signal gegen rassistisches und rechtes Gedankengut.

Für die Leserinnen und Leser, die sich angeregt fühlen, einen Stolperstein in ihrer Nähe zu reinigen, findet sich hier die Putzanleitung.